Kapitel 13

42 3 2
                                    

Noch am nächsten Morgen hatte ich das Buch durchgelesen. Zwar hatte ich erst spät am Abend angefangen, doch da es nur ein ziemlich dünnes Buch mit nur wenigen Seiten war, dauerte es nicht lange, bis ich bei der letzten Seite angekommen bin. Die Geschichte handelte von einem kleinen Mädchen, das durch ein Kaninchenloch fällt und so in das Wunderland gelangt. Im Wunderland gibt es verschiedenste, interessante und vor allem verrückte Lebewesen.
Ich verstand einfach nicht, warum solche Geschichten verboten wurden. Es war doch nichts dabei als Kind einmal ein normales Kinderbuch zu lesen. Außerdem war auch in dieser Geschichte durch aus eine Moral vorhanden. Zwar bezog sie sich gar nicht auf eine der fünf Regeln, aber seine Träume zu verfolgen war eigentlich keine schlimme oder schlechte Lehre. Man verstieß doch theoretisch gegen nichts, was für das Paradies selbst stand.
Und doch waren diese süßen Kinderbücher verboten. Nur leider hatte mich die Geschichte fasziniert und in ihren Bann genommen. Also nahm ich mir vor heute bei der Vorlesestunde wieder keines der vorgegebenen Bücher zu lesen, stattdessen würde ich den kleinen Grundschülern und den noch jüngeren Kindern Alice im Wunderland vorlesen.
Aber bevor ich überhaupt in die Bibliothek ging, führte mich mein Weg wieder zu dem alten Laden von gestern. Es war wie ein Fluch oder anderer Zauber. Der Laden, oder eher das Bücherregal im Laden zog mich an.
Also führten mich meine Wege erst Richtung Einkaufsstraße und dann nach Norden. Es war nicht so wirklich einfach, denn gestern hatte ich nicht wirklich auf meine Umgebung geachtet und somit hatte ich fast keine Erinnerung an den Weg zum Geschäft.
Zum Glück schien mir nach kurzer Zeit die Umgebung so, als hätte ich sie schon einmal gesehen. Zuversichtlich folgte ich meinen Erinnerungen und so stand ich wenige Minuten später wirklich vor dem Geschäft. Das schon bekannte Geräusch der Klingel über der Tür kündigte meinen Besuch an. Der alte Mann streckte direkt seinen Kopf durch den Durchgang zum Nebenraum. Ein überraschtes Lächeln erhellte sein Gesicht, als er mich wieder erkannte und schnell trat er zu mir. Er fragte, wie mir das Buch gefallen hatte und ich antwortete, dass es echt schön war und dass ich gerne noch einen Roman lesen würde.
Sein Lächeln wurde noch breiter und schnell zog er mich zum Regal. Seine Augen suchten die Reihen ab und es schien ganz so, als wüsste er genau, welches Buch er mir verkaufen wollte. Denn heute hatte ich vor auch Geld dafür zu bezahlen. Dieses Mal wollte ich kein Geschenk bekommen.
Seine Finger griffen nach einem wirklich sehr alt aussehenden Buch. Ganz vorsichtig strich er über den Bucheinband und pustete den Staub sanft fort. Ein goldener Schriftzug kam zum Vorschein und der Titel des Buches wurde erkennbar. Romeo und Julia. Der Titel war mir noch nie vor meine Linse gekommen, aber dies war auch kein Wunder, denn allein durch den Einband wurde deutlich, wie alt der Roman sein musste. Bei diesem Buch wurde ihr irgendwie etwas mulmig zu Mute. Doch sobald ihre Finger das erste Mal über den Einband strichen, verfolgen diese Zweifel und auch alle Gründe dieses Buch nicht zu berühren, oder gar zu lesen, verzogen sich aus ihren Gedanken.
"Das macht dann fünfzehn Utopien." sprach der Mann sie wieder an, als sie in ihrer Tasche kramte, "Mein Name ist übrigens Fabian."
"Ich heiße Cyana. Eigentlich Cyana Christelle, aber ich finde Christelle nicht so schön." ich lächelte ihn an und übergab ihm das Geld. Mein Blick wurde wie gestern schon von der schönen Uhr über dem Verkaufsthesen angezogen und dabei fiel mir auf, dass die Kinder schon bald in die Bibliothek kommen würden. Schnell verabschiedete ich mich von Fabian und verließ den Laden.
Kurz darauf trat ich dann auch wieder aus dem Nordviertel und fand mich in dem stressigen Gewusel der Leute. Wieder fragte ich mich, warum die sich alle so stressten. Aber heute war ich auch nicht besser, denn auch ich versuchte möglichst schnell zu meiner Arbeit zu kommen.
Als ich dort ankam, war sie wie immer fast leer. Nur Penelope und Amanda, die Bibliothekarinnen, saßen zusammen auf zwei gepolsterten Sesseln und unterhielten sich. Dann konnte ich noch einen Studenten in der hinteren Ecke der Halle erkennen, der an einem Tisch saß und scheinbar lernte. Nicht mehr lange und ich würde wahrscheinlich auch genauso meine Freizeit verbringen.
Es war aber gerade so, dass mich dies irgendwie nicht mehr so mit Vorfreude und Glück erfüllte. Mir erschien es nicht mehr so prickelnd mein Studium zu beginnen und noch mehr Regeln zu befolgen. Von einer Bekannten hatte ich nämlich gehört, dass es sehr viel zu beachten gab als Medizinstudent. Vorher war dies kein Problem für mich gewesen. Immerhin war es für mich selbstverständlich die Regeln zu haben und zu folgen. Ich war eine starke Verfechterin der Regeln gewesen und doch schien mir zumindest ein paar Regeln etwas unnötig und nicht wichtig. Wen interessierte es, was ich las? Warum hungerten so viele im Nordviertel, obwohl sie eigentlich genug zum Überleben haben sollten, zumindest nach unserem Präsidenten? Warum sollten Fragen so etwas schlimmes sein? Und was bedeute es wirklich das Paradies zu ehren?
Ich wusste es nicht. Diese Fragen und noch viele mehr quälten mich und fraßen sich langsam ihren Weg an die Oberfläche. Denn ich glaubte nun, dass diese Fragen schon vorher ganz hinten versteckt in meinem Gehirn vorhanden waren. Nur war es vorher so, dass sie ganz tief in einer verschlossenen Schachtel meiner Gedanken verschlossen waren. Meine Begegnung mit dem Unbekannten hatte diese Schachtel wohl geöffnet und nun konnte ich sie nicht mehr zurück in die Schachtel zwängen.
Meine Finger wanderten zu dem Buch in meiner Tasche und als ich es berührte, war ich sofort ruhiger. Ich konnte mir diese Reaktion zwar nicht erklären, aber es war einfach so.
"Cyana, wann fängst du an uns etwas vorzulesen?" quengelte da ein Mädchen vor mir.
Völlig verdutzt musste ich feststellen, dass alle Kinder schon da waren und ich eigentlich schon längst mit dem Vorlesen hätte beginnen können. Schnell zwang ich mir ein Lächeln auf meine Lippen und lief mit der Truppe zu einem Sofa mit einigen Kissen davor. Dies war die Stelle, an der die Lesestunde immer stattfand. Ich holte Alice im Wunderland hervor und klappte die erste Seite auf.
Während der Stunde fiel mir auf, dass die Kinder zum ersten Mal wirkliches Interesse an der Geschichte zeigten und mir allesamt an meinen Lippen hangen. Als die Stunde um war musste ich sogar versprechen, dass wir übermorgen genau diese Geschichte weiterlasen. Darüber musste ich einfach lachen und natürlich versprach ich es ihnen.
Völlig erschöpft kam ich Zuhause an und beteiligte mich den ganzen Abend lang nicht wirklich an dem Geschehen im Haus. Eigentlich wollte ich nur nach oben und in meinem neuen Schatz lesen.
Doch dazu kam ich erst wirklich spät, aber selbst die viel zu späte Uhrzeit hinderte mich nicht daran in die Geschichte einzutauchen.



Wie findet ihr Fabian?

Was glaubt ihr, warum er so wichtig für den Verlauf der Geschichte sein könnte?

Und auch, was macht ihr so am heutigen Feiertag?

Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen!


~Liv

ParadiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt