Auszeit

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Am letzten Tag des Semesters, wenn die Ferien schon bevor stehen, dann wird alles irgendwie unscharf. Es ist so, als hätten wir monatelang die Luft angehalten. Die letzte Prüfung zieht sich endlos lange hin. Als müssten wir bis in alle Ewigkeit im Studio bleiben. “Sag es ruhig, Lucy.“, begann Grace. Miss Raine erhob sich von ihrem Stuhl und sah uns alle an. “Ich danke euch. Ihr könnt gehen.“, sagte sie mit einem Lächeln. Und dann ist es vorbei und wir können wieder durchatmen. Schnell schnappte ich mir meine Sachen und ging mit Tara in die Umkleiden, um mich umzuziehen. Dies war jedoch überflüssig, denn als wir nach draußen gingen, war alles nass. Es hatte nicht geregnet, falls ihr das denkt. Die Leute bewarfen sich nur gegenseitig mit Wasserballons. “Ich dachte, wir können jetzt mal reden, da die Prüfungen vorbei sind.“, sprach Tara Christian an.
“Das hört sich gar nicht nach Spaß an. Und jetzt geht das hier erstmal vor.“, lachte er und widmete sich wieder den anderen Leuten. Immerhin war er freundlich gewesen.
“So sind Jungs. Kleine Hirne, kalte Herzen.“, sagte Grace. “Los, komm zu meinem Mädchenabend. Wenn der vorbei ist, kennst du nicht mal mehr seinen Namen.“

“Ich glaube, du musst dein Handy aufladen.“, sagte Ethan belustigt, als er neben mir herlief. Ich fragte mich, was er am Nachmittag in der Akademie zu suchen hatte. Ich war nur hier, weil ich mein Handy vergessen hatte. Die letzten Tage bin ich nicht ans Telefon gegangen, sobald ich seinen Namen auf dem Display gesehen hatte. “Wir haben Prüfungswoche, Ethan. Das ist wichtiger, als Privatgespräche mit dir zu führen.“, erklärte ich ihm.
“Achso, und ich nehme an du machst auch keine Ferien, da der Prix de Fontayne bevorsteht.“ Lachend verdrehte ich die Augen. “Wie scharfsinnig. Die Proben beginnen morgen.“, sagte ich und streckte ihm die Zunge raus.
“Ich habe ein paar Ideen für ein neues klassisches Solo.“, sprach Ethan und nun wusste ich, was er wollte. Seufzend blieb ich stehen und sah ihn an. “Du willst wieder mit mir arbeiten?“, fragte ich, um sicher zu gehen, dass ich recht hatte.
“Ja, und ich freu mich schon drauf.“ Er lächelte mich an und steckte die Hände in die Hosentaschen. Dieses verdammte Lächeln.
“Ja, nur leider setzt die Beziehung Tänzer und Choreograf Vertrauen voraus.“, sagte ich.
“Gut, also wenn ich das richtig einschätze, geht's darum, dass sich Grace mir neulich an den Hals geworfen hat, oder?“, fragte er mich und sah mich erwartungsvoll an.
“Das ist ja wohl nicht von ihr ausgegangen.“, sagte ich und verdrehte die Augen. Ich kannte Ethan. Er machte sich an jedes Mädchen ran. “Hier treibt jemand seine Spielchen, Bella. Und ich bin das nicht.“ Ich ignorierte ihn und ging dann nach draußen.

“Na komm, Tara. Lass deine Gefühle raus.“, sagte Grace und bewarf das Plakat, auf dem Christian zu sehen war mit einen Ei. Nie hätte ich gedacht, dass ich meine Zeit mal mit Grace und Abigail verbringen würde. Aber vielleicht irrte ich mich ja, was Grace anging. Oder Abigail. “Das kann ich nicht. Er sieht so traurig aus.“, sagte Tara.
“Halt die Klappe und schmeiß ihm das Ei ins Gesicht.“, sagte Abigail genervt. Grace und ich fingen an zu lachen. “Wer sagt, dass die Ballettmädchen nicht Party machen können?“, hörten wir Kat trällern. Fröhlich umarmte ich sie, was Tara ebenfalls tat. “Wie ist die Prüfung in Geschichte gelaufen?“, fragte sie gleich hinterher.
“Also, was viel interessanter ist, meine Agentin hat einen Haufen Freikarten für die South Dockers heute. Nur für unter 18-Jährige.“, verkündete Kat fröhlich.
“Und?“, fragte Grace.
“Anscheinend drehen sie dabei ein Video und brauchen noch Profitänzer.“ Beeindruckt sah ich sie an. “Also mich und Freundinnen.“ Grace sah Kat an.
“Wir haben den Abend schon durchgeplant, klar, Kat?“, sagte sie etwas zickig.
“Hey, Grace. Sei nicht böse, aber ich würde da gerne hin.“, sagte Tara entschuldigend.
“Ja, ich auch.“, stimmte ich zu, was Grace nicht so richtig erfreute.
“Darf sie nicht einen Abend mal tanzfrei haben?“, fragte Grace und sah Abigail an. “Wir gehen auch.“, gab sie dann nach. Abigail war wenig begeistert. “Oh, toll.“

Wir Mädels machten uns alle in Grace' Zimmer fertig. Kat war schon längst bereit, also saß sie auf dem Bett und lächelte, als sie auf ihr Handy sah. “Von wem? Von Ben?“, fragte Tara neugierig. Ich wandte meinen Blick vom Spiegel ab, vor dem ich mich schminkte. “Verfolgt er dich noch?“, lachte ich.
“Keine Sorge, irgendwann wird's ihm langweilig.“, entgegnete Grace und reichte Tara ein Oberteil aus ihrem Schrank. “Sag nicht sowas. Ich möchte, dass eine von uns verliebt ist, wenn ich es schon nicht bin.“, gab Tara von sich. Abigail drehte sich genervt zu uns um. “Okay. Hört jetzt sofort mit diesem Geqatsche über Jungs auf. Okay?“ Belustigt schminkte ich mich weiter.
“Ich glaube, ich schaff das nicht.“, gestand Tara.
“Mit Schwarz kannst du nichts falsch machen.“, erwiderte Kat.
“Ich kann gar nicht so normal tanzen.“ Entgeistert sahen wir Tara an. “Wie bitte?“, fragte Grace.
“Sie meint unstrukturiert, ohne Choreografie. Das geht vielen halb ausgebildeten so.“, erklärte Abigail und erntete einen bösen Blick von mir. Musste sie immer so negativ sein? “Vielleicht geh ich nach Hause und häng da traurig rum.“ Tara gab Grace bedrückt die Sachen wieder. “Ach hör nicht auf sie. Ich zeig dir mal wie man locker tanzt.“, sagte ich, legte meinen Pinsel weg und ging zu Tara.

Noch bevor wir losgingen, machten Grace und Abigail ein paar Selfies während Kat und ich Tara zeigten, wie man normal tanzt. “Christian wäre das voll peinlich, wenn er das sehe. Er muss ja immer so cool sein.“, sagte Tara. Sie hörte einfach nicht auf über ihn zu reden. Als wäre sie besessen von ihm. “Er ist zu cool, um darüber zu reden, was los war. Erst sagt er, er liebt mich und dann stößt er mich weg.“ Ich setzte mich zu Grace und Abigail und lächelte in die Kamera, was Grace zum Lachen brachte. Fotobombing war doch was schönes. “Das war echt unfair.“, bestätigte Kat Taras Aussage. “Irgendwann wird er einsehen, dass ich, klar, die Richtige für ihn bin und dann kommt er wieder an und ich sag 'sorry, du hast deine Chance verpasst'.“ Genervt rollte ich mit den Augen. “Okay, jetzt quatsch nicht. Mehr Hüftschwung.“, wies ich sie an und beobachtete sie beim Tanzen.
“Kat, jetzt lass mich mal ran.“, sagte Abigail und stellte sich zu Tara, um mit ihr zu tanzen.
“Willkommen auf der Party Armstrong.“, lachte Kat und sprang auf das Bett. “Na kennst du den noch?“ Kat machte einen Move, woraufhin Abigail lachen musste und selbst auf das Bett sprang, um den Move nachzumachen. Die Party konnte steigen.

“Okay Ladies. Ich bewahre offiziell Taschen und Handys auf. Her damit.“, sagte Grace und ich reichte ihr mein Handy.
“Hallo, ihr vier. Die Karten bitte.“, bat uns der Türsteher.
“Eh wir sind von der Anne Black Agentur. Vier.“, sagte Kat und der Türsteher sah auf seine Liste. Dann nickte er.
“Schönen Abend wünsche ich.“, lächelte er und ließ uns durch. Fröhlich gingen wir weiter und tanzten uns das Leib aus der Seele. Als Sammy, Ben und Christian auftauchten, begrüßten wir die drei fröhlich. “Hey, Sammy!“, lachte ich und umarmte ihn. Schnell schnappte ich mir ihn und fing an mit ihm zu tanzen. Wenige Minuten später ging das Licht aus und wir widmeten uns der Gruppe auf der Bühne. Diese Typen waren hammer Tänzer, ich war verdammt neidisch darauf. Ihre Bewegungen passten einfach perfekt zu der Musik. Laut applaudierten wir und jubelten ihnen zu.

“Hier für euch.“, sagte Sammy und reichte uns ein paar Getränke. Dankend nahm ich es an.
“Toll, was zu trinken. Bin am verdursten.“, sagte ich und trank einen Schluck.
“Die sind unglaublich. Danke, dass ihr uns reingeschleust habt.“, sagte Ben zu Tara und mir, aber wir wussten nicht, wovon er sprach.
“Wir doch nicht. Ich dachte, ihr hättet Karten gekauft.“, sagte ich verwirrt. “Nein, Tara hat Christian 'ne Nachricht geschickt.“ Fragend sah ich Tara an.
“Irgendjemand, aber ich war es nicht.“, antwortete sie.
“Das war Kat.“, mischte sich Grace ein.
“Eh, wie bitte?“, fragte Kat.
“Du schickst ihm doch heute andauernd SMS.“ Fragend sahen Tara und ich sie an.
“Woher willst du das wissen?“, fragte Abigail.
“Danke, Abigail“, sagte Kat.
“Hey, Leute, was ist? Willst du ihr Handy sehen?“ Grace reichte Tara Kats Handy.
“Wieso schreibst du was an Christian?“, fragte Tara. Das würde Drama geben. Beleidigt ging Tara und verschwand in der Menge. Das war das, was Grace Spaß machte. Sie spielte gerne Spielchen. Ethan hatte recht gehabt.

Kurze Zeit später gesellte sich Tara wieder zu uns. Ben und ich tanzten mit Tara, um sie ein wenig aufzumuntern. Richtig cool wurde es dann, als Sammy von den Tänzern auf die Bühne geholt wurde. Jubelnd sahen wir Sammy zu, wie er das Beste aus sich herausholte. Laut klatschten wir und kamen ebenfalls mit auf die Bühne. Diesen Abend würde ich nie vergessen.

Am nächsten Tag verließ ich nach dem Unterricht die Akademie zusammen mit Abigail. Man konnte wirklich Spaß mit ihr haben. Sie war verbittert und eines der perfekten Mädchen, vor denen ich mich immer in Acht genommen hatte. Aber vielleicht waren die perfekten Mädchen gar nicht so perfekt. “War doch lustig gestern Abend.“, sagte Grace fröhlich, als sie uns erblickte. “Ja, war super wie du Kat ausgetrickst hast.“, sagte Abigail sarkastisch.
“Ich geh dann mal.“, sagte ich und ließ die beiden alleine reden, als ich Ethan erblickte. Schnell lief ich ihm nach und ging neben ihm her. “Ethan, ich habe fünf Sekunden bis zum Prix Kurs und eine Frage.“, sagte ich. “Wenn du die Choreo für mein Solo machst, werde ich dann auch erwähnt?“ Ethan lachte leicht und sah mich an. “Nein.“, sagte er und stupste mich kurz mit seinem Ellbogen an. Lachend verdrehte ich die Augen. “War ja klar.“

Während der Prüfungen kann ich es kaum erwarten aus der Akademie rauszukommen, aber erst wenn ich wieder dort bin, hat mein Leben einen Sinn. Wenn ich hier bin, halte ich die Luft an. Und wenn ich woanders bin, kann ich nicht atmen. Aber wenn ich tanze, weiß ich wenigstens woran ich arbeiten muss. Es gibt die Möglichkeit es besser zu machen.

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