Kapitel 41

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Schockiert schloss ich das Buch und starrte erst einmal mehrere Minuten einfach an die gegenüber liegende Wand. Es war wirklich unvorstellbar, wie es scheinbar wirklich dazu kam, dass mein bester Freund in das Nordviertel kam.
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand freiwillig zu einem Aussätzigen der Stadt werden wollte. Doch gleichzeitig wusste ich schon, seitdem ich das erste Buch bei ihm gekauft hatte, dass Fabian wirklich eine spezielle Person war. Nun schaute ich auf meinen Freund noch einmal auf eine vollkommene andere Art und Weise.
Vorher war er der einzige Mann der Stadt, welcher die Geschichte der Menschen bewahren wollte, niemals hatte ich gedacht, dass er die wohl einzige Person ist, welche durch seine Unwürdigkeit gerettet worden sein konnte und aufgrund dieser Aktion überhaupt gezwungener maßen begann sich der Geschichte zu widmen.
Aber es war wirklich so.
Fabian hatte seine Leidenschaft gefunden. Er hatte sie durch den wohl schlimmsten Schicksalsschlages seinen zukünftigen Lebensinhalt gefunden.
All' diese Gedanken flogen innerhalb von Sekunden durch meinen Kopf. Ich brauchte wohl ein bisschen, um eine Gedanken wieder zu ordnen. So saß ich immer noch auf meinem Bett und starrte einfach nur die weiße Wand an, als mein Vater in mein Zimmer trat.
Auf einmal schreckte ich durch das Geräusch, welche die Tür beim Schließen stets verursachte, aus meinen Gedanken hoch und mit einer schnellen möglichst unauffälligen Bewegung versteckte ich das Buch unter meiner Bettdecke.
Ich wünschte mir einfach, dass mein Vater dies nicht bemerkt hatte. Die Hoffnung in mir stieg, als er sich einfach auf meinen Schreibtischstuhl setzte. Doch gleichzeitig hoffte ich nur ein paar Sekunden später, dass er es lieber bemerkt hätte und wir uns darüber unterhalten hätten, als über das, was er nun ansprach.
"Ich weiß, dass du das auf dem Video warst."
Als ich tief einatmete, zitterte mein Atem. Irgendwie versuchte ich mich auf das Gespräch vorzubereiten. Zuerst sagte ich einfach gar nichts dazu, ich antwortete ihm nicht, sondern atmete einfach weiter tief ein und aus. Langsam beruhigte sich meine Atmung ein wenig. Aber meinem Vater eine Antwort geben, konnte ich immer noch nicht.
"Willst du nicht langsam auch etwas dazu beitragen?"
Vorsichtig schüttelte ich meinen Kopf. Ich wollte wirklich nicht irgendetwas dazu sagen. Dazu kam noch, dass ich, wenn ich es gewollt hätte, nicht einmal gewusst hätte, was ich sagen könnte. Also blieb ich einfach ruhig und schaute meinen Vater nur an.
"Du scheinst dich nicht einmal verteidigen zu wollen. Also warst du es wirklich?"
Daraufhin nickte ich zögerlich. Was sollte ich auch lügen? Nie würde ich mich für diese Tat schämen, wie es mein Vater scheinbar von mir wollte. Natürlich verstand ich ihn irgendwie. Auch ich hätte gewollt, dass meine Tochter sich dafür schämte, dass sie ihre Zeit mit einem Unwürdigen verbringt und dabei gegen das Gesetz der Stadt verstoßen hatte.
Doch ich war nicht in der Lage mich für den schönsten Abend beziehungsweise für die schönste Nacht in meinem ganzen bisherigen Leben zu schämen. Ich hatte mich so lebendig gefühlt. Mein ganzer Körper stand unter Strom und ich hatte mich in dieses Gefühl verliebt. Warum sollte ich mich dafür schämen, gelebt zu haben?
"Warum hast du das getan, Kind? Findest du es nicht einfach nur dumm und leichtsinnig zu denken, dass dieser Abend nichts Schlimmes war?"
"Aber Vater du verstehst nicht. Für dich scheint dieses Video der Beweis für Dummheit, doch für mich ist es das nicht." versuchte ich ihm meine Sichtweise etwas verständlicher zu machen. Doch gleichzeitig wusste ich längst, dass dies unmöglich war.
"Du kennst die Regeln, Cyana. Meine Güte, du unterrichtest kleine Kinder in ihnen und ausgerechnet du scheinst sie komplett vergessen zu haben. Natürlich ist diese Aktion dumm gewesen!"
Sein wütender Ton ließ mich zuerst zusammen zucken. Noch nie hatte ich ihn wütend erlebt, zumindest nicht so hautnah. Schon häufiger hatte ich gehört, wie er diesen Ton bei Telefonaten mit seinen Angestellten oder Mitarbeitern gebrauchte, doch niemals hatte er so mit mir oder Annabeth gesprochen.
"Dachtest du wirklich, du kämst so leicht damit davon?" fragte er mich.
"Ich weiß es doch auch nicht. Vielleicht habe ich einmal etwas gemacht, worüber ich nicht erst Stunden drüber nachgedacht habe. Denn weißt du was, manchmal ist Spontanität das Beste, was man tun kann!" auch ich wurde etwas lauter.
"Scheinbar lebst du seit Neustem nach dieser Devise, junges Fräulein. Oder dachtest du etwa auch, wir hätten nicht bemerkt, wie verrückt du dich in letzter Zeit verhältst. Deine Mutter dachte, dass du vielleicht endlich einen guten Mann für dich gefunden hättest, doch jetzt wissen wir es ja besser. Einen Kriminellen hast du dir gesucht!"
Wieder zuckte ich zusammen. Miles war kein Krimineller. Er war so viel mehr, als die Person, welche sein Wohnort aus ihm machte. Mein Vater hatte doch wahrhaftig keine Ahnung von ihm.
"Du kennst ihn doch nicht einmal!"
"Ich kenne ihn also nicht. Dennoch weiß ich, dass er ein Unwürdiger ist und damit ist er wohl eindeutig kriminell. Aber du hast diese Tatsache wohl aufgrund der rosaroten Brille vollkommen vergessen!"
Bei seinen Worten legte sich ein Schalter in meinem Gehirn um. Die nächsten Worte spie ich abfällig aus. "Zumindest weiß er wie man lebt und was es heißt jemanden zu lieben!"
Stille breitete sich aus. Mein Gegenüber schaute mich an, als würde er seine Tochter nicht mehr wieder erkennen. Die Trauer konnte ich in seinen Augen sehen. Direkt bereute ich meine Worte.
Mein Vater wusste sehr wohl, was es bedeutet eine Person zu lieben. Immer hatte ich gewusst, dass er mich liebte. Er liebte mich genau wegen der kleinen Dinge, welche mich von der gemeinen Gesellschaft abhoben und welche meist mit komischen Kommentaren begutachtet wurden.
"Es tut mir leid Vater. Das meinte ich nicht so." bittend blickte ich ihn an.
Doch er schüttelte nur den Kopf. "Doch, Schätzchen, du hast es genau so gemeint. Auch mit tut es leid. Vielleicht war ich zu blind, um zu merken, wann und wie du dich verändert hast. Ich hätte dabei sein müssen. Mir tut es leid."
Seufzend stand er auf und näherte sich der Tür. Bevor er mich schlussendlich alleine ließ, drehte er sich noch einmal um. "Es tut mir zwar irgendwie leid, dir das sagen zu müssen, aber ich verbiete dir hiermit, dich weiter mit dem Jungen zu treffen. Damit du dich daran erinnerst, woher du kommst und wer du bist, hast du die nächste Woche erst einmal Hausarrest."
Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und die Stille umgab mich wieder.



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