Dance Academy

Zweite Chancen

Frühaufsteher. Untersuchungen von Schlaumeiern haben ergeben, dass die meist positiver und super erfolgreich sind. Positiv sein, das ist das Entscheidende. Klar, ich hatte wirklich Grund deprimiert zu sein. Hatten wir alle. Aber Trübsal blasen brachte mich nicht in die Company. Auf keinen Fall. Die zweite Expertenerkenntnis, regelmäßige Bewegung und Lächeln führen beide dazu Endorphine freizusetzen. Die natürlichen Wirkstoffe gegen Traurigkeit. Wenn ich so weiter machte, war ich bald super drauf. Und wenn ich super drauf war, war das Leben für mich wie eine Sahnetorte. “Hey!“, rief ich fröhlich und hüpfte zu Christian auf die Couch. Er hatte es sich dort gemütlich gemacht und die Nacht verbracht. Auch Ben und Ollie stützten sich sofort auf den Jungen, der sich verschlafen die Augen rieb und genervt brummte. “Leute, es ist noch Nacht.“, sagte er.
“Bist du wieder da oder was ist?“, fragte ich und ignorierte seine Aussage. Christian setzte sich langsam auf. “Ich dachte mir, ich kann genauso gut hier das Jahr abhängen.“
“Abhängen? Du hast ja keine Ahnung wie hart die Kurse jetzt sind.“, warf Tara entgeistert ein.
“Ich bin fünf Minuten wieder da und sie organisiert gleich mein Leben.“, meinte Christian und legte sich lachend wieder hin. Schmunzelnd schüttelte ich den Kopf. Sogar Tara lachte leicht. Er war endlich wieder da.

“Die Füße mehr auswärts, das kann doch nicht so schwierig sein!“, rief Miss Raine in strengen Ton, so wie wir es alle gewohnt waren. Mühsam bewegte ich mich zur Musik und versuchte meine Schritte gleichmäßig zu machen. Perfektion war das A und O an der Academy. “Ist Madame Petrova wieder auferstanden?“, hörte ich jemanden fragen. Die Musik erstummte und völlig außer Atem drehte ich mich zur Tür. Ich dankte innerlich dem Mann dafür, den Unterricht zu stören, weil ich dringend eine Pause vertragen konnte. “Madame Petrova hätte uns als Schüler niemals solche Schludrigkeiten durchgehen lassen.“, lachte Miss Raine. Plötzlich schien sie zu strahlen. Aus irgendeinem Grund änderte sich ihre Stimmung, sobald er den Raum betrat. “Ah, da hat sie recht. Madame hat uns mit dem Spazierstock geschlagen. Meine zarte Haut kriegte sofort blaue Flecke.“, erzählte der Mann und ging auf Miss Raine zu, um sie herzlich zu begrüßen. Amüsiert beobachtete ich das Szenario. “Schüler, darf ich vorstellen? Marcus Kane. Künstlerischer Leiter des Austin Balletts.“, stellte Miss Raine ihn vor.
“Lucy hat mich aus meiner Ferienstimmung gerissen, um dem zweiten Jahrgang mein Wissen darzulegen. Das dauert vielleicht 15 Minuten.“ Miss Raine lachte, was mich verwirrt die Stirn runzeln ließ. Sie lachte fast nie.

“Kat, sag ihm, dass er nicht so zum Vorstand gehen kann.“, sagte Tara, als ich die Treppe runter kam. Christian trug ein blaues Tanktop und Shorts. Das, was er üblicherweise eben tat. Mein Blick blieb an Abigail hängen, die brutal versuchte ein Puzzle-Stück zu den anderen Teilen hinzuzufügen. Angeblich hatte sie das Drüsenfieber oder etwas in der Art. “Kat, sag Tara, dass ich da nicht mit Schlips und Kragen vortanze.“, entgegnete Christian und griff nach einem Donut.
Christian war nunmal wie er war. Doch Tara war Tara und diese würde ihn niemals so zum Vorstand lassen, vor dem er erklären musste, wieso er erst jetzt aufgetaucht war. Ohne etwas zu sagen, verließ ich das Gebäude. Den Stress wollte ich mir nicht antun.

“Als ob ich mit ihm zusammen sein will. Er hat letztes Jahr so eine vage Erklärung abgegeben, aber... Unterbrecht mich, wenn ich zu viel von Christian rede.“, sprach Tara aufgeregt, während ich eine Schüssel Müsli verdrückte. Kat wandte sich vom Kühlschrank ab und sah Tara an. “Ist völlig okay.“, sagte sie.
“Er denkt wirklich, dass ich klammere.“, machte Tara weiter.
“Wie ein Äffchen.“, fügte ich hinzu und bekam dafür einen entsetzten Blick von ihr. Grinsend aß ich einfach weiter. “Kommst du mit und bewunderst uns ganz hinten im Chor?“, fragte ich an Kat gewandt.
“Äh, ich glaube, ich hau mich mal ein bisschen hin.“, sagte Kat.
“Alles okay sonst?“, hakte Tara nach.
Doch Kat zeigte einfach nur grinsend einen Daumen nach oben. Ich stellte die Schüssel weg, schnappte mir meine Tasche und verschwand dann mit Tara.
Christian verbrachte immer noch die Nächte auf der Couch. Wir hatten extra Spenden gesammelt, damit er bleiben konnte, falls er es endgültig mit dem Stipendium verspielt hätte. Also, positiv denken und handeln. Wie lange musste ich das durchhalten? Denn von super drauf sein war ich weit entfernt. Ich war mit meinen Freunden auf der Akademie. Ich hatte die Chance etwas aus mir zu machen.