Nur Leichtes Gepäck

380 8 0
                                    

Die Ureinwohner unseres Landes meinen, dass zwischen dem Geist der Menschen und dem Land eine Verbindung bestanden hat. Aber im Laufe der Zeit wurde sie getrübt. Darum haben sie ein Reinigungsritual geschaffen. An diesem besonderen Ort geht es darum die bösen Geister hinter sich zu lassen. Wahrscheinlich soll man so die Dinge ablegen, die einen zurück halten. Unser Gepäck. Ich weiß, dass ich viele überflüssige Koffer habe. Mit Sachen, die ich geliebt habe, aber aus denen ich nicht rausgewachsen bin. Aber trotzdem verschiebe ich immer wieder das große Entrümpeln. Obwohl es mir danach viel besser gehen würde. Ich meine, wer reist nicht gerne mit leichtem Gepäck? Nach der Aufführung, blieb eine Frau mit einer Gruppe von Kindern zurück. Eines davon, ein kleines Mädchen ging auf die Frau zu und hielt ihr Balettschuhe entgegen. "Hast du in den Schuhen getanzt, Tante Summer?", fragte sie mit ihrer niedlichen Stimme. Freudestrahlend nahm die Frau, die anscheinend Summer hieß, die Schuhe entgegen. "Oh ja. Die Julia hab ich auch mal getanzt. Mit Zack." Ein paar fingen an leicht zu lachen.
"Kommt doch alle bitte mal her!", rief Zack und bekam die volle Aufmerksamkeit von uns. "Das ist Summer. Wir haben früher zusammen getanzt und Summer lädt uns morgen zu einer traditionellen Begrüßungszeremonie ein. Wir bleiben einen Tag länger auf Tournee."
"Meldet euch, wenn ihr morgen bei den Dance Academy Schülern eine Stunde haben wollt.", widmete sich Summer an die Kinder, die sich sofort meldeten. Mir war nicht klar, dass wir sie unterrichten sollten. "Unterrichten.", meinte Christian lächelnd. "Das wird gut."

"Und Ben, ein schöner Auftritt. Gute Technik wie immer. Aber wer den Romeo bei der Festivalaufführung tanzt, hab ich noch nicht entschieden.", sprach Zach, nachdem die Kinder mit Summer gegangen waren. "Christian ist in jedem Fall ein ernstzunehmender Konkurrent."
"War denn die Leidenschaft und der Schmerz zu spüren bei ihrem Tod?", fragte Tara kritisch nach.
"Eher Zuneigung und milde Trauer. Das echte Gefühl der Trauer habt ihr beiden noch nicht eingefangen.", erklärte Zach, was Tara enttäuscht aufseufzen ließ. Aufmunternd blickte ich sie an und tätschelte ihre Schulter.
"Nicht so wie sie es mit Christian einfängt, Sir?", warf Ollie ein und brachte Abigail damit zum Lachen. Sofort warf ich ihm einen finsteren Blick zu. "Das trifft wohl den Nagel auf dem Kopf.", murmelte Abigail belustigt. Obwohl ich mich mit ihr besser verstand denn je, war sie immer noch fies. Aber so war sie nunmal. Sogar noch im dritten Jahr. Dabei sollte das letzte Jahr doch eigentlich das beste sein.

Während Tara sich mit Ben davon geschlichen hatte, widmete ich mich am nächsten Tag einer kleinen Gruppe von Mädchen. Ich versuchte so gut es ging ihnen ein paar Basics zu zeigen. Im Gegensatz zu mir, die alles ruhig und sanft erklärte, war Abigail eine Tyrannin und Ollie gab mit seinen Moves so an, dass er die Kinder eher verängstigte. Doch nicht so sehr wie Abigail die Kinder verschreckte, indem sie sie anschrie wie Miss Raine es manchmal gerne tat, so dass Wes eingreifen musste. Christian hingegen schien ein echt guter Lehrer zu sein. Er zeigte ihnen Schritt für Schritt alles langsam und genau. So lernten es die meisten sehr schnell. Als Tara plötzlich in den Raum kam, blickte ich sie überrascht an. Entweder ging ihr erstes Mal mit Ben sehr schnell oder es hatte nicht stattgefunden. Und so wie Ben aussah, traf eher letzteres zu.

Nach dem Ritual, das wir vollzogen hatten, habe ich Tara nicht mehr gesehen. Sie stritt sich mit Ben und war die ganze Zeit sehr seltsam drauf ehe sie einfach verschwand. Mir war nicht klar, dass die Vergangenheit sie immer noch einholte. Sie hatte es aufgegeben mit leichtem Gepäck zu reisen. Das ist ein unmögliches Prinzip. Es häuft sich eben viel an. Jede Erfahrung, die wir machen, jeder Mensch, dem wir begegnen gehören zu unserer Geschichte. So wie ein Tagebuch. Wahrscheinlich merkt man erst, wenn man etwas aussortieren will, wie viel es einem bedeutet. Ob man es will oder nicht. Es gibt Dinge, die sind für immer eingraviert. Man wird sie nicht los.

Dance Academy Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt