Dance Academy

Belastungsgrenze

Mein erstes Paar Spitzenschuhe hielt ein Jahr und als es dann kaputt war, habe ich es in unserem Garten vergraben. Inzwischen tanze ich so viel, dass ich froh bin, wenn die Schuhe eine Woche halten. Spitzenschuhe müssen weich sein, denn dann sehen die Füße am besten aus. Aber sie müssen ausreichend stützen, damit man sich nicht verletzt. Das Problem ist, es besteht nur ein kleiner Unterschied zwischen eingetragen, abgetragen und verschlissen. Ich würde sagen, alles und jeder hat seine eigene Belastungsgrenze.

Ethan und ich probten in letzter Zeit viel zu wenig, weshalb ich nun das tat, was ich sonst nie machte. Ihm hinterherlaufen. “Ich habe jetzt einen festen Job, Isabella. Ich habe Proben mit der Company.“, versuchte er mir zu erklären.
“Und ich habe nächste Woche Vorentscheidung und du bist mein Choreograf. Wir sollten also diese Woche jeden Tag proben.“ Ethan lachte leicht.
“Ich korrigiere dich. Ich bin ein Choreograf, nicht dein Choreograf. Ich habe dir einen Gefallen getan. Du kannst gar nichts fordern.“, sagte er, als wir die Treppen hochgingen und vor Kat stehen blieben. Sie wollte unbedingt wieder an die Akademie und campierte nun seit zwei Tagen hier. “Hervorragend, setzt du dich mal eine Sekunde? Ich war nicht mehr auf dem Klo seit ich-“, begann Kat, doch als Ethan die Flasche mit einer gelben Flüssigkeit in die Hand nahm, stoppte sie. “Nein, nein, das ist kein Apfelsaft.“ Angewidert setzte er den Deckel wieder drauf und stellte die Flasche hin. “Das ist echt eklig.“, merkte ich an. “Hey,du campierst hier doch nicht für Tickets.“, begann Ethan.
“Was? Das ist nicht die Schlange für Lady Gaga?“, fragte Kat sarkastisch und ließ mich auflachen.
“Nein.“, sagte Ethan gespielt ernst und lachte dann selbst. “Miss Raine reagiert bestimmt nicht auf so 'nen Quatsch. Du kannst sie nur ernsthaft überzeugen.“
“Ich will deinem Ersatzpapa ja nicht recht geben, aber vielleicht solltest du es wirklich anders probieren.“, mischte ich mich ein. “Also, wegen den Proben...“, begann ich, doch Ethan verdrehte die Augen und ging. Was für ein Idiot.

Zusammen feierten wir am Abend, dass Kat es tatsächlich noch einmal an der Akademie versuchen durfte. “Ich würde dir gerne beim Training helfen, aber Saskia sitzt mir im Rücken.“, sagte Tara.
“Das wörtlich. Wie geht's dir jetzt?“, fragte Ben sie. Sie zuckte mit den Schultern.
“Leider bin ich dir auch ein schlechter Freund. Ollys Nachhilfe ist brutal. Daher der Nahrungsbedarf.“, erklärte Sammy und griff nach Kats Chinanudeln.
“Du weißt doch, ich esse, wenn ich nervös bin.“, entgegnete Kat und zog ihm das Essen weg.
“Und happy.“, sagte Sammy. “Verfroren.“, ergänzte ich. “Gelangweilt.“, fügte Christian hinzu. “Ha, ha, ha.“, sagte Kat wenig belustigt.
“Und ich schmiede Pläne, um Ethan dazu zu kriegen zu proben.“ Geschockt hielt ich mir den Mund zu. “Habe ich das wirklich gesagt? Ich kling ja schon wie Abigail. Ich glaube, das färbt auf mich ab.“ Die anderen lachten nur.
“Christian und ich können dich in Form bringen.“, meldete sich Ben zu Wort und Christian nickte bestätigend. “Ich danke euch vielmals, aber das ist gar nicht nötig. Erinnert euch mal, ich habe das ganze Jahr getanzt. Ich könnte nicht besser vorbereitet sein, wenn ich naja...“, begann Kat. “Vorbereitet wär?“, beendete Sammy ihren Satz. Kat nickte. “Mhm.“

“Ethan und du hatten recht, okay? Jetzt wird es wirklich ernst.“, sagte Kat jammernd.
“Das stimmt zwar, aber ich bin im Moment zu beschäftigt. Ich konnte Ethan endlich überreden zu proben und wenn ich jetzt absage, dann war's das.“, erklärte ich ihr. “Du brauchst einen Trainer, der dich diszipliniert...“ Ich wurde immer leiser, als Abigail in den Raum kam. “Abigail, du bist genau richtig.“, grinste ich.
“Für was?“, fragte sie.
“Für Kat. Ich glaube, ihr kennt euch. Jetzt sollte sie jemand an die Belastungsgrenze bringen.“, sagte ich grinsend.
“Ich glaube, mir fällt schon was ein.“, versuchte Kat es, aber ich ließ sie nicht. “Wie kommst du darauf, dass ich Kat helfen würde?“, fragte Abigail mich. “Weil ich eine Gegenleistung erwarte, dafür, dass ich jetzt deine Mitbewohnerin bin.“ Verständnislos sah sie mich an. “Ich bitte euch, es ist für euch beide von Vorteil. Du solltest nicht so zwanghaft sein und du musst dir mehr Zwang antun.“ Beim Letzeren blickte ich Kat an. “Also, ich erwarte von euch was ganz besonderes.“

Am nächsten Morgen unterstützten wir alle Kat. Sammy hatte seine Prüfung und Kat hatte das Vortanzen für das erste Jahr. Manchmal weiß man erst, dass etwas zerbrochen ist, wenn es zu spät ist, um daran etwas zu ändern. Du kannst die Risse verdecken, aber du weißt, dass sie da sind und dass sie jederzeit auf dich lauern. “Nervös?“, fragte Tara Kat. “Echt hungrig. Meine Eingeweide fressen sich selbst auf.“, erklärte Kat nervös. “Hey, wo ist Christian bei dem wichtigen Ereignis?“, fragte ich. Kat zupelte nervös an ihrem Dutt rum, doch Abigail schlug ihr auf die Hand. “Lass die Frisur in Ruhe.“, sagte sie. “Die nächste Gruppe bitte. Und Katrina.“, kam es von Miss Raine.
“Du wirst prima sein.“, sagte ich lächelnd und umarmte Kat kurz.
“Viel Glück.“, kam es von Sammy. Als Christian sich zu uns gesellte, sah Grace ihn an. “Keine Sorge, du hast nichts verpasst.“