Kapitel 33

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Den ganzen restlichen Tag über verbrachte ich dann im Bett und zum Aufstehen konnte ich mich nur dazu bringen, als ich am Abend Hunger bekam. Normalerweise war ich nie der Mensch, der so früh einschlafen konnte wie die Anderen. Meine Eltern waren dabei schon immer das parabel Beispiel. Insgesamt war meine Familie wohl total das perfekte Beispiel für die typische Familie aus unserem Viertel und dazu wohl auch unserer Stadt. Wie soll ich sagen, dazu war ich wohl unscheinbar stets über die Jahre das schwarze Schaf gewesen. Vielleicht hatte ich es zwar schon immer irgendwie gewusst, doch es einfach nur verdrängt. Jahre lang hatte ich nur versucht darüber hinweg zusehen und es alles einfach nicht wahr haben wollen.
Doch nun fiel es mir so stark auf, ganz so als würden mir gerade die Augen geöffnet, als würde ich endlich meine Sonnenbrille abnehmen und bemerken, dass die Sonne schon lange nicht mehr geschienen hatte. Ich war das schwarze Schaf der Familie. Meine Familie hatte es genauso wie ich diese Sache übersehen. Meine Mutter hatte zwar versucht mir das Beispiel Kind aufzudrücken. Aber ich hatte es nicht zugelassen. Ich wollte es nie, denn irgendwie hatte ich es geliebt anders zu sein. Das schwarze Schaf zu sein war meine Rolle und über die Jahre hatte ich mich perfekt in meine Person herein gefunden. 
Sie war ein Teil von mir geworden.
Aber ich war kein schwarzes Schaf, denn ich war einfach nur ich. Wenn ich das gespielte schwarze Schaf gewesen war, war ich auf gewisse Weise immer noch ich.
Das Problem war, dass ich niemals Teil der perfekten Familie war. Meine Eltern haben ihre eigene Probleme gehabt. Mein eigener Vater hatte Geheimnisse vor mir und es gefiel mir nicht. Ich hatte immer das Gefühl, dass mein Vater und ich stets uns alles sagen konnten.
Jahre lang hatte ich ihm alles, was mir auf dem Herzen lag anvertraut. Er war meine Bezugsperson. Aber nun lief alles aus dem Ruder, ich war nicht mehr das kleine Mädchen, das nur davon träumte in der Zukunft Menschen als Ärztin das Leben zu retten.
Auch als ich nach Stunden nicht in den Schlaf gefallen war, fühlte ich mich immer noch nicht besser. Mir ging es nicht gut. Immer wieder drehte ich die Schlüsselkarte in meiner Hand hin und her. Daneben öffnete ich meinen Laptop und suchte auch im Internet nach ähnlichen Symbolen, doch auch in der wohl besten Sache des ganzen Universums fand ich keine Zeichen, dass den Symbolen auf meiner entwendeteten Karte ähnelten. Es machte mich verrückt.
Ich hatte zwar etwas gefunden, was mir zuerst wie das Beste der ganzen Welt vorgekommen war, doch nun kam ich dennoch keinen Schritt weiter.
Nach den vielen Stunden in meinem Zimmer fühlte ich mich einfach nur noch eingeengt. In meinem ganzen Leben in diesem Haus fühlte ich mich mit der Zeit immer mehr eingeengt. Ich öffnete Fenster und atmete tief ein. Irgendwie hatte ich gerade das Gefühl keine Luft mehr zu bekommen. Es drückte auf meine Lunge, die Welt um mich herum war zusammen gebrochen. Nichts mehr war mehr so wie es war. Ich hatte alles getan, was ich niemals tun wollte. Die einzige Regel, die ich wohl noch nicht gebrochen hatte, war die Vierte oder die Fünfte vielleicht auch noch nicht. Ich hatte diese Karte wirklich von einer Mitbürgerin gestohlen. Meine Güte, ich hatte nicht nur Sachen hinterfragt und mich gegen so gut wie alles gestellt, was die Personen über uns von den Bürgern von Paradies wollten, ich hatte auch jemanden bestolen.
Mein Leben war die reinste Katastrophe und ich hatte irgendwie das Gefühl, dass es nicht mehr viel besser werden würde.
Ohne darüber nach zu denken schwang ich meine Beine über meine Fensterbank und schaute nach draußen in die tiefe Nacht. Wie lange war es nun eigentlich her, dass ich das letzte Mal hier saß. Ich meinte mich daran zu erinnern, dass es an dem Abend, bevor ich Miles kennen gelernt hatte, war.
Irgendwie brachte die Erinnerung an unser erstes Zusammentreffen ein Lächeln auf meine Lippen. Meine Augen suchten die Hauswand ab. Denn das Gefühl der Einengung blieb und gleichzeitig hatte ich das Gefühl, als würde mein gesamter Körper mich nach draußen zu ziehen. Glücklicherweise fand ich ganz in der Nähe eine Metallrinne, an der ich herunter rutschen konnte. Es war zwar nicht unbedingt die beste Idee, aber sie funktionierte. Ich kam heil unten auf dem Boden an und dann fing ich an zu laufen. Ich lief los und rannte, bis meine Lunge mich dazu zwang aufzuhören. Mein Bauch tat mir weh, ein Stechen hielt mich auf. Noch nie hatte ich dieses Gefühl gespürt. Es tat verdammt weh, einfach nur weh.
Von da an hielt ich mir meine Seite und ging einfach nur weiter. Glücklicherweise war ich scheinbar schon ziemlich weit gelaufen, sodass ich nach ein paar gegangenen Metern vor der Bibliothek stand. Meine Füße brachten mich dann schnell um die Bibliothek herum und danach die Feuerleiter nach oben. Erst als ich auf dem Dach war, fühlte ich mich wieder frei. Ich konnte atmen und das fühlte sich verdammt nochmal gut an. Schon lange war ich nicht mehr nur das schwarze Schaf einer Beispiel Familie. Dazu war ich auch nicht unwürdig, nur weil ich ein paar bescheuerte Regeln gebrochen hatte. Ich war einfach nur ein Mensch und ich war niemand, der sich einfach belügen ließ. Auch wenn ich bisher noch nicht wusste, was die Symbole bedeuteten, ich war eine neugierige Person und ich würde nicht so schnell aufgeben. Dazu war ich einfach schon gefühlt viel zu tief in der Sache verstrickt.
"Seit wann schleicht sich denn das perfekte würdige Mädchen mitten in der Nacht nach draußen?"
"Seitdem ich irgendwie nicht mehr atmen konnte, Miles."
"Dann fliehst du seit neustem vor deinem Leben?"
Ich nickte und klopfte ich auf den freien Platz neben mir. Er ließ sich neben mir nieder und lehnte mich an ihn an.
"Ich vermisse das naive Mädchen von vor ein paar Monaten." flüsterte ich und ließ meinen Kopf in seinen Schoß fallen. Sanft strich er durch meine Haare und ich fühlte mich seit einer gefühlten Ewigkeit einfach nur sicher.

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