Kapitel 10

49 2 4
                                    

So unglaublich wunderschön. Wirklich unglaublich schön. Selbst von unten fand ich es schon immer überwältigend anzuschauen, doch von hier oben war es noch einmal um Längen schöner. Vom Dach aus konnte man durch die Glaskuppel von oben in die Bibliothek schauen. Die ganzen Bücher wurden vom Mondlicht erleuchtet und die teuersten, die man gar nicht ausleihen durfte, sondern nur in derBibliothek lesen konnte, strahlten dadurch um so mehr. Das Weiß der Wände erhellten den Raum noch ein bisschen mehr und ließ mich vor Erstaunen still stehen. Genau das war Schönheit. Nicht die Models auf den Plakaten oder die Schauspieler auf der Leinwand, nein genau das hier war vollkommene Schönheit.
Von unten innerhalb der Bibliothek habe ich schon das ein oder andere Mal über die Schönheit gestaunt. Auch auf Grund des Himmels, den man von dort durch die Glaskuppel erkennen kann. Die Sonne bildete tagsüber eine natürliche Lichtquelle, sodass man die Bibliothek nicht vollkommen mit Lampen beleuchten musste. Dies war damals der Grund für die Glaskuppel gewesen, doch nun sah ich das Geheimnis der Glaskuppel.
Jeden Tag mussten sich die Sonne und der Mond über dieses Anblick freuen. Gar nicht mehr satt sehen konnte ich mich. Hinter mir stand immer noch der Unbekannte, das konnte ich spüren, denn von ihm ging stets eine Wärmequelle aus.
"Wie kann man jeden Tag dort unten stehen und niemals diese Sicht sich angeschaut haben?"
Ich zuckte mit meinen Schulter, zwar wusste ich darauf eine Antwort, aber nun erschien selbst mir die Antwort falsch. Denn sie lautete, es ist nicht normal, das tut man einfach nicht. Aber wie kann so etwas falsch sein. Es ist nur ein Ausblick, aber so war es nun einmal. Niemals wäre ich von allein auf die Idee gekommen hier auf das Dach zu steigen. Dies schickte sich einfach nicht. Es war nicht die Norm einfach auf ein Dach zu klettern.
Aber nun war ich einfach nur froh, dass er mich mitgenommen hatte. Langsam drehte ich mich mit meinem Gesicht zu ihm. Er schaute nicht zu mir, doch so hatte ich die Zeit ihn zu betrachten. Sein Gesicht war hübsch, das stellte ich nicht außer Frage, aber dies hatte ich schon vorher bemerkt. Die braunen Haare passten perfekt zu seinem Aussehen, genau wie seine braunen Augen. Unter dem T-Shirt konnte man seine Muskeln leicht erkennen. Leicht musste ich lächeln, als er irgendwann zu mir blickte. "Warum hast du mir das gezeigt?"
"Weiß ich nicht. Vielleicht damit du mal die wahre Schönheit deines Arbeitsplatzes kennst?"
Mein Lächeln wurde größer. Er hatte recht. Ich arbeitete schon so lange in der Bibliothek und hatte sie noch nie richtig gesehen. Für mich war die Schönheit der Bibliothek nicht das Gebäude gewesen, sondern die Schönheit, die in den Büchern versteckt war. Die Geschichten und Geheimnisse, die sie beinhalten, waren ihre eigene Schönheit, aber die fand man an jedem Ort mit vielen Büchern. Doch diese Schönheit gab es nur hier.
"Danke..." flüsterte ich ganz leise. Ich wollte die Stille nicht einfach so unterbrechen.
Nun musste auch er lächeln und dabei fiel mir wieder etwas auf. Irgendetwas trübte sein Lächeln und ließ sein Gesicht nicht vollständig strahlen. Der Funken war zwar noch da, aber trotzdem schien es so, als hätte sich ein Schleier über sein Gesicht gelegt.
Dann atmete er einmal tief ein und die Trauer verschwand wieder. Der Funken kehrte zurück und mit der Trauer verschwand auch das Lächeln. Wieder griff er meine Hand und lief wieder zur Leiter. Dieses Mal stieg er als Erster hinab. Wenn ich ehrlich war, war ich darüber sogar ziemlich froh, denn so sah ich, sobald ich hinab blickte nur ihn und nicht die Tiefe, die sich unter uns befand.
Aber trotzdem fühlte ich eine gewisse Erleichterung, als meine Füße wieder den Boden berührten. Doch mir blieb keine Zeit zum Durchatmen, weil mein unbekannter Begleiter leider direkt weiterlief. Natürlich hätte ich einfach stehen bleiben können und wenn er dann nicht gewartet hätte, hätte ich einfach nach Hause laufen können, aber langsam wurmte es mich ihn immer nur als den Unbekannten zu kennen. Ich wollte langsam wirklich seinen Namen wissen.
Also rannte ich ihm hinter her. Ihn schien es nicht wirklich zu interessieren, dass ich wieder neben ihm herlief. Er ging einfach weiter durch die Straßen.
Der Mond war schon lange aufgegangen. Die Zeit war wohl schneller verstrichen, als vorher gehofft. Insgeheim war es mir nicht wichtig, doch ich wusste nun einmal, dass meine Eltern sich wohl wunderten, wo ich die ganze Zeit denn blieb. Es wurde nun scheinbar Zeit nach Hause zu gehen. Leider gab es diesen Wunsch in mir, der bleiben wollte. Dieser Wunsch, der mir sagte, dass ich bei dem Unbekannten bleiben sollte, war leider nicht mehr der kleinste Wunsch in meinem Gehirn. Genauer gesagt wuchs er mit jedem kleinsten Schritt, den ich neben ihm herlief. Also zögerte ich mich einfach von ihm zu verabschieden.
Wenn ich ehrlich war, hatte ich nämlich seit einer halben Ewigkeit nicht mehr einen so schönen Abend gehabt und den hatte ich mit einem namenlosen und unwürdigen Jungen verbracht. Irgendetwas musste scheinbar gerade schief in meinem Schädel laufen.
Er war unwürdig. Eigentlich gehörte er nicht einmal hier ins Paradies. Seine Tat war viellecith schlimmer als eine kleine Lüge. Möglicherweise hatte er jemanden ermordet und mir war es egal. Mich interessierte es nicht einmal. Nicht einen noch so kleinen Moment hatte ich daran gedacht. Nicht als er mich das erste Mal gerettet hatte, beim zweiten Mal sowieso nicht und nun hatte ich meinen ganzen Abend neben ihm verbracht, aber dies kam mir erst auf dem Heimweg in den Sinn.
Jetzt, wo mir der Gedanke gekommen war, war die Ruhe und Sicherheit neben ihm verschwunden. Keinen Schritt wollte ich mehr neben ihm laufen.
"Entschuldige mich, aber es ist spät ich sollte gehen." ich drehte mich um und lief weg. Meine Füße berührten im Sekundentakt den Boden und so hatte ich schnell fünfzig Meter zwischen uns beide gebracht.
"Warte! Wo willst du denn hin? Cyana!" schrie er mir hinterher.
Kurz drehte ich mich um, als ich meinen Namen hörte, aber dieser Moment war nicht allzu lange. Es war mir doch egal, ob er meinen Namen kannte. Dies sollte mich nicht mehr interessieren. Ein Name war nur ein Name. Auch ohne einen Name wäre ich immer noch ich und deswegen sollte es mir nichts aus machen, dass er nun scheinbar meinen kannte.
Auch sein Name sollte mich nicht interessieren, denn selbst wenn ich seinen kennen würde, würde das keinen Unterschied machen. Er wäre immernoch ein Unwürdiger und dies sollte das Einzige sein, dass mich interessierte.
Aber ich hatte gerade eben nicht umsonst sollte und würde genutzt...


Wie habt ihr euch den Unbekannten vorgestellt?
Und welchen Namen habt ihr ihm gegeben, wenn ihr das überhaupt getan habt? (Übrigens schwanke ich auch noch zwischen zwei Namen...)
Aber vor allem was denkt ihr hat er "schlimmes" getan?

Hoffe euch hat das Kapitel gefallen.

~Liv

ParadiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt