Auf dem Holzweg

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Beim Ballett kennt man immer den nächsten Schritt. Die Regeln haben sich in den letzten Jahren gar nicht geändert. Aber es kann nicht alles ewig so bleiben. Wir müssen etwas neues lernen. Auch wenn wir uns mit jeder Faser dagegen streuben. “Für 'nen jüdischen Mittelschichtsjungen aus Rosebay groove ich Hip-Hop-mäßig, Kat. Was geht Alter?“ Sammy wollte Christian einen High Five geben, doch dieser sah ihn nur entgeistert an und ging an ihm vorbei. “Weißt du, es klingt schon gewollt, wenn du nur die Worte Hip Hop sagst.“, meinte Kat und sah Sammy ernst an.
“Hip?“, fragte Sammy.
“Oh nein.“, lachte ich.
“Hop.“ Ich blickte zu Tara, die auf Ethan zurannte und ihm eine CD in die Hand drückte. “Das tut sie nicht.“, murmelte ich schockiert.
“Doch, sie tut es.“, sagte Sammy. Entgeistert sahen wir Tara an, als sie auf uns zukam.
“Hast du meinem Bruder gerade 'ne CD geschenkt?“, fragte Kat überrascht. “Es sind nur ein paar Tanznummern.“ Genervt gingen wir den Flur entlang. “Ich bin doch nur freundlich. Ich habe echt versucht nicht an ihn zu denken, aber ich schaffe es einfach nicht.“, jammerte Tara.
“Sie hat es wirklich versucht, Kat.“, verteidigte Sammy sie.
“Nicht intensiv genug.“, half ich Kat und sah Tara streng an. Das musste einfach ein Ende haben.

“Verknallt sein kann man nunmal nicht steuern.“, sagte Sammy. Ich saß auf dem Boden, um mich für die nächste Stunde zu dehnen.
“Danke, mehr sag ich ja nicht.“, sagte Tara und blickte uns an.
“Aber die ganze Sache ist doch nicht echt.“, erwiderte Kat genervt.
“Aber für mich schon.“ Seufzend stand ich auf.
“Okay, aber musst du das unbedingt so offen zeigen?“, fragte Kat.
“Tara, du bist so unauffällig wie ein Monster Truck.“, bestätigte ich Kats Aussage.
“Wenn ich nichts tun würde, dann würde ja nie was passieren.“, sagte Tara.
“Tja, Tara. Du kannst CDs brennen bis der Arzt kommt. Tatsache ist, wenn ein Junge dich mag, macht er den ersten Schritt.“, meinte Kat und verstaute ihre Tasche in einem der Fächer.
“Das ist doch total altmodisch.“, stöhnte Tara.
“Aber wahr.“, trällerte ich und grinste Tara an.
“Da hat sie recht.“, half uns Sammy und erntete einen Lacher von Abigail. “Du hast doch keine Ahnung, Lieberman.“
“Ich bin ein Junge. Ich weiß schon bescheid.“, antwortete er genervt. “Ich staune wirklich über dich, Kat. Weißt du, Feministinnen haben gekämpft und sind gestorben und haben ihre Unterwäsche verbrannt und dass nur, damit wir auf Anrufe warten?“ Womöglich hatte Tara recht. Jedoch änderte es nichts an der Tatsache, dass Ethan ein Idiot war und er sie früher oder später verletzen würde.

“Kat, es wird nicht aufhören.“, begann Sammy. Wir saßen an unserem Stammplatz und aßen zu Mittag, jedoch ohne Tara.
“Traurig, aber wahr.“, seufzte ich. “Und wieso nervt ihr sie dann?“, fragte Sammy.
“Ach, wenn Ethan sie wirklich bemerkt hätte, hätte er inzwischen was unternommen. Ich will ihr nur Schmerzen ersparen.“, verteidigte sich Kat.
“Lasst sie doch verknallt sein.“ Ich schaute ihn an.
“Es geht doch nicht darum, dass sie überhaupt verknallt ist. Es ist einfach nur der falsche Kerl, Sammy.“, sagte ich und aß meine Pommes.
“Oh ich verstehe dieses ganze verknallt sein Ding nicht.“, entgegnete Kat genervt.
“Ja, klar.“, lachte ich.
“Ja.“, sagte Kat und schwieg dann. Überrascht sahen wir sie an. “Ehrlich?“, fragte ich.
“Ehrlich.“
“Was ehrlich?“, fragte Sammy hartnäckig und Kat nickte. “Du warst noch nie in jemanden verknallt? Jemanden, den du jeden Tag siehst. Also jemanden, mit dem du viel machst und den du täglich siehst. Ich meine du atmest die selbe Luft ein, die der andere ausatmet.“, erklärte Sammy und langsam war ich verwirrt.
“Und du sagst das alles, weil du...“, begann Kat.
“Hör zu, ich sag ja nur. Wir können Gefühle nicht kontrollieren, auch wenn sie sinnlos sind. Manchmal ist es so, dass sie an dir nagen.“ Kat verzog das Gesicht.
“Klingt schmerzhaft.“ Sammy nickte. “Ja es ist quälend.“ Ich wunderte mich tatsächlich, ob Sammy von jemandem besonderes sprach.
“Hey, worüber redet ihr drei gerade?“, rief Tara und hüpfte fröhlich auf uns zu.
“Nichts.“, sagte ich lächelnd und aß weiter. Aufeinmal piepte Taras Handy. Sie holte es aus ihrer Tasche und sah auf das Display. “Oh, ich muss los.“, sagte sie lächeln.
“Wohin?“, fragte Sammy.
“Zur Probe.“
“Wieso?“, fragte ich nun misstrauisch. “Ja, wieso?“, fragte Kat auch und schnappte sich Taras Handy.
“Nein, gib es zurück. Was soll denn das?“ Kat hielt das Handy so weit es ging weg und las die Nachricht. “Unglaublich, das ist Ethans Stundenplan. Und wo er zu Mittag isst. All so blödes Zeug.“ Kat schmiss das Handy in meine Richtung. Ich fing es auf und schaute auch auf das Display. “Nein, das ist Stalking Tara!“, sagte ich und warf das Handy zu Sammy. Lachend sahen wir zu wie Tara versuchte an ihr Handy zu kommen, jedoch vergebens.
“Alles gelöscht.“, sagte Sammy und gab der enttäuschten Tara ihr Handy wieder. “Das wars Tara.“, sagte ich. “Ciao Tara.“

“Ist euch auch was aufgefallen an Sammy?“, fragte Kat Tara und mich in der Ballettstunde.
“Noch mehr als sonst?“, stellte ich die Gegenfrage und lachte.
“Ich habe echt das..  ach schon gut.“ Neugierig sah ich sie an.
“Was?“, lachte ich und setzte mich zu ihr auf den Bode. 
“Ich habe so ein Gefühl. Ich weiß nicht, vielleicht intepretiere ich das total falsch, nur ich...“ Tara verdrehte die Augen.
“Rede Kat, los.“, drängte sie.
“Oh ich tue das echt ungern, aber ich glaube er steht auf mich.“ Entsetzt sahen wir Kat an.
“Was?“, fragten Tara und ich wie aus einem Mund.
“Er hat es heute Mittag praktisch zugegeben.“ Ich lachte.
“Niemals. Nein, du hast was falsch verstanden.“, sagte ich.
“Es passt alles zusammen.“ Tara blickte nach draußen zu Sammy, der die ganze Zeit Grimassen zog.
“Ist das flirten?“, fragte Tara. “Das ist übel.“, sagte sie.
“Ich weiß. Fang niemals was mit einem Freund an.“, meinte Kat.
“Das weiß sogar ich.“, sprach Tara. Belustigt schüttelte ich den Kopf. “Ihr habt 'nen Knall.“

Wir liefen den Flur entlang und hörten Musik aus einem der Räume. Tara blieb sofort stehen und sah Kat und mich an. “Er ist hier.“ Verwirrt sah ich sie an. “Wer ist hier?“, fragte ich. Kat sah sie ebenfalls fragend an. “Ethan. Ich sagte doch, das innere GPS. Es existiert ein Magnetpol in mir, der von ihm angezogen wird, ehrlich. Das funktioniert über Kilometer.“ Ich war sprachlos.
“Okay, es reicht. Er ist mein Bruder. Hör auf mit ihm.“, zischte Kat und mampfte ihren Riegel.
“Hey Tara.“ Ethan kam auf uns zugelaufen und ich konnte nicht fassen, dass sie recht hatte, dass er in der Nähe war. “Danke für die CD. Ich werde eine der Nummern morgen benutzen.“, lächelte Ethan und ging dann mit Isabelle und Christian an uns vorbei.
“Das ändert gar nichts.“, sagte Kat und ging. Das war alles zu komisch.

Nachdem Kat dachte Sammy hätte sich in Tara verknallt, er ihr aber versichert hatte, dass er in keinen von beiden verknallt wäre und er klargestellt hatte, dass sie gar nicht erst nach mir fragen sollten, mussten wir was anderes versuchen. Tatsache war, dass Sammy wirklich verknallt war. Er wollte uns nur nicht sagen in wen und das wollten wir herausfinden. Was besseres als ihn zu Kats geheimen Ort zu schleppen, um ihn dort auszukitzeln fiel uns nicht ein. “Ich weiß nicht, was ihr von mir wollt. Lasst mich los.“, lachte Sammy, als wir uns über ihn beugten und kitzelten.
“Erst wenn du es uns sagst.“, lachte ich.
“Was denn?“, fragte er unschuldig.
“In wen du verknallt bist.“, entgegnete Kat.
“Hört auf. Leute lasst den Mist einfach.“, lachte Sammy.
“Ich weiß, ich weiß, es ist Abigail.“ Tara und Kat lachten laut los, doch als wir Sammys Gesicht sahen, verstummten wir alle und ließen ihn los. “Das darf nicht dein ernst sein.“, brach Tara die Stille.
“Ich habe es nicht mit Absicht gemacht.“, antwortete Sammy. “Verräter.“, kam nur aus Kat.
“Es tut mir leid, okay? Aber sie macht mich einfach wahnsinnig. Und das Herz macht nunmal was es will. Tara?“ Tara schüttelte einfach nur den Kopf. Das durfte einfach nicht wahr sein.

Ich lehnte an der Wand und dachte darüber nach, wie es wäre wenn Abigail und Sammy ein Paar wären. Die Vorstellung machte mir irgendwie Angst, doch Sammy hatte recht. Er hatte es sich nicht ausgesucht. “Er ist hier.“, fing Tara wieder an, doch ich ignorierte sie. Die Grundregel beim Ballett lautet jede Bewegung so schön wie möglich auszuführen. Aber manchmal sollte man durchaus gegen die Regeln verstoßen. Und wenn man dagegen verstoßen hat, kann man seine eigenen Regeln aufstellen. Es ist dann kein Ballett. Es ist etwas neues. Ich setzte mich in den Raum, um Isabelle und Christian dabei zuzusehen wie sie Ethans Choreografie tanzten. Es war eine Mischung aus Ballett und Hip Hop. Ein Regelbruch, der etwas vollkommen Neues erschuff. Und etwas Neues, bedeutete nicht automatisch etwas Schlechtes.

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