Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Gestern Abend war noch alles in Ordnung gewesen. Gestern hatte ich ihm noch zugehört, als er mir davon erzählte, wie er seine große Liebe kennengelernt hatte. Damals hatte ich vor Freude geweint, weil die Geschichte so unendlich zuckersüß war. Auch hatte ich gelacht, als er von dem ersten katastrophalen Date der beiden sprach und ich hatte geflennt, als ich hörte, dass sie gestorben war. Seine große Liebe schien wirklich perfekt für ihn gewesen zu sein, aber leider schien das Schicksal es einfach nicht gut mit den beiden gemeint zu haben. Als ich hörte, dass sie nicht einmal dreißig Jahre alt geworden war, überkam mich eine drückende Stimmung in meinem Magen. Doch Fabian hatte mich schnell wieder aufgemuntert. Gestern war ein fantastischer Tag gewesen. Gestern war alles noch in Ordnung.
Aber leider war es längst nicht mehr gestern und leider war heute gar nichts mehr in Ordnung. Erst kam dieses Schlamassel in der Bibliothek und nun war mein wohl einziger wahrer Freund wie vom Erdboden verschluckt. Ich hatte schnell gelernt, dass Gloy und Lissa schon sehr lange nicht mehr wirklich meine Freunde gewesen waren. Sie waren vielleicht noch alte Freunde, aber selbst dies glaubte ich nicht mehr wirklich. Mir erschien es eher so, dass ich den Erinnerungen mit den Beiden nachhing und deswegen mich noch mit ihnen traf.
Ich erinnerte mich gerne an meine Schulzeit. Dann schlich sich immer ein kleines Lächeln auf meine Lippen. In den Schulstunden haben Lissa, Glory und ich immer zusammen gesessen und sehr viel Spaß gehabt. Meine Noten waren einigermaßen gut gewesen, wenn nicht sogar besser. Schließlich würde ich bald Medizin studieren und dafür brauchte man einen ziemlich guten Notendurchschnitt. Doch noch besser als die Unterrichtsstunden waren immer die Pausen und Freistunden gewesen. Wir sind immer in das Café gegenüber der Schule gegangen und haben uns unterhalten.
Das waren noch schöne Zeiten. Auch damals dachte ich, dass noch alles in Ordnung gwesen war. Es wunderte mich, wie schnell sich diese Ordnung verändern konnte. Unser Schulabschluss war gerade einmal paar Monate her und doch erschien mir unsere Schulzeit so, als wären Jahre seitdem vergangen. Auf einmal war meine Ordnung eine vollkommen andere. Mich interessierten weder der neuste Klatsch noch die neusten Modeveränderungen, von denen es eigentlich nie wirklich viele gegeben hatte. Ich könnte mich niemals mehr einfach über etwas so banales unterhalten. Mir erschien es einfach als Zeitverschwendung.
Die Zeit mit Fabian hingegen war niemals Zeitverschwendung gewesen. Nie hatte ich in so einer kurzen Zeit so viel Interessantes und Neues gelernt.
Ich kannte nun schon viel mehr Details aus dem Leben vor dem Paradies. Selbst im Geschichtsunterricht der Schule hatten wir eigentlich nichts aus dieser Zeit gelernt. Zwar wurde uns von den drei Kriegen erzählt, aber diese beanspruchen gerade einmal eine Doppelseite in dem Lehrbuch. Bevor ich Fabian kannte, wusste ich gerade einmal, dass es drei Kriege gab. Ich hatte keine Ahnung davon gehabt, dass der erste Weltkrieg durch ein Attentat auf den östereichischen Thronfolger ausgelöst wurde, dass der zweite Weltkrieg nur wegen einem scheinbar verrückten Politiker namens Adolf Hitler zustande kam oder dass der dritte Weltkrieg nur fünf Monate andauerte. Nicht mal den blassensten Schimmer hatte ich davon gehabt.
Meine Schwester und ich gehörten zur vierten Generation, die in Paradise aufgewachsen waren, Fabian gehörte zur Zweiten. Er hatte von seinem Großvater noch die Geschichten aus erster Hand erzählt bekommen, denn sein Großvater hatte den letzten Krieg überlebt. Von ihm stammten, wie ich letztens erfahren durfte, auch die ganzen Antiquitäten. Nach dem Tod seines Opas hatte Fabian sie geerbt und war dafür als unwürdig erklärt worden, als er mit einem alten Gehstock in der Stadt entdeckt worden war. Diese Erklärung für seine Unwürdigkeit war einfach nur banal. Vor allem wenn man bedachte, dass er so viele 'schlimmere' Dinge versteckt gehalten hatte und der Gehstock allein gereicht hatte.
Doch nun war er verschwunden.
Wütend trat ich gegen die Ladentür und siehe da, sie öffnete sich. Dadurch wurde deutlich, wie wütend ich erstens war und zweitens wie kaputt dieser Tür sein musste. Ganz vorsichtig stieg ich über die ganzen Scherben. Nachdem ich mich mindestens dreimal geschnitten hatte, erreichte ich das Bücherregal.
Dieses Regal und die Uhr an der Wand waren die größten Schätze seiner Sammlung, zumindest war dies meine Meinung. Wenn er schon verschwunden war, sollte wenigstens seine Schätze in Sicherheit sein. Also schaute ich mich schnell nach einer Kiste um und fand auch schnell eine in der Ecke. In diese Kiste legte ich alle Bücher und stellte sie dann auf den Thresen.
Als nächstes versteckte ich die Uhr, da sie einfach viel zu Groß war, als dass ich sie durch die Straßen von Paradise tragen konnte.
Um die Uhr zu verstecken, musste ich hinter den Thresen treten. Dort sah ich eine weitere Kiste und einen Umschlag auf ihr. Schnell griff ich danach und öffnete ihn.
Der Brief im Inneren beinhaltete gerade einmal einen kurzen Satz und einen kleinen Schlüssel. Für meine kleine Leseratte. Diese Kiste war für mich bestimmt. Verwundert öffnete ich den Deckel und fand mehrere kleinere Kisten in ihr. Alle diese Kisten waren mit einer Samtdecke umhüllt worden.
Ich hatte irgendwie das Gefühl schnell verschwinden zu müssen, also klappte ich den Deckel wieder zu und nahm die beiden Kisten in meine Arme. Mit schnellen Schritten lief ich aus dem Laden und dies auch keine Sekunde zu früh, denn von weitem hörte ich laute Schritte und rufe durch die Gasse klingen. Flott rannte ich um das Geschäft herum und verschwand in eine kleinen Spalt zwischen dem Laden und dem Haus direkt daneben. Die Kisten schob ich vor mir in den Spalt. Vorsichtig und darauf bedacht nicht entdeckt zu werden spähte ich um die Ecke. Mehrere Männer bogen in die Straße ein und öffneten gewaltsam den Laden. Nur einer blieb vor dem Geschäft stehen und brüllte den anderen etwas zu. Er schien der Anführer von ihnen zu sein, denn sie folgten alle seinen Befehlen.
"Nimmt alles mit! Ich will, dass nichts mehr in diesem Schrottgeschäft zu finden ist!" brüllte er.
Nach und nach musste ich mit ansehen, wie sie immer mehr nach draußen trugen. Das Letzte war die alte Uhr und dieser Anblick stach ihr ins Herz. Diese ganzen Gegenstände bedeuteten Fabian alles und ich konnte nichts anderes tun, als dabei zuzusehen, wie sie davon getragen wurden. Mir blieb nichts anderes übrig, den sonst würde sie vielleicht entdeckt werden und dann wäre auch der Inhalt in den geretteten Kisten wahrscheinlich am Ende in den Händen dieser schrecklichen Männer.
Wieder fragte ich mich, was geschehen war? Wo war mein bester Freund nur geblieben?
Genau wo ist Fabian und was ist das für eine Kiste habt ihr Ideen? (Ich nicht wirklich deswegen frage ich. Vielleicht nehme ich eine eurer Ideen schließlich...)
Ich hatte heute meine letzte Erdkundeschulstunde für mein ganzes Leben... Wie schön das Leben doch sein kann!
Was ist euer absolutes Hassfach?
~Liv
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Paradise
Science FictionWie sieht das Paradies aus? Ich kann es euch sagen. Im Paradies gibt es genau fünf Regeln. Brichts du eine davon, dann verschwindest du aus unseren Reihen. Diese Regeln machen das Paradies aus. Sie machen es perfekt. Kein Ort der Welt ist so wie uns...