Kapitel 31

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Mein Schwager schien seine Verwunderung nicht überwinden zu können. Sein Mund klappte auf und doch kam kein Ton aus ihm. Nach einem kurzen Moment probierte er es ein weiteres Mal, er schloss seinen Mund und öffnete ihn wieder. Dieses Mal hörte seine Stimme auf ihn. "Was machst du hier, Cyana?"
"Wonach sieht es denn aus? Ich wollte meinen Schwager zu seinem neuen Arbeitsplatz gratulieren und wo kann man das besser als genau dort?" verkündete ich, stolz auf mich selbst, dass dieser Satz sich nicht nach der Lüge anhörte, die er war.
Dennoch schien mein Gegenüber immer noch nicht zu hundert Prozent überzeugt. Genauer gesagt breitete sich nämlich nun eine peinliche Stille zwischen uns aus. Während mich Alexander skeptisch beobachtete, tat ich so als würde ich mich interessiert sein Büro anschauen. Dabei war sein Raum selbst nicht wirklich interessant.
Wie alles hier war alles in weiß gehalten. Die Wände, die Stühle, die Bildschirmplatform und auch die Tischbeine des gläsernen Tisches, jeder Gegenstand war weiß. Eine kleine Pflanze stellte das einzig bunte Teil in dem Raum da.
Hier würde ich mich wohl niemals wohlfühlen. Dafür liebte ich die Farben zu sehr. Doch hier in diesem Raum merkte ich, dass genau dies unsere Stadt war. Weiß, wir waren alle so langweilig wie dieses Büro. Dabei bemerkten wir es nicht mal wirklich. Wir waren es einfach.
In dieser Stadt lebten nicht ein Regenbogen aus Menschen, diese wurden nämlich von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Sie wurden einzeln, allein und geschwächt geduldet, genau wie diese Pflanze da.
Auf einmal klopfte es an der Tür und der Kaffee und die Kekse wurden ins Zimmer gebracht. Da ich wirklich nichts anderes zu tun hatte, griff ich direkt nach einem der Kekse und stand auf, um das einzige zu bestaunen, was mich auch nur ansatzweise beeindruckte. Ihre Füße durchschritten den  Raum und vor dem großen Fenster blieb ich stehen.
"Wie gefällt dir dein neuer Beruf? Dein Büro ist auf jeden Fall besser als dein Altes."
Einmal hatte ich ihn nämlich schon einmal an seinem Arbeitsplatz besucht, damals war ich aber mit meiner Schwester zusammen dort gewesen. Eigentlich sah sein altes Büro diesem Neuen ziemlich ähnlich. Zwar war das weiß nicht mehr so strahlend gewesen, doch ansonsten war es ähnlich ausgestattet gewesen. Nur der Ausblick war wirklich ein großer Unterschied. Von hier schaute man auf die Stadt herunter. Die Menschen erschienen auf einen Mal klein. Alles war so weit  von eibem selbst entfernt. Wie musste die Aussicht dann aus der Wohnung des Präsidenten sein? Vom Boden aus gab der Turm einem immer das Gefühl bewacht zu werden, da er niemals aus deiner Sicht verschwindet, egal auf welcher Straße der Stadt du gerade stehst. Sie wurden stets vom Präsidenten beobachtet, bewacht und beschützt. Manchmal hatte es ihr Angst gemacht und an anderen Tagen hatte es sich gut angefühlt.
Nun aber, wo sie selbst auf die Stadt runter schaute und durch ihre Adern direkt ein Gefühl von Macht durch geflossen war, war das Gefühl der Angst gestiegen. Sie meinte zu wissen, wie sich der Präsident fühlen musste. Es war so, als wäre er Gott und wir schauten alle auf ihn hinauf, während er uns von oben betrachtete.
Dieser Punkt passte zu den Geschichten aus diesem alten Buch, welches von den alten Menschen die Heilige Schrift oder Bibel genannt wurde. Wir lebtem im Paradies und Gott beziehungsweise der Präsident passte auf, dass wir nicht gegen seine Regeln verstoßen. Gott hatte früher die ersten beiden dummen Menschen verjagt, heutzutage richtete der Präsident die Unwürdigen auf ähnliche Weise. Auch sie wurden vom Paradies ausgeschlossen, zwar mussten sie die Stadt nicht verlassen, weil wir schließlich nicht alle Unwürdigen umbringen wollen. Jedes kleine Kind wusste von den radioaktiven Wellen, welche die Erde seit dem letzten Gericht verseuchten. Es gab nur noch ein paar, nach den alten Berichten insgesamt sieben, überall auf der Welt verteilte Städte, die genau wie unser Paradies auch von einer Schutzhülle umgeben waren. Niemand weiß mehr genau wie die Schutzhülle funktionierte. Doch jeder Bewohner war sich bewusst, dass, wenn man durch die zwei markierten Linien, welche die Hülle beschrieben und gleichzeitig als Grenze zwischen der Welt da draußen und unserem kleinen Schutzort bildeten, man innerhalb kurzer Zeit an den Folgen der Strahlung verstarb. Es war nicht recht, das Geschenk des Lebens zu schänden, indem man Unwürdige  als Bestrafung dem Tod überließ. So wurde es bei uns nicht mit einer Verjagung der Unwürdigen gehandhabt, sondern nur mit der Ausschließung aus der Gesellschaft.
Doch langsam fragte ich mich, wozu es die Regeln überhaupt gab. Vor allem manche erschienen mir einfach nur unnötig. Warum durften wir keine Dinge hinterfragen? Warum sollten wir einfach so auf unsere Anführer hören? Es war mir wirklich ein riesiges Rätsel.
Die Stimme meines Schwagers riss meine Aufmerksamkeit vom Fenster weg. "Die Aussicht ist wohl eindeutig besser als vorher und auch die Arbeitszeiten sind besser gelegt. Doch es ist auch nicht mehr so locker, meine Aufgaben müssen perfekt und immer pünktlich abgegeben sein. Aber im Ganzen kann ich nur zufrieden sein. Wo ich gerade von Aufgaben spreche, ich hab noch ziemlich viel zutun."
Wr zeigte mit seinem Finger auf einen Stapel an Ordnern. Ich verstand den Wink natürlich und verabschiedete mich deswegen. Die Tür fiel  hinter mir ins Schloss und damit verschwand auch meine Möglichkeit meinen eigentlichen Plan in die Tat umzusetzen. Ich war nur hierher gekommen, um mich einmal in diesem geheimnisvollen, mir und auch dem größten Teil der restlichen Bevölkerung so vollkommen unbekannten Gebäude umzuschauen. Doch meine Chance war nun wohl vertan. Ein Seufzen entschlüpfte meinen Lippen. Was könnte ich nun noch tun.
Eigentlich könnte ich mein Schicksal nur noch so hinnehmen, wie es war.
Also machte ich mich zu dem Schreibtisch der Sekretärin auf, um dort Bescheid zu sagen, dass mein Besuch zuende war. Aber hinter dem Schreibtisch saß niemand. Ich war allein.
Meine wahre Chance witternd huschte ich hinter den Tisch und schaltete den Bildschirm an. Während dieser hochfuhr, fing ich an die Schubladen zu öffnen. Sie waren alle leer.
Nur eine war es nicht und dort fand ich wohl das Beste, was ich hätte finden könnte.


So nun bin ich offiziell wieder zurück und habe auch schon eine Woche in Deutschland überlebt. Heute hatte ich nur zwei Schulstunden... Oberstufe ist wirklich klasse. Aber die Klausuren sind es nicht. Geht ihr noch zur Schule? Oder was macht ihr sonst?
Ich muss nun ganze sechs Wochen Schulstoff nachholen und dies ist wirklich kein Zuckerschlecken.

~Liv

ParadiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt