Dance Academy

Wendepunkte

Ich kannte mal ein Mädchen aus Patchewalling. Sehr brav, sehr naiv und ungeküsst. Mit einem großen Talent für peinliche Situationen. Ich hingegen war schon immer sehr direkt gewesen. Manchmal etwas zu direkt. Dennoch habe ich wunderbare Schulfreunde, eine Familie, die hinter mir steht und ab dieser Woche startete mein zweites Semester an der National Academy of Dance. Dieses Semester würde einfach der Wahnsinn werden. Ich lief draußen herum und entdeckte Abigail auf einem Stuhl sitzen. “Hey.“, begrüßte ich sie.
“Du bist früh zurück.“, stellte sie fest. “Ja, mein Dad und meine Stiefmutter müssen arbeiten und da mir alleine Zuhause langweilig ist, dachte ich, ich komme früher wieder.“, erklärte ich ihr. “Und wie geht's dir?“, fragte ich sie. “Super. Danke, dass du gefragt hast.“ Sie stand auf, nahm ihre Sachen und ging. Sie bedankte sich nicht wirklich. Aber ihr musste es besser gehen. Man hörte es daran, dass sie wieder typisch Abigail war. Ich schaute mich um und sah Christian an einem anderen Tisch sitzen. Er war in ein Buch vertieft. Zumindest sah es so aus. “Hey Schlitzauge.“, rief ich. Er hob den Kopf, hielt nach mir Ausschau und grinste dann. Dann klappte er sein Buch zu, sprang auf und landete keine drei Sekunden später neben mir. “Hey.“, sagte er. “Schöne Ferien gehabt?“, fragte ich neugierig.
“Hast du gewusst, das Gloria aus der Cafeteria seit dem Maracujatortenvorfall nicht mehr mit dem Putzmann Edgar redet? Und das war 2002.“, erklärte er mir und ich lachte. “Dann kennst du das Buch ja jetzt auswendig.“, lobte ich ihn.
“Kann man sagen.“

Tara war auch früher wieder da, da sie Privatstunden bei Miss Raine hatte. Da Christian und ich nichts zu tun hatten, gingen wir zu ihr ins Studio, wo sie erstmal von mir durchgeknuddelt wurde. Nicht viel später kam Kat zu uns, jedoch nicht allein. Ein Typ hatte den Arm um sie gelegt. “Hey Schätzchen,ich bin wieder da!“, rief Kat fröhlich und wurde stürmisch von uns begrüßt. “Seit wann bist du wieder da? Wie war Europa? Und Natascha hat dich im Hotel eingesperrt?“, plapperte Tara drauf los. Sie ließ Kat nicht mal richtig zu Atem kommen. “Tara, Bella, ich stell euch meinen Freund vor. Und ihm stell ich euch vor. Also umgekehrt, ihr wisst ja.“, sagte Kat und gestikulierte wie wild mit den Händen rum. “Machst du schon 'ne offizielle Sache draus? Ich dachte wir halten nur Händchen.“, lachte der Junge und griff nach Kats Händen. “Meine alte Mitbewohnerin ist zum Halbjahr ausgesiebt worden und deswegen ziehst du bei mir ein.“, trällerte Kat fröhlich, woraufhin Tara sich unglaublich freute. “In diesem Semester werden noch mehr Leute ausgesiebt, Katrina. Ich hoffe ihr habt euch in den Ferien entsprechen vorbereitet.“ Ich brauchte nicht einmal zur Tür sehen, um zu wissen, dass das Miss Raines Stimme war, die wir da hörten. Streng wie immer kam sie in den Raum, ohne jemanden eines Blickes zu würdigen. “Tara hat jetzt Privatunterricht.“ Ich nickte, drehte mich um und ging Richtung Tür. Kat und ihr Freund folgten mir lachend. Das zweite Semester hatte offiziell begonnen.

“Ein Diplomatensohn. Ich habe ihn in Paris kennengelernt. Seine Mum ist Gesandte an der Botschaft oder so.“, erzählte Kat während wir Taras Sachen zusammenpackten. “Jedenfalls kann Natascha ihn nicht ausstehen. Sie ist ausgeflippt, als er immer wieder ankam.“ Ich stopfte Taras Kleidung in eine ihrer Taschen und versuchte sie dann zuzumachen. “Was, könnt ihr ihn auch nicht ab?“, fragte Kat überrascht.
“Nein, darum geht's nicht. Miss Raine hat mich zusammengestaucht. Sie meint ich kann nicht mit dir rumhängen und dabei ernsthaft tanzen lernen.“, erklärte Tara bedrückt. Ich runzelte die Stirn.“Sie kann dir doch nicht vorschreiben welche Freunde du haben sollst. Wir sind nicht mehr im Kindergarten.“ , sagte ich.
“Genau mitten rein in diese-“ Sammy brach ab, als er uns sah. Abigail ging äußerst genervt zu ihrem Bett ohne uns anzusehen. “Samuel. Wie kannst du es wagen diese Arme eine Minute lang-“ Weiter kam Kat nicht, denn Sammy umarmte sie schon und sprach selbst weiter. “Kat, wie war Europa?“ Kat grinste.
“Ich kann den Satz Wir sind gelandet jetzt in vier Sprachen sagen.“, erzählte sie amüsiert.
“Wie toll.“, sprach Abigail kalt. “In diesem Semester gibt es gewisse Regeln.“ Tara blickte auf ihre eingepackten Sachen und dann zu Abigail. “Kats alte Mitbewohnerin kommt nicht wieder. Und deswegen werde ich bei ihr einziehen.“, verkündete sie stolz. Ich nahm eine der Taschen und den Bären, mit dem Tara küssen geübt hatte. “Na wunderbar. Bambi und Klopfer ziehen in eine Höhle.“, meinte Abigail. Kat lachte auf.
“Schönen Tag noch, wiedersehen.“ Damit ging sie an Abigail vorbei. Dicht gefolgt von Tara und mir.

“Es tut mir so leid.“, entschuldigte sich Kat bei Tara. Am Abend davor wollten sie in einen Club gehen, jedoch kam Tara nicht rein und wurde letztendlich von Christian abgeholt. “Weißt du als wir da so vor dem Club standen, war das noch das beste an der ganzen Nacht.“ Ich lachte.
“Gut, dass ich nicht dabei war.“, sagte ich.
“Und die Kiefers?“, fragte Tara.
“Sind doch nicht aufgetreten. Die Diplomatensöhne haben echt ätzende Freunde.“, erklärte Kat.
“Weißt du, ich glaube ich ziehe wieder bei Abigail ein.“ Überrascht sahen wir sie an. “Ich fühle mich schlecht sie einfach allein zu lassen.“ Verständnisvoll nickte ich.
“Ja, mach das. Unsere Freundschaft wäre wahrscheinlich an unserem Zusammenleben gescheitert. Mich verträgt man nur in kleinen Portionen.“, lachte Kat und wir stimmten mit ein.
“Ich hoffe ihr übt noch schön Cha-Cha.“, kam es von Sammy hinter uns. Kat verdrehte die Augen. “Sammy bitte es reicht mir mit Cha-Cha.“ Verwirrt sah ich die andern an.
“Cha-Cha?“, fragte ich.
“Vergiss es. Nicht so wichtig.“, sagte Sammy lachend. Irgendwie fehlt mir das brave Mädchen aus Patchewalling. Klar,sie hatte von vielen Dingen keine Ahnung, aber das bedeutet auch Freiheit. Wenn man etwas nicht kennt, erscheint einem Vieles einfacher.