Traumpaare

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Margot Fonteyns berühmtester Partner war Rudolf Nurejew. Als sie sich kennenlernten war sie 43 und der Star in der englischen Ballettwelt. Nurejew war 24 und noch ein Geheimtipp aus Russland. Auf den ersten Blick hatten sie wenig gemeinsam, aber wenn sie gemeinsam tanzten, hatte man den Eindruck, als hätten sie einen Körper. Eine Seele. Das klassische Ballett hat sich seither nicht sehr verändert. Jeden Tag machen wir die gleichen Übungen und einmal pro Semester nehmen uns unsere Lehrer unter die Lupe. Auf der Suche nach Fehlern. Aber der Zauber, den Fonteyn und Nurejew hatten, lässt sich nicht von Lehrern benoten. Es war eine stumme Übereinkunft, die zwei Menschen verbunden hat. Und nachdem sie einmal entstanden war, konnte sie nicht mehr zerbrechen. “Okay, dann sehen wir uns morgen früh um neun zu einer genauen und hoffentlich erfreulichen Beurteilung des Pas de Deux.“, sagte Saskia am Ende des Tages.
“Wir prüfen dann auch das erste und dritte Jahr, also kann es sein, dass ihr etwas warten müsst. Und denkt dran, ihr seid dafür verantwortlich, dass ihr rechtzeitig aufgewärmt und startklar seid.“, fügte Patrick hinzu. Christian war seit der Sache mit Tara nicht gut drauf. Sie hatte sich eingemischt und herausgefunden, wo Christians Vater wohnte, was er eigentlich schon längst wusste, nur wollte er ihn nicht sehen. Er sagte, Tara würde ihn ständig verändern wollen. Vielleicht hatte er ja recht. Vielleicht aber auch nicht. Vielleicht war es ihr einfach nur wichtig, dass er glücklich war.

Den Rest des Tages verbrachte ich mit Üben, jedoch allein, da ich Christian nirgendwo finden konnte. Doch auch am nächsten Morgen war er unauffindbar und ich war mir sicher, dass Tara etwas damit zu tun hatte. Als Tara und Ben mir entgegen kamen, sah ich Tara böse an. “Wo ist er?“, fragte ich.
“Auf jeden Fall vermeidet man solchen Stress.“, murmelte Ben vor sich hin, doch als ich ihm einen bösen Blick zuwarf, schwieg er. Wir hatten heute Prüfungen, da war mir nicht nach Scherzen. “Wer?“, fragte Tara verwirrt.
“Christian!“, sagte ich.
“Christian ist nicht da?“ Sie war ziemlich schockiert darüber. “Scharfsinnig erkannt, Tara. Wir wären als nächste dran.“, erklärte ich ihr. Das war eine Katastrophe.

Nervös blickte ich durch die Scheibe, um Grace und Sammy zuzusehen. Nebenbei versuchte ich ständig Christian zu erreichen, doch er ging einfach nicht ran. Panik machte sich in mir breit, als ich aufgerufen wurde. Frustriert schnappte ich mir meine Tasche und betrat den Raum. Allein. “Tut mir leid, mein Partner ist nicht da.“, sagte ich und schaute die Lehrer nervös an.
“Wo ist Christian?“, fragte Saskia mich.
“Ach, der hat's auf der Brust. Er hustet sich die Lunge aus, aber... ich tanze es mit ihr.“ Verwundert schaute ich Sammy an. In letzter Zeit sprühte er voller Energie. “Ja, Samuel sollte nochmal die Gelegenheit haben uns etwas zu zeigen. Und diesmal besser.“, sagte Miss Raine und sah Sammy streng an. “Anfangsposition.“ Grace verließ den Raum und Sammy und ich stellten uns auf Position. Miss Raine startete die Musik, also begannen wir zu tanzen. Alles lief gut bis Sammy mich tatsächlich fallen ließ. Genervt sah ich ihn an. Mit Christian wäre das nie passiert.
Mein Rücken schmerzte unfassbar, weshalb Sammy und Saskia mich aus dem Raum brachten. Als ich sah, dass Tara mit Christian redete, oder mit seiner Mailbox, nahm ich ihr das Handy aus der Hand. “Wenn jetzt mein Rücken kaputt ist, dann ist das deine Schuld, Christian!“, sagte ich sauer und gab ihr das Handy dann wieder.
“Ach komm, Dr Wicks wird dir sicher gleich helfen können.“, sagte Sammy und zog mich weiter. Der konnte was erleben, wenn er wieder auftauchte.

Genervt lag ich auf der Liege im Krankenzimmer, während Sammy sich auf dem Stuhl im Kreis drehte. “Du. Nervst.“, sagte ich, woraufhin Sammy mich entschuldigend ansah. Als sein Handy klingelte, ging er sofort ran, nachdem er mir mitgeteilt hatte, dass es die Arbeit ist. “Hey, Jess.“, begrüßte er seine Chefin fröhlich. “Was? Nein, nein, ich habe abgeschlossen.“ Sein Gesichtsausdruck änderte sich schlagartig. “Ich habe keine Ahnung, wie das gelaufen ist.“ Wenige Sekunden später legte er auf und trank einen Schluck von seinem Energydrink. “Sammy, du hast mir mein Steißbein gebrochen.“, zickte ich ihn an und sah dann zu wie er aus der Flasche trank.
“Das Röntgenbild sieht gut aus, Isabella. Es ist nur eine leichte Prellung.“, sprach Dr Wicks, als sie den Raum betrat. Erleichtert darüber atmete ich aus. “Du siehst blass aus, wie fühlst du dich denn?“, fragt Dr Wicks an Sammy gewandt, der sich auf die Brust klopfte. Verwirrt setzte ich mich auf. “Ich habe so ein Druckgefühl in der Brust.“, sagte er qualvoll, was mich die Augen verdrehen ließ. Manchmal konnte ich Abigail wirklich verstehen. Dr Wicks gab ihm eine Papiertüte, in die er ein und ausatmen sollte. Dann legte er sich auf die Liege, während ich ihn anstarrte. Er sah aus, als würde er jeden Moment sterben. “Meine Familie wünscht sich ein traditionelles jüdisches Begräbnis, aber mir wäre eigentlich eine Feier am Strand lieber. Weißt du, meine Lieblingsmusik, ein paar typische Sammy-Geschichten, ein bisschen Tanz... Notier dir das.“ Völlig entgeistert sah ich ihn an. War das sein ernst? Dr Wicks miss den Blutdruck und sah Sammy dann ernst an. “So, zwanzig tiefe Atemzüge, wenn du wieder Panik kriegst.“ Sammy verdrehte die Augen.
“Das war keine Panikattacke. Es ist mein Herz, Sie müssen ein EKG machen.“, sagte er dann.
“Puste.“, wies Dr Wicks ihn zurecht und schaute sich dann das Getränk an, das Sammy schon seit Tagen trank. “Wie viele davon hat er denn getrunken?“, fragte sie mich.
“Ist es ein Zuckerflash? Er verträgt Energy Getränke anscheinend ganz schlecht.“, sagte ich und sah dann zu Sammy.
“Und viel zu viel Koffein. Kein Wunder, dass dein Herz rast. Das ist flüssiges Gift. Und wie fühlst du dich jetzt?“ Sammy hörte auf in die Tüte zu blasen.
“Es ist so seltsam. Ich sehe meinen Namen in Leuchtbuchstaben.“
Ich klatschte mir mit der flachen Hand gegen die Stirn.
“Du wirst überleben. Jedenfalls wenn du aufhörst das zu trinken.“, sagte Dr Wicks und warf die Flasche in den Müll.

“Riechst du das? Das Wasser am Hafen. Die Apfelblüten in deinem Shampoo.“, sagte Sammy, als wir nach draußen gingen.
“Du hattest eine Überdosis Energydrinks. Keine Nahtoderfahrung.“, entgegnete ich und rollte die Augen.
“Sogar die Zickigkeit in deiner Stimme klingt schön für mich.“
“Die hörst du nur, weil dieser Tag so scheiße ist.“, sagte ich und sah ihn an. “Ist das ganze Arbeiten nicht sinnlos, wenn du die Prüfungen nicht schaffst?“, fragte ich vorsichtig.
“Aber ich falle nicht durch. Ich kriege ein Stipendium. Du hast mich heute im Pas de Deux gesehen, ich war super.“, widersprach Sammy mir. “Das ist Unsinn, falls du dich gut gefunden hast.“ Enttäuscht sah Sammy mich an.
“Ist das dein ernst?“, fragte er. “Sammy...“, begann ich vorsichtig, “Im Vergleich zum letzten Jahr, bist du schlechter.“

Christian kam vorsichtig auf mich zu, als er mich sah. Sammy und ich übten gerade für die Prüfung, dich ich wiederholen durfte. “Es tut mir leid.“, sagte er und sah mich an. Mit verschränkten Armen stand ich vor ihm. “Ich habe dich ersetzt. Von dir will ich nichts mehr.“, log ich und sah ihn sauer an.
“Nein, du bist sicherer mit Christian. Ich bin nicht zu gebrauchen, wenn ich nicht geschlafen habe.“, widersprach Sammy, woraufhin Christian leicht grinste. Christian sah mich erwartungsvoll an. Seufzend gab ich nach. “Nur, dass du es weißt. Für die Prüfer hast du eine Infektion.“

Margot Fonteyn und Nurejew hatten auch andere Tanzpartner. Es war nicht die gleiche Harmonie, aber es war auf eine andere Art brillant. Das ist das Schöne am Pas de Deux. Man muss nicht die ganze Last allein tragen. Wenn die Verbindung stark genug ist, dann weiß man auch bei einem Solo, dass man nicht allein ist. “Da bist du ja wieder.“, sagte Tara, als sie uns zusammen sah.
“Nicht deinetwegen.“, gab Christian von sich, “Meinetwegen. Ich will mir meine Chancen nicht verbauen.“ Das ist wahrscheinlich das schwierigste an einer Beziehung. Wenn man merkt, dass man loslassen muss und nur hoffen kann, dass der andere, den Weg zu dir zurückfindet.

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