Mein Leben auf Spitze

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Ich habe meine ersten Spitzenschuhe so geliebt, dass ich sie mit ins Bett genommen habe. Vor dem Unterricht habe ich Stunden damit verbracht vorsichtig meine Füße und die Schuhe vorzubereiten. Aber mich konnte nichts vorbereiten wie sehr es weh tun würde auf Spitze zu tanzen. Es ist ein Erlebnis brutaler Schmerzen. Blasen. Blut. Es ist unmenschlich. Bis man sich eines Tages daran gewöhnt. "Ich kann nicht fassen, dass du meine große Überlegenheit dir gegenüber verdrängst.", hörte ich Ethan zu Christian sagen. Er ging auf Tara zu und strahlte sie an während ich meine wunden Füße versorgte. "Wer ist besser, sag's mir, er oder ich?" Ich verdrehte die Augen, als er das sagte. Dass Tara sein Ego auch noch pushte, indem sie ihm mit Du antwortete, hätte ich kotzen können. Ethan Kamarakov war mit Abstand der größte Idiot, den ich kannte. Ja, man kann sich wirklich alles mögliche einreden. "Und mir ist auch nicht entgangen, dass du heute den Unterricht geschwänzt hast.", hörte ich eine Stunde später die Stimme von Miss Raine. Nicht einmal im Wohnhaus war man sicher vor ihr. "Es war doch nur Jazz Dance. Ich dachte, das wäre in ihrem Sinne.", scherzte Kat.
"Der Tag ist nahe, an dem du erfährst, dass deine Scherze zum Boomerang werden, Katrina." Erst jetzt bemerkte Miss Raine mich. Ich schaltete den Fernseher aus und stand auf.
"Guten Abend.", begrüßte ich sie so freundlich es ging und schaute dann zu dem Mädchen, das mit einem Koffer durch die Tür gestolpert war. Sie war blond und trug diesen pinken Schal um den Hals, als wäre es unfassbar kalt hier. "Das ist Petra Hoffmann. Austauschschülerin der Ballettschule Berlin.", stellte Miss Raine sie uns vor. Ich lächelte Petra freundlich an. "Sie zieht mit in dein Zimmer." Kat weitete die Augen. "Petra, einfach alles ignorieren, was sie sagt. Willkommen an der Akademie.", lächelte Miss Raine und ging.
"Eine Standardansage. Die Lehrer in Deutschland sind kein Deut besser.", fing Petra an zu sprechen, als Miss Raine verschwunden war.
"Na dann. Ich bin Bella.", stellte ich mich freundlich vor.
"Petra Hoffmann, willkommen im Chateu Kamarakov.", strahlte Kat und öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Das Zimmer sah aus als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall auf dem Boden lagen Kats Klamotten. "Kein Wunder, dass Tara freiwillig zurück zu Abigail gezogen ist.", bemerkte ich und bekam prompt ein Kissen dafür ins Gesicht. "Das da ist dein Bett. Schmeiß die Sachen einfach runter.", sagte Kat und legte sich auf ihr Bett. Ich sah Petra aufmunternd an. "Viel Glück.", sagte ich und ging dann auch. Nach oben in mein eigenes Bett.

Ich genoss fröhlich mein Mittagessen am nächsten Tag. Es war ein windiger Tag. Deswegen trug ich eine Jacke. Meine Haare hatte ich zu einem Zopf gebunden damit die Haare mir nicht ins Gesicht wehten. "Und war es das wert?", fragte Ethan Kat. Er und Tara gesellten sich zu uns an den Tisch. "Lass mich nachdenken. 15 echt große Bands, die du dir zusammen mit Tausend Menschen anhörst, von denen niemand ein Wort über Ballett verliert. Einen ganzen Tag lang. Ja, das war es wert.", erzählte Kat stolz und entlockte mir ein Lachen.
"Miss Raine hat mich abgefangen nach Jazz. Sie weiß, dass du nicht da warst.", beichtete Tara.
"Ich habe schon mit ihr gesprochen. Wisst ihr, sie hat erst sehr lang zugesehen, als Lucas und ich uns geküsst haben und dann was gesagt. Ist doch seltsam oder?" Kat verzog das Gesicht und aß dann von ihrem Essen. "Genau so war es bei mir und Isabelle. Etwas gruselig finde ich.", erzählte Ethan.
"Können wir bitte nicht über sowas reden während ich esse?", fragte ich angewidert und bekam stattdessen ein Lachen von allen.
"Hallo wer sitzt hier?", fragte Tara an Ethan gewandt.
"Bitte, das ist so lange her, ich erinnere mich kaum noch dran." Dann beugte sich Ethan vor und küsste Tara. Angewidert stellte ich meinen Teller zurück. "Okay, das war's. Mein Hunger ist offiziell weg." Neben mir bewegte sich ein Stuhl und ich entdeckte Petra, die ein Foto von Ethan und Tara schoss.
"Oh Entschuldigung.", kam es von ihr, als Tara und Ethan sie überrascht ansahen.
"Petra Hoffmann, sie kommt aus Deutschland. Das sind Tara Webster und Ethan, Kats Bruder. Zwei Turteltäubchen.", stellte ich ihr die anderen vor.
"Was ist mit dem Foto?", fragte Ethan neugierig.
"Ach wenn es dir nicht gefällt, dann lösch es." Petra reichte ihm die Kamera.
"Petra sammelt nämlich ÖLB.", erzählte Kat. Verwirrt sah ich Petra an.
"Und das heißt?", fragte Ethan genauso irritiert.
"Dein großes Hobby. Öffentliche Liebesbeweise.", antwortete Kat.
"Nur Fotos davon.", erklärte Petra. Tara schaute sich das Foto genau an. "Ich finde es wirklich gelungen.", lobte sie Petra.
"Ja, jetzt bist du ja auch Knutschexperte nicht wahr?", fragte ich und wackelte mit den Augenbrauen. Ethan fing an zu lachen und Tara sah mich mit einem vernichtenden Blick an.
"Katrina. In mein Büro. Und zwar sofort.", kam es von Mr Kennedy. Er wirkte ziemlich sauer. Kat seufzte. "Na toll."

Es war die erste offizielle Ballettstunde von Petra, aber sie wirkte alles andere als aufgeregt. Sie zog sich sogar ihre Spitzenschuhe an, als wir uns zusammen aufwärmten. "Das wir nur an der Stange üben,weißt du oder?", fragte Abigail. Petra schaute zu ihr hoch und nickte. "Hi, ich bin Petra.", lächelte sie.
"Du brauchst keine Spitzenschuhe beim Aufwärmen zu tragen.", machte Abigail weiter ohne sich vorzustellen. "Später als Profis haben wir sie doch auch an. Da kann man sie doch auch jetzt schon tragen.", widersprach Petra. Dann stand sie auf und ging an die Stange. Grinsend ging ich zu Kat. "Deine Mitbewohnerin klaut Abigail den Platz.", flüsterte ich und deutete auf Petra. Sie stand vorne an der Stange. Dort wo Abigail sonst immer war. "Wie schön, Zickenalarm. Find ich gut.", sagte Kat und folgte mir zur Stange. Während der gesamten Stunde wurde Abigail kritisiert und Petra hoch gelobt. Was Abigail am meisten frustete war die Tatsache, dass sie an der Stange bleiben sollte, statt mit uns zu tanzen. Und dann zu sehen wie Petra das ganze Lob bekam, machte sie wahnsinnig. "Petra ist wirklich unglaublich perfekt. Findest du nicht, dass sie unglaublich ist?", schwärmte ich, um Abigail zu ärgern. Kat und ich liefen jeweils neben ihr her während Abigail einfach gerade aus lief. "Ja, unglaublich.", antwortete Abigail kalt.
"Wenn ich sie so ansehe, dann weiß ich wieder, wieso ich tanzen lernen wollte.",sagte Kat, doch Abigail ignorierte sie. Lachend verzog ich mich dann mit Kat. Karma war schon eine coole Sache.

Als Tara das Wohnhaus betrat, legte ich meine Zeitschrift weg und ging auf sie zu. "Hey wie war dein Turteltaubennachmittag?", fragte ich. "Unsanft und abrupt beendet.", antwortete Tara unmotiviert. "Wie war Kats Ausflug in die Sklaverei?" Kat musste als Strafe bei einem Workshop für Kinder helfen. "Überraschenderweise nicht übel.", antwortete ich.
"Ich dachte, sie hasst Kinder?" Ich nickte.
"Dachte ich auch. Das zeigt wie wenig wir über sie wissen." Ich öffnete die Tür zu Kats Zimmer und sah sie an. "Wer hat mein Laken geklaut?", fragte sie. Verwirrt sah ich mich um, als ich ein Bellen wahrnahm. Aus dem Schrank stolperte ein kleiner Hund und sprang auf Kats Bett. "Ein Hund?", fragte ich entsetzt.
"Oh nein.", hörte ich Petra hinter mir. "Sie war allein und hatte sich verwirrt. Ich musste sie mitnehmen.",erklärte sie.
"Du brichst sämtliche Regeln.", sagte Kat amüsiert.
"Nein, das tue ich gar nicht.", verteidigte sie sich.
"Petra du bist gerade in meiner Achtung enorm gestiegen. Widersprich nicht.", meinte Kat stolz. Der Hund knabberte an ein Paar Sandalen, die ganz sicher von Kat waren. Ich seufzte. "Wir können hier keinen Hund halten. Wir müssen seine Familie finden."

Wir hangen in der halben Stadt Plakate an Bäume und Säulen, um jemanden zu finden, dem der Hund gehörte. Dummerweise verlor Tara den Hund und wir mussten ihn suchen. Wir stellten die halbe Stadt auf den Kopf. Letztendlich fand Petra den Hund, den wir Siggy genannt hatten, in einem Park. Sie brachte ihn dann zu einer Familie, die sich dank der Flugblätter gemeldet hatte. Erschöpft ließ ich mich auf mein Bett fallen, um nachzudenken. Ich schaute auf meine Collage von Fotos. Auf ihnen war so gut wie jeder von uns. Sogar Ethan. Als ich das erste Mal auf Spitze getanzt habe, war mir nicht klar, wie sehr ich mir selbst etwas vormache. In Ballettschläppchen kann man vieles vortäuschen. Aber wenn das gesamte Körpergewicht auf zwei Zehen ruht, gibt es keine Chance mehr für Schummeleien. Jede Schwäche ist zu erkennen. Alles fällt zusammen, was man sich aufgebaut hat.

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