Im Spiegel sehe ich jetzt nur ein zusammengesetztes Bild aus Körperteilen. Ich bin kein Mensch mehr. Ich bin eine Hüfte, die auswärts gedreht werden muss, ein Arm, der besser gehalten werden soll. Also habe ich angefangen ein Spiel zu spielen. Ich versuche mein Spiegelbild zu überraschen, um zu sehen, ob ich das Mädchen wiedererkenne, das mich im Spiegel ansieht. “Sind Sie sicher, Mrs Armstrong? Ich weiß, ich weiß, aber wir sind am Ende des Semesters und alles machen sich wirklich Sorgen, um Abigail.“ Sammy telefonierte mit Abigails Mutter schon zum fünften Mal. Nie ging Abigail ans Telefon. Vermutlich wollte sie mit niemandem reden. Verständlich, denn jeder heuchelte nur Mitleid. Ich glaube, der beste Spiegel von allen ist die Familie. Weil sie dich am besten kennt und du kannst darauf bauen, dass du für sie immer die selbe bleibst. Solange wie jetzt war ich noch nie von meiner Familie getrennt. Was werden sie in mir sehen? Welche Veränderung werden sie in mir erkennen? “Dad!“, rief ich, als ich sein Auto parken sah. Sofort lief ich darauf zu und sprang meinem Vater in die Arme. Meine Stiefmutter Laurel stieg auch aus dem Auto und lächelte mich an. Wie als wäre ich noch fünf, wirbelte mein Vater mich herum. “Du siehst toll aus.“, sagte Laurel lächelnd und nahm mich ebenfalls in den Arm. “Ich kann es kaum erwarten dich tanzen zu sehen.“, schwärmte mein Vater.
“Dein Vater redet nur noch von dir und dem Tanzen.“, lachte Laurel und legte eine Hand auf meinen Rücken. “Ihr wisst aber, dass das nur Unterricht ist und keine offizielle Aufführung.“, erinnerte ich die beiden. “Das bedeutet kein Klatschen, kein Gejubel und bitte Dad, erzähl nicht allen ich wäre deine Tochter. Ich denke, das ist offensichtlich.“ Ich schämte mich nicht für ihn. An der Akademie jedoch sollte alles perfekt laufen. “Na schön, na schön. Überredet.“ Lachend ging ich mit den beiden rein. Es war schön meine Familie bei mir zu haben.Der Unterricht lief ausnahmsweise wirklich gut. Sogar Kat bemühte sich sehr und bekam Lob von Miss Raine. Sammy hingegen musste ohne Abigail als Partnerin auskommen. Stattdessen versuchte er eine imaginäre Tänzerin hochzuheben. “Ich fürchte selbst ohne Partner wirkt das ganze etwas schlampig.“, war der Kommentar von Miss Raine dazu. Sammy hatte es einfach nicht leicht. Von den Eltern hörte man Applaus, doch eine Person stach besonders heraus. Der Mann stand einfach auf und rief: “Los Tara Banana!“ Lachend schaute ich zu ihr, die rot wurde.
“Das sollte ein fairer Deal sein. Ein erträglicher Notendurchschnitt gegen einen tanzfreien Urlaub meiner Wahl. Und jetzt habe ich so eine fiese Mutter-Tochter-Interview-Kiste am Hals. Und von dem ganzen guten Benehmen kriege ich Ausschlag.“, beschwerte sich Kat später. Wir hatten uns schon wieder umgezogen und versorgten nun die Eltern mit was zu Essen. Ich nahm mir ein Stück Kuchen von dem Tablett, das ich trug und biss hinein. “Ich dachte, das wäre nur für die Gäste.“, kam es von Christian, der sich auch ein Stück Kuchen nahm. “Ach ja? Wieso isst du dann auch ein Stück?“, entgegnete ich frech und lachte.
“Isabella, das alles hier ist unglaublich. Ich bin stolz auf dich.“, sagte mein Dad, der sich zu uns gesellte. Lächelnd bedankte ich mich und bot ihm und Laurel ein Stück Kuchen an. “Ehm Dad, Laurel, das ist Christian.“ Mein Dad musterte ihn und reichte ihm dann die Hand. “Nett dich kennenzulernen, Junge. Du warst gut.“ Laurel lachte. “Woher willst du das wissen, du hast nur deine Tochter angestarrt.“ Peinlich berührt lächelte ich und merkte wie Christian mich angrinste.
“Dein Fanclub?“, fragte er, woraufhin ich ihm in die Seite schlug.
“Natürlich sind wir ihr Fanclub. Sind das da Taras Eltern? Vielleicht lerne ich sie mal kennen. Na dann, war nett Christian.“ Mein Dad nahm sich noch ein Stück Kuchen und verschwand dann, gefolgt von Laurel.
“Deine Mutter?“, fragte Christian, als sie außer Sichtweise waren. “Stiefmutter.“, korrigierte ich ihn. Christian sah mich für einen Moment an und nickte dann. “Und deine Mum?“, fragte er vorsichtig.
“Sie lebt nicht mehr.“, sagte ich leise und lächelte dann einen Mann an, der sich ein Stück Kuchen nahm. “Aber ich will kein Mitleid. Niemand versteht das, weißt du? Aber alle denken, sie müssten etwas sagen.“, fügte ich schnell dazu. Christian nickte. “Ja, meine Mum lebt auch nicht mehr.“ Daraufhin ließ er mich schweigend stehen und ging.In der Nachmittagsstunde zeigte Sammy, was er konnte, aber sein Dad war nicht da, um ihm zuzusehen. Er gab dem Tanzen nicht einmal eine Chance. Am Ende des Tages suchte ich Christian, um mit ihm zu reden. Letztendlich fand ich ihn beim Skaten und ging auf ihn zu. Er sah mich fragend an, doch bevor er was sagen konnte, fing ich schon an zu reden. “Es tut mir leid. Ich bin sofort davon ausgegangen, dass es niemand verstehen würde, dass meine Mutter tot ist. Ich habe nicht nachgedacht.“ Christian stieg von seinem Board und lachte leicht. “Hast du echt gedacht ich bin sauer deswegen?“, fragte er mich dann.
“Ja, schon.“, gestand ich und ging ein paar Schritte auf ihn zu, um den Sicherheitsabstand, den ich gemacht hatte zu verkleinern.
“Hör zu. Ich weiß was du meinst. Sobald sie hören, dass deine Mutter tot ist, werden sie ganz anders. Sie behandeln dich, als wärst du aus Glas und als könntest du jeden Moment zerbrechen, wenn jemand sie erwähnt. Ich habe das gleiche durchgemacht, glaub mir. Ich bin nicht sauer. Ich hätte genauso reagiert.“ Obwohl ich es eigentlich nicht sollte, fing ich an zu lachen. Christian sah mich ensetzt an.
“Was ist?“, fragte er verwirrt.
“Ich habe dich einfach noch nie so viel am Stück reden hören.“, sagte ich und nun fing er auch an zu lachen. “War ja klar, dass sowas kommt.“
“Entschuldige.“, lachte ich. Christian nickte. “Angenommen.“ Ich sah ihn kurz an ehe ich weiter sprach.
“Dass heute niemand da ist, um dir zuzusehen ist echt schade. Du bist wirklich gut.“, beichtete ich und bekam ein kleines Lächeln. “Isabella!“,hörte ich Laurel rufen. “Dein Fanclub wartet.“, sagte Christian und stieg wieder aufs Board. “Ja, wir wollten Essen gehen.“, sagte ich. Ich zögerte kurz, doch dann atmete ich durch und tat etwas, wovon ich nie gedacht hätte, dass ich es tun würde. “Willst du vielleicht mit essen?“ Christian sah mich überrascht an. “Ich meine, es wäre vielleicht ganz lustig. Du könntest Mitglied des Fanclubs werden.“, grinste ich. Christian schien einen Moment zu überlegen, dann stieg er vom Board, nahm es in die Hand und lächelte mich an. “Okay, dann los.“Die Stimmung auf der Party, die jemand schmiss war wirklich mies. Anstatt, dass wir uns freuten, trauerten wir alle um Tara, die die Akademie verlassen würde. Ihre Eltern hatten nicht genug Geld, um die Studiengebühren und die nötigen Kostüme zu bezahlen. Sie hatte alles was sie wollte. Einen Freund, die Akademie und Freunde. Und nun wurde ihr all das wieder genommen. “Ihr könntet mich doch in den Ferien besuchen.“, schlug Tara vor. Doch das war nicht das gleiche.
“Ich finde es echt dumm.“, sagte ich. “Na toll. Ganz was Neues, das finden wir alle.“, zickte Kat.
“Korrektur, Tara finde ich dumm.“ Tara sah mich entsetzt an.
“Was?“, fragte sie.
“Ich habe Sammy gesagt, er soll sich gegen seinen Dad behaupten. Du hast zugestimmt. Und jetzt wird er wohl nie mehr mit ihm reden. Was ihm egal ist, weil er hier hin gehört. Also wo ist das Problem bei der ganzen Sache?“, fragte ich sie.
“Leute, die Ergebnisse sind raus.“, rief Sean uns zu.
“Ist ja nicht so, als hätten wir was besseres vor.“, sagte Kat und legte ihren Becher weg. Ich stand auf und folgte ihr zurück in die Akademie. Was ich da sah, überraschte mich. Ich lief auf Tara zu und zog sie mit mir. “Komm mit.“, sagte ich.
“Wie sind deine Noten?“, kam die Frage von ihr.
“Wen interessierts?“ Ich drängte mich an den Leuten vorbei zum schwarzen Brett und zeigte Tara meine Entdeckung. “Du hast das Stipendium gewonnen.“, bemerkte Kat fröhlich. “Inklusive Gebühren und Lebensinhaltskosten.“, hörten wir Miss Raine hinter uns sagen. Sie lächelte Tara an. “Das ist kein Geschenk,du musst es dir richtig verdienen. Jede Woche nimmst du Privatunterricht bei mir. Das wird sehr harte Arbeit für dich, härter als jemals zuvor.“ Tara ging einen Schritt auf sie zu.
“Das heißt, dann muss ich gar nicht nach Hause?“, fragte sie.
“Sieht wohl so aus.“, lächelte Miss Raine und ging.
“Ich kann hier bleiben.“, strahlte Tara und wurde stürmisch von uns umarmt. Manchmal gab es eben doch noch Wunder.Die Ferien würde ich endlich zu Hause verbringen. Familien sind heute anders als in der Jugend meiner Eltern. Die strengen Regeln von früher sind verschwunden. Und auch auf die Gene kommt es nicht mehr an. Wenn jemand zur Familie gehört, spürst du es. Es sind die Menschen, die da sind, wenn du es am wenigsten erwartest. Sie halten deine Hand, wenn es darauf ankommt. Das schöne an der Familie ist, dass es egal ist wo du bist. Bist du bei ihr, bist du Zuhause. Ich habe jetzt zwei. Zwei Familien und zwei Zuhause. Und ich weiß jetzt, was es heißt sich wie im Himmel zu fühlen.

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Dance Academy
FanfictionIsabella Johnson lebt in Australien und wird an der renomierten National Academy of Dance angenommen, an der sich ihr Leben ändert. Sie lernt mit ihren Mitschülern nicht nur Ballett, sondern auch Hip-Hop-Dance und Modern Dance. Doch die Freunde müss...