Kapitel 25

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Ich hatte geplant direkt nach dem Abendessen mich möglichst schnell aus dem Staub zu machen. Diesen Plan hatte ich ganz genau geplant. Im Vorhinein hatte ich mich schon umgezogen und meine Tasche gepackt. Darin fand mich zwar nur meine Geldbörse, meine Schlüssel und alles andere wichtige. Doch nur leider war es nicht so einfach wie ich geplant hatte. Der Plan war einfach und es ging vor allem darum sehr flott und heimlich zu verschwinden. Am besten wäre es gewesen, wenn gar keiner vom meinem Verschwinden Luft bekommt und ich erst bei meiner Rückkehr oder am besten am nächsten Frühstück eine Frage zu dem Abend bekommen würde.
Nur wie gesagt war es nicht so einfach wie gedacht und geplant. Mein Vater hatte seinen Kollegen und seine Frau zum Abendesssen eingeladen. Normalerweise dauerte das Abendessen mit meinen Eltern höchstend eine halbe Stunde und danach hätte ich pünktlich um acht Uhr bei dem Treffpunkt sein können. Doch aus Erfahrung wusste ich auch das Abendessen mit Kollegen meines Vaters meistens über eine Stunde dauerten. Deswegen hatte ich Angst, dass ich ihn verpassen würde, wenn ich nicht um acht sondern eher um halb neun beziehungsweise neun Uhr, wenn meine Eltern sich wie immer verquatschen sollten.
Es war leider der älteste Kollege von meinem Vater und somit war es höchstwahrscheinlich, dass sie sich in ihren Geplauder verlieren würden.
Um viertel vor neun war ich so nervös, denn ich wollte eigentlich schon vor einer Stunde auf dem Weg sein.
"Vater wäre es in Ordnung, wenn ich schon einmal hochgehen würde. Dann könntet ihre euch auch über Erwachsenenthemen unterhalten." fast schon bettelnd und im flehend schaute ich zu meinen Eltern.
Erst blickte ich meiner Mutter tief in die Augen und danach noch einmal doppelt so lang in die Augen meines Vaters. Denn ich hatte nicht umsonst mein ganzes Leben mit ihnen verbracht. Somit wusste ich genau wer es mir wohl am Ende erlauben würde den Tisch zu verlassen und diese Person war wie gedacht nicht meine Mutter sondern mein Vater.
Dieser scheuchte schon fast vom Tisch und schaute mich zu dem besonderen Blick an, den nur er benutzte. Dieser Blick hieß soviel wie 'Jetzt geh schon und hab Spaß'. Auch früher hatte es mein Vater mir und Anastasia erlaubt feiern zu gehen und nicht unsere Mutter.
Schnell verschwand sie nach oben. Nun kam der schwierigere Teil und dieser beinhaltete die Flucht aus ihrem Zimmer. Leider lag das Esszimmer direkt neben der Haustür und da dieses Zimmer nur ein Tor und keine Tür besaß, war es unmöglich daran ungesehen vorbei zu schleichen.
Nach fünf Minuten hatte ich mich dazu entschieden, dass mein Zimmerfenster die beste Möglichkeit zum Rausschleichen bot. Zu meinem Glück stand vor meinem Fenster ein Baum und an diesem konnte ich hinunter klettern. Dies funktionierte sogar erstaunlich gut. Nur fiel mir eine Lücke in meinem genialen Plan auf, als ich an dem Esszimmerfenster angelangt war und meine Eltern mit ihren Gästen beobachten konnte.
"Es wurde schon wieder jemand verschleppt, wusstest du das?"
"Nein, ich dachte, dass die Entführung vor einem halben Jahr von diesem Unwürdigen eine einmalige Sache war."
"Genau dies dachte ich auch, aber scheinbar gibt es seit neusten fragende Ohren, die leider von der Sache Wind bekommen haben. Dem Vorsitzenden habe ich auch schon Bescheid gesagt. Als ich bemerkt habe, dass jemand in den Turm einbrechen wollte."
Mehr verstand ich nicht, da mein Vater und sein Kollege wieder vom Fenster weg traten, doch mehr brauchte ich auch nicht mehr zu hören. Ich hatte auch so schon genug verstanden. Irgendetwas lief schief in dieser Stadt und das Problem lag scheinbar genau in der Mitte vom Paradies.
Nun hatte ich das Gefühl noch dringender mit Miles sprechen zu müssen. Manchmal half es einem mit jemanden über die eigenen Bedenken zu sprechen und hoffentlich war mir Miles dieses Mal genug.
Meine Füße flogen über die Straße und so war ich nur eine Stunde und fünfzehn Minuten später als geplant vor der Bibliothek. Auch wenn meine Geduld nicht mehr vorhanden war und ich am liebsten sofort schon auf dem Dach sein wollte, ließ ich mir Zeit die Feuerleiter zum Dach hochzuklettern. Denn auch wenn die Aufregung meine Finger zittern ließ, war ich dennoch ein Mensch der Logik und mir war bewusst, dass man Respekt vor der Höhe haben sollte.
Gespannt, ob er noch da war, setzte ich meinen einen Fuß aufs Dach und wurde enttäuscht, denn er war nicht mehr da.
Wahrscheinlich hatte er schon um acht Uhr hier gesessen und gewartet. Etwas traurig ließ ich mich auf dem Dach sinken, direkt neben der Glaskuppel. Ich wollte nicht schon direkt nach Hause gehen. Dafür fühlte ich mich irgendwie nicht wirklich bereit. Meine Gedanken wanderten zu Miles und direkt fühlte ich diese Kribbeln im Bauch.
Eine halbe Ewigkeit saß ich dort und schaute die ganze Zeit nach unten durchs Glas. Ich schaute mir alles genau an und versuchte alles in meinem Gehin abzuspeichern. Meine Augen scannten sie Regale, die alle in perfekten Reihen standen, ab und auch die, die nicht in der Mitte des Saales sondern an der Wand standen, diese komplett einnahmen und insgesamt über drei Etagen gingen.
Doch auf einmal wurde mir schwarz vor den Augen. Dies lag aber nicht daran, dass ich ohnmächtig wurde, denn es wurden mir nur zwei Hände vor mein Gesicht gehalten. Die Hände waren warm und relativ groß. An ihrer Größe schätzte ich, dass sie einem Mann gehörten. Die Haut war leicht rau, aber immernoch einigermaßen weich. Ganz so als würden sie zwar zu jemanden gehören, der härter arbeiten musste, als die meisten der Stadt. Denn die meisten Bewohner besaßen weiche und seidige Hände. Aber eigentlich kannte ich auch nur die Hände von der reichen Hälfte unserer Stadt. Natürlich könnte es sein, dass sie einem Unwürdigen gehörten, aber genauso gut könnte es einfach von jemanden aus dem am wenigsten wohlhabenden Viertel sein. Woher sollte ich dies auch wissen? Es war nun einmal nicht üblich mit anderen Menschen außerhalb seines Wohnviertels wirklich Kontakt zu haben.
Dennoch war ich mir sehr sicher, dass es die Hände eines Mannes war, der aus dem Nordviertel kam.
Nie hätte ich erwartet, dass sie zu meinem Fremden gehören könnten.

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