Woche zwei

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Ich hatte es geschafft. Die Dance Academy hat mich aufgenommen. Mein Leben würde von jetzt an total aufregend sein. Der einzige Nachteil war, dass ich von Zuhause weggehen musste. Mein Zuhause ist etwas besonderes. Seit meine Mutter gestorben ist, kümmert sich mein Vater alleine um mich. Naja, nicht ganz allein. Meine Stiefnutter ist auch immer für mich da. Sie ist nicht unbedingt wie eine Mutter für mich. Viel mehr wie eine Tante, mit der man über alles reden kann. Sie hat meinen Traum Tänzerin zu werden von Anfang an unterstützt. Von da an, habe ich gelernt sie in meinem Leben zu akzeptieren. Und ich bereue es nicht.
Ich war vorher noch nie irgendwo die Neue. Hier ist es auf einmal so, als ob jemand auf der Schultafel alles weggewischt hat. Die Vergangenheit zählt hier nicht. Man hat nur eine Zukunft. Ich nahm meinen Koffer und betrat das Zimmer, das ich in den nächsten drei Jahren bewohnen würde. Alles war leer und ordentlich, doch das würde sich schnell ändern. Es ist wahr geworden. Von diesem Tag an durfte ich meinen größten Traum leben und das tun, was ich schon immer wollte. Meine Mitbewohnerin war Emily, ein Mädchen, das ursprünglich aus England kam. Sie war nett und freundlich, was mich sehr erleichterte. Wir stellten zusammen ein paar Regeln auf und waren uns schnell über die Betteinteilung einig.
Es dauerte nicht lange bis zu meiner offiziellen ersten Stunde. Emily und ich gingen getrennt zur Akademie, da sie immer früher aufstand, was mich etwas traurig machte. Sie sagte, sie würde früh Sport machen, um fit zu bleiben, also beschloss ich sie nicht darum zu bitten doch auf mich zu warten. Ich wusste entweder müsste sie später aufstehen oder ich früher. Und beides kam wohl nicht in Frage. Nichtsdestotrotz freute ich mich Kat, Tara und Sammy wiederzusehen, auch wenn ich Angst hatte, dass diese Bekanntschaft nur vorübergehend war. Im Tanzstudio legte ich meine Tasche ab und ging zu Kat, die auf einer Bank saß. “Hey, Kat!“, rief ich fröhlich und Kat grinste mich an. “Bella, ich hab mich schon gefragt wo du bleibst.“, lachte sie. Automatisch musste ich lächeln. Das bedeutete, dass sie sich auf mich freute und dass diese Bekanntschaft doch nicht nur vorübergehend war. Kurze Zeit später kam Tara auf uns zugelaufen, um uns zu begrüßen. Sie verteilte ein paar Umarmungen und lächelte uns fröhlich an. “Hey Tara Tiara. Ich freu mich so, aber wieso redest du denn mit Abigail?“, fiel Kat sofort mit der Tür ins Haus.
“Lass es. Ich weiß nicht, was zwischen euch los ist, aber heute fängt das erste Jahr an und ich möchte mit allen befreundet sein.“, erklärte Tara. Dieser Plan war niemals machbar. Man konnte nicht mit jedem befreundet sein. Das ging einfach nicht. “Oh und ich hätte gern ein Einhorn, aber leider musste ich lernen, dass es die nicht gibt.“, sagte Kat und ich lachte.
“Kat hat vielleicht recht. Man kann nicht davon ausgehen, dass alle einen mögen, Tara.“, sprach ich meinen Gedanken aus. Tara nickte, doch richtete ihre Aufmerksamkeit dann etwas anderem. “Hat das nicht wehgetan?“, fragte sie und deutete auf den kleinen Schmetterlinge auf Kats Schulterblatt. “Eh,komischerweise gar nicht.“ , antwortete diese und ging zur einer der Stangen.
“Willkommen zum ersten Jahr.“, begrüßte uns Miss Rain. “Die meisten eurer Freunde führen das Leben normaler Jugendlicher, doch ihr habt einen anderen Weg gewählt. Einen besonderen.“ Ihre Haare waren zu einem strengen Dutt hoch gesteckt und sie trug ein schwarzes knielanges Kleid, das sich ihrer Figur anpasste. “Drei Jahre lang werdet ihr hier Zuhause sein. Wir trainieren sechs Tage in der Woche. Das wird harte Arbeit wie die wenigsten Menschen sie kennen.“, machte Patrick weiter. Während wir an den Stangen trainierten, erklärte Miss Rain uns, dass die Akademie den Lehrplan erweitert hatte. Wir würden verschiedene Stilrichtungen kennenlernen, nicht nur klassisches Ballett, sondern auch Jazz Dance, Modern Dance, Ausdruckstanz, den uns, wie ich feststellte, eine waschechte Russin beibrachte, die ausschließlich in ihrer Muttersprache redete, und Hip Hop, worauf sich Kat am meisten freute. Am Ende der Woche gab es dann die Noten. “Der Rang, den ihr dort belegt ist so etwas wie eure Visitenkarte an der Akademie.“, sagte Miss Rain zum Schluss. Nach unserer Ballettstunde applaudierten wir und nahmen uns dann unsere Sachen. “Dass wir das jetzt jeden Tag machen, ich fass es nicht.“, sagte Tara voller Euphorie, was mich zum schmunzeln brachte. “Meine Damen, morgen erwarte ich euch zur Repertoire Stunde, mit Kenntnis des Kitri Solos aus Don Quixote.“, fügte Miss Raine am Ende hinzu, worüber ich mich sehr freute. “Samuel, Tara, kommt mal bitte her.“

Am nächsten Tag freute ich mich riesig über die Repertoire Stunde, schon bevor sie begonnen hatte. Tara durfte nicht mittanzen, da Miss Raine sie für noch nicht bereit dazu hielt. “Mach dir nichts draus, Tara. Das nächste Mal darfst du sicher mittanzen.“, sagte ich noch bevor Miss Raine den Raum betrat.
“Guten Morgen die Damen. Ich möchte eure Übungsfortschritte sehen. In Vierergruppen.“ Ich zögerte nicht lang, sondern gesellte mich zu den anderen Schülern. Ich nahm mir einen der Fächer, die wir benutzen sollten und begann zu tanzen, doch als ich Tara mitten in unserer Gruppe entdeckte, war ich verwirrt. Schließlich durfte sie nicht mittanzen. Zunächst dachte ich Miss Raine hatte es sich anders überlegt, aber sie hatte nicht mehr mit Tara gesprochen als sie in den Raum kam. Miss Raine schien Tara ebenfalls zu bemerken und stoppte die Musik. Sofort hörten wir alle auf zu tanzen und schauten in Miss Raines wütendes Gesicht. “Was glaubst du, was du da tust?“, fragte sie an Tara gewandt.
“Ich tanze.“, antwortete Tara. Miss Raine kam auf Tara zu. Bitte sag nichts falsches, Tara. Dieser Satz ging mir durch den Kopf während Miss Raine Tara unerfreut ansah. “So gut wie alle hier.“, ergänzte Tara selbstbewusst, doch das war ein Fehler.
“Wenn du das ernsthaft glaubst, liegst du falsch.“, erwiderte Miss Raine. “Deine Beine waren nicht gut. Hast kein Auswärts, verrenkst dir fast das Knie, ganz zu schweigen von den Fußgelenken. Dazu hast du die fehlende Koordination zwischen Oberkörper und Armen. Willst du noch mehr hören?“ Ich sah wie Abigail neben mir triumphierend grinste. Was auch immer sie Tara gesagt hatte, sie wollte, dass so etwas passiert. “Bitte, ich wollte ihnen doch nur-“, fing Tara an, wurde jedoch prompt unterbrochen.
“Fang nicht an mir zu widersprechen. Und untersteh dich hier zu weinen. Du kannst jetzt gehen.“ Tara sah unsere Lehrerin unsicher an. “Hörst du, raus!“, rief Miss Raine, was mich zusammenzucken ließ. Tara nickte und verließ dann weinend den Raum.

“Ach Tara ist so eine Süße. Sie tut mir so leid.“, sagte Abigail am nächsten Morgen in der Umkleide. Kat und ich sahen uns kurz an.
“Darf man auch wissen warum?“, fragte ich und verschränkte meine Arme vor der Brust.
“Offensichtlich gibt es hier eine Quote für Provinzler. Wahrscheinlich ist sie nur deshalb hier aufgenommen worden. Aber jetzt wo sie den Anschluss verliert, schicken sie sie wohl nach Hause. Ich meine, es wäre auch irgendwie nicht fair, wenn wir von ihr aufgehalten werden.“,sagte Abigail gespielt traurig.
“Ich finde nicht, dass sie irgendwen aufhält. Sie hat das Solo doch gut getanzt.“, verteidigte Sammy sie.
“Ja, als ob du was davon verstehst. Eh, was willst du überhaupt in der Mädchenumkleide? Es gibt schon abartige Typen auf der Welt.“ Entsetzt schüttelte ich den Kopf. Da war das perfekte Mädchen, dass niemals Fehler zu ließ, aber dafür sorgte, dass andere Fehler machten.
“Abigail, meine Mum sagt immer, wenn du über jemanden nichts Nettes sagen kannst, dann sei still.“, meinte Tara, als sie in die Umkleide gestürmt kam. Abigail drehte sich ertappt um und sah sie an. “Tara, ich dachte du packst.“ Sie setzte ein falsches Lächeln auf und sah Tara fragend an. “Wieso? Ich meine wozu, glaubst du eine verhauene Stunde reicht schon aus, dass ich aufgebe und mich verdrücke?“ In diesem Moment war ich beeindruckt von Tara. Sie hatte den Mut diesem Mädchen zu sagen, was sie dachte. Was alle dachten.
“Ich verstehe. Wenn du nicht fährst, dann werde ich mich offiziell beschweren. Ich sehe nicht ein, warum meine Ausbildung leiden soll wegen so einer Landschnalle, die immer noch-“ Abigail zeigte nun ihr wahres Gesicht und bevor sie zu Ende reden konnte, holte Tara aus und schlug ihr mit ihrem Ballttschuh ins Gesicht. Schockiert hielt ich mir die Hand vor den Mund und sah Tara mit geweiteten Augen an.

“Ein Kampf mit Spitzenschuhen. Das ist echt das größte, das ich je gesehen habe.“, lachte Kat, als wir das Tanzstudio betraten. Abigail hielt sich Taschentücher vor die Nase und ich wusste nicht, ob ich über Kats Worte schockiert sein sollte. Doch ich hatte mittlerweile gelernt, dass das einfach ihre Art war. Ich beobachtete wie Tara zu Miss Raine ging, um sich zu entschuldigen. Sie gab ihr die Spitzenschuhe, die Miss Raine lächelnd entgegen nahm. Lächelnd klopfte ich Tara auf die Schulter. “Ich bin stolz auf dich.“ Das war die erste Woche. Die Rangliste stand fest. Jetzt wusste ich, wo ich stehe. Tara stand ganz unten. Doch wenn man ganz unten steht, bleibt einem nur eine Richtung, in die man gehen kann.
Was das Tanzen angeht werde ich auf Miss Raine hören. Aber meine Freunde suche ich mir selbst aus. Wenn man es an die Akademie schafft, ist es ein bisschen so wie am Neujahrstag. Man fasst lauter gute Vorsätze, was man wie machen will, und dann bricht man sie alle. Denn egal wo du bist, auch wenn es Tausende Kilometer von Zuhause weg ist, du bleibst doch immer du selbst. Und manchmal ist das ein ganz tolles Gefühl.

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