Wie sich heraus stellte, half mir diese Information weitaus ziemlich stark weiter, denn nicht umsonst hatte mich der mit noch Unbekannte diese Auskunft gegeben. Er hatte sich in ihrer kurzen Zeit hier aus den Handbewegungen und den gedrückten Tasten der Wächter sich die Zahlenkombinationen erschließen, welche er mir nur nannte. So war meine anfängliche Ernüchterung und Hilflosigkeit vollkommen unbegründet und ich hatte eigentlich nur ein kleines bisschen abwarten müssen. Doch es war nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich vorschnell reagierte oder ich aufgrund von meinen vorschnellen Entscheidungen mich selbst in Gefahr gebracht hatte.
Manchmal war es gut spontan zu sein, aber viel häufiger machte es die Welt um ein großes Stück komplizierter. So also nun auch dieses Mal.
Nun konnte ich, nachdem ich mir die Kombination zweimal sagen ließ, die Drei aus der Zelle befreien. Mit einem Klicken öffnete sich die Tür und schon fand ich mich in den Armen von Miles wieder. Irgendwie bin ich in seine Umarmung gekommen. So wäre es möglich, dass ich auf ihn zu gerannt war oder er mit entgegen gelaufen ist. Aber ich wusste wirklich nicht genau, wie es nun dazu kam, dass sich meine Hände auf seinen Rücken legten und ich mit meiner Nase seinen Duft einatmete. Ich nahm einen tiefen Atemzug und fühlte mich direkt Zuhause, er roch nach meinem Zuhause.
Wie es innerhalb der Monaten, die ich ihn nun schon kannte, zu diesem Gefühl gekommen.
Es kam mir vor, wie eine Ewigkeit, dass wir beiden dort einfach nur so standen. In der realität war es wohl nicht mehr als nur ein oder zwei Minuten. Dann erinnerte ich mich daran, wo wir standen und dass wir unsere Hintern möglichst schnell aus diesem Gebäude kriegen sollten.
"Wir sollten wohl langsam von hier verschwinden." sprach der Unbekannte meinen Gedanken laus aus.
"Ja, ja, das sollten wir wahrhaftig möglichst schnell erledigen."
Miles griff nach meiner Hand und zog mich hinter sich her. Seine andere Hand drückte vor sich die Tür auf und wir fanden uns wieder in dem dunklen Flur wieder. Dieser war schnell durchquert und die Dunkelheit der Straße empfing uns. Die kalte Nachtluft strich über meine nackten Arme. Der Sommer war langsam vorbei und der Herbst streckte schon seine Fühler aus.
Ich persönlich hasste den Winter und irgendwie auch den Herbst, denn immerhin war er der Vorreiter der wohl abscheulichsten Jahreszeit. Meine Gründe fand ich dabei wohl in dem Tod meiner geliebten Großmutter. Sie wurde Ende Herbst krank und starb kurz vor dem Mittwinterfestes. Seitdem verabscheute ich diese Zeit des Jahres. Meine Laune sank drastisch, sobald die Kälte in die Tagesstunden einkehrte. Meine Eltern empfanden meine Reaktion als übertrieben. Für meine Mutter war der Winter mit dem Mittwinterfest die schönste Jahreszeit.
Ein weiterer Punkt, indem wir beiden dem vollkommenen Gegenteil entsprachen.
Aber wie gesagt, wir hatten noch Zeit, Monate Zeit, bis der Winter an die Tür klopfte. Nun sollte es mir vor allem, um das Finden einer Bleibe für Miles und seine Freunde zu finden. Nicht umsonst hatte ich die Drei gerade aus dem Gefängnis geholt, als dass sie nun in ein paar Stunden wieder dorthin zurückkehren mussten, da sie kein vernünftiges Verstecke gefunden hatten. Möglicherweise war meine Rettungsaktion doch nicht so wirklich gut durchplant gewesen. Scheinbar stellte auch diese Tat meine Vorschnelle zur Schau. Aber ich hatte auch fast keine Wahl mehr, oder etwa doch?
Aus den Dokumenten meines Vaters und Fabians Tagebuch hatte ich erfahren, wie solche Prozesse ungefähr verliefen. Ihnen wäre nach diesen Informationen nur noch ein Tag an diesem Ort geblieben, bis sie sich dem Gericht hätten stellen müssen. Was ihnen dabei gedroht hätte, wollte ich mir gar nicht ausmalen.
Langsam traute ich der Regierung alles zu.
Nachdem wir Vier gemeinsam ein bisschen überlegt hatten, entschieden wir uns für den Vorschlag von Kelvin, der Freund von Miles. Er und seine Freundin Zoey kannten ein leer stehendes Haus aus dem Nordviertel. Die Beiden hatten sich stets dort getroffen, um mal ihre Zweisamkeit zu genießen. Weiter darauf eingehen wollte das Paar nicht, aber nicht umsonst war es mir möglich Medizin zu studieren. Ganz dumm war ich also nicht und so konnte ich mir den verschwiegenen Teil schnell dazureimen. Dennoch war es vielleicht nicht schlecht, dass sie ihn verschwiegen.
In diesem Haus, oder eher in dieser Hütte, fanden sie wahrhaftig eine Bleibe. Die ganze Nacht über blieb ich bei den Flüchtigen. Mir war auch bewusst, dass ich wohl aufgrund dieser Aktion möglicherweise genauso eine Flüchtige war. Immerhin war es eine Straftat gewesen.
Aus meinem Rucksack holte ich das Tagebuch meines alten Freundes hervor und es dauerte nicht lange, bis Miles nachfragte, was das denn sei. Also begann ich ihn aufzuklären und zwar wirklich über alles. Ich begannmit meiner Erzählung an dem Tag, an dem ich ihn das erste Mal getroffen hatte. So erzählte ich von Fabian, meinen persönlichen charakterlichen Veränderungen und den Entdeckungen, die ich seit Frühling gemacht hatte.
Keiner unterbrach mich, sie hörten mir ohne eine Zwischenfrage zu und schienen vollkommen überrumpelt. Aber dieser Zustand war nicht von Dauer.
"Wir müssen in den Turm!" beendete Zoey meine Rede und schlug mit ihrer Faust auf ihren Oberschenkel.
"Du hast Recht, Schatz. Und zwar sollten wir dies möglichst schnell machen." schloss Kelvin ihr an und auch Miles stimmte ihm zu.
Ich war mir nicht so zu einhundert Prozent sicher. Konnte ich den Beiden vertrauen? Immerhin kannte ich sie erst seit ein paar Stunden wirklich. Aber auf der anderen Seite schien es so, als würde Miles sein Leben in die Hände seines Freundes legen können. Damit musste er zumindest nicht allzu schlimm sein und Zoey erschien mir auch nicht wie eine wahrlich böse Person.
Also riskierte ich es und breitete ihnen meinen Plan aus, welchen ich während meines Arrestes ausgearbeitet hatte. Hier und dort gaben die Anderen ein paar Verbesserungen kund und innerhalb kürzester Zeit stand unser Vorhaben und der Plan dazu. Wir würden schon am nächsten Tage in das sicherste Gebäude der Stadt marschieren.
Dafür benötigten wir Kraft und die kann man nur mit einem ausgeruhten Körper aufbringen. Somit legten wir uns hin und nutzten die letzten Stunden der Nacht, um uns die nötige Ruhe zu gönnen.
Am Mittag sollte es losgehen.
Als ich wieder erwachte, schien die Sonne schon kräftig und vertrieb jegliche Dunkelheit. Es war noch nicht ganz Mittag und so weckte ich den Rest der Gruppe noch nicht. Der wachte auch so innerhalb der nächsten Stunde ganz von alleine auf. Pünktlich marschierten wir los. Ganz wie von Miles gewohnt, liefen wir nicht durch die Straßen, sondern machten uns die flachen Dächer der Stadt zu nutze. Unser erstes Ziel war mein Zuhause.
Ganz wie von mir gedacht, fand ich es dass Haus leer auf. Weder unsere Haushaltshilfe, noch meine Mutter befanden sich im Inneren, obwohl sie sich eigentlich um mich sorgen müssten. Aber den Gedanken schob ich einfach erstmal schnell beiseite.
Mit wenigen schnellen Handgriffen hatte ich drei weitere Taschen gefüllt, welche ich dann an meine Teammitglieder übergab. Die richtige Kleidung hatte ich ihnen auch besorgt. Mit einem Haarband band ich meine kruzen Haare hinten am Kopf zusammen und überprüfte im Fenster mein Aussehen. Ich sah ekelerregend normal und würdig aus, aber dies gehörte nun einmal zu unserem Plan.
Das sterile Erdgeschoss empfing uns vier. Hier war der erste Ort, an dem wir uns aufteilen mussten. Mithilfe meines Laptops half uns Zoey von hier aus. Über kleine Ohrstöpsel, welche ich irgendwo aus den Schubladen des Schreibtisches hervorgezaubert hatte, konnte sie sich mit uns verständigen, oder zumindest mit mir.
Mithilfe der von mit gestohlenen Karte gelangten Miles, Kelvin und ich in den Aufzug. Die Empfangsdame hatte uns kurz skeptisch angesehen, doch ein Blick auf die Karte in meiner Hand hatte gereicht.
Im Aufzug kramte ich die Karte des Turmes hervor. Die zwei Jungs staunten währenddessen über die Aussicht. Gleichmäßig stiegen wir in die Höhe und die Zeit wurde immer knapper.
"Zoey, ich brauche deine Hilfe. Kannst du den Fahrstuhl uns eine Etage noch höher fahren lassen?"
Meine aufsteigende Panik zeigte sich deutlich in meiner Stimme wieder. Wenn Zoey dies nicht schaffte, wusste ich nicht weiter. In der Etage über Alexanders Büro befand sich ein Zugang zu einem scheinbar versteckten und daher wohl relativ unbekannten Treppenhaus. Von dort kam man fast überall hin. Vielleicht auch ohne die richtige Karte.
"Zoey?"
"Ich versuche es, aber ich kann nichts versprechen, Cyana." antwortete sie mir endlich.
Die Jungs verstummten und blickten mich an. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich direkt, als sie mich sahen. Scheinbar war mein Gesicht von der Panik verzerrt.
Ich hatte aber auch wirklich Angst. Dies war noch ein relativ leichter Schritt, doch was passierte wenn wir jetzt schon scheiterten?
Der Fahrstuhl stoppte. Das mir bekannte rote Licht taucht die Kabine rötlich, doch anders als beim letzten Mal begann keine Stimme mit mir zu sprechen. Meine Hände zitterten.
Wir waren gefangen. Es gab keinen Weg hier heraus, unsere einzige Hoffnung saß über zehn Stockwerke tiefer und die Zeit rannte immer mehr davon.
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Paradise
Science FictionWie sieht das Paradies aus? Ich kann es euch sagen. Im Paradies gibt es genau fünf Regeln. Brichts du eine davon, dann verschwindest du aus unseren Reihen. Diese Regeln machen das Paradies aus. Sie machen es perfekt. Kein Ort der Welt ist so wie uns...