Dance Academy

Tänzer oder Doktor?

Bei Pirouetten muss man einen Punkt fixieren. Man muss sich voll und ganz auf diesen Punkt konzentrieren. Man darf nichts anderes im Kopf haben. Keine Ablenkung. Nur diesen Punkt. Hundertprozentige Konzentration bedeutet hundertprozentige Hingabe. Und das heißt, man muss sich von manchen Dingen trennen. “Irgendwer hat dauernd meinen Punkt verschoben.“, klagte Sammy, als wir aus den Umkleidekabinen kamen. “Aha“, sagte ich lachend.
“Ich schwörs.“, sagte Sammy.
“Kannst du das hier Tara geben? Ich glaube, sie hat es versehentlich in den Müll geworfen.“, grinste Abigail mich an und drückte mir ein Foto in die Hand. Darauf waren Sammy,Kat und ich zu sehen. Im Hintergrund war Ethan. “Ist ziemlich unscharf.“, bemerkte Sammy.
“Ist ziemlich Ethan.“, sagte ich. Kat stimmte mir zu. Als Tara in den Flur kam, gingen wir auf sie zu.
“Hast du das hier in den Müll geworfen?“, fragte Kat. Tara sah sie an.
“Jap.“, meinte sie ohne zu zögern und lächelte uns an.
“Nicht weil du ein besseres Bild von ihm hast?“, hakte ich nach.
“Nein. Weil er mich ablenkt und frustriert und ich ihn einfach vergessen will. Ab sofort halte ich mich an meine Freunde.“ Mit dieser Ansprache hatte ich nicht gerechnet. Grinsend nahmen wir sie in den Arm. “Dafür bekommst du ein goldenes Sternchen, Tiara.“

“Ich bin ein toter Mann.“, jammerte Sammy. Der Imbiss vor der Akademie wurde so etwas wie unser Stammplatz. Wir saßen jeden Tag dort und unterhielten uns beim Essen.
“Es ist doch nur Englisch.“,sagte Kat. “Und du hast eine zwei plus und keine fünf.“, fügte ich hinzu.
“Tot, tot, tot.“, sagte er während er auf und ab ging. “Ich habe keinen Puls, okay? Ich liege zwei Meter unter der Erde.“ Sammy konnte oft melodramatisch werden und die Dinge komplizierter machen als sie eigentlich waren. Diese Momente hatte er öfter.
“Obwohl du eine Leiche bist, bist du der beste in allen Fächern.“, bemerkte Kat. Sie lackierte sich nebenbei die Fußnägel.
“Ist das dein ernst Kat?“, fragte Sammy entsetzt. Kat hielt inne und sah ihn an. “Ja.“, meinte sie dann.
“Sieh dich doch mal um. Das ist eine Tanzschule. Und nach der Meinung meines Vaters ist man hier leicht der beste. Ich habe ihm glatte Einsen versprochen. Glatte Einsen und dass ich jeden Samstag in die Synagoge gehe.“ Während ich meinen Joghurt löffelte, fragte ich mich, ob seine Nervosität ansteckend war.
“Ich hätte liebend gern so eine Ausrede, um den Unterricht zu schwänzen.“, widersprach Kat und Sammy lachte auf.
“Wie bitte? Ausrede? Nein, nein Kat, da liegst du falsch. Es ist keine Ausrede. Okay? Es ist ein Gespinst aus Lügen. Die eine Woche sage ich Dad ich war zu krank, um in die Synagoge zu gehen und die nächste Woche sage ich in der Schule, dass ich-“
“Du bist zu krank, um zu tanzen und gehst in die Synagoge.“, beendete Tara seinen Satz. Sammy nahm seinen Test in den Mund und für einen Moment dachte ich, er würde das Papier aufessen, wenn ihn niemand aufhielt. “Dir ist doch wohl klar, dass du das nicht durchhälst, Sammy oder? Du drehst dabei durch.“, sagte ich und nahm ihm den Zettel aus dem Mund. “Okay,okay also ich habe es. Ich gehe heute zum Sabbat und gehe morgen in die Synagoge, weil ich Dad gesagt habe ich lese vor. Das war's. Okay, ich bin entschlossen.“ Und ich war fertig mit diesem Jungen.
“Der junge Mister Lieberman. Was macht die Gesundheit? Kein Kratzen im Hals, nichts verdorbenes gegessen?“, fragte Patrick. Er und ein paar anderen Lehrer gingen an uns vorbei. “Nein, nein. Es geht mir gut, Sir.“, erwiderte Sammy.
“Dann habe ich das Vergnügen dich morgen in meiner Samstagsstunde zu sehen.“ Schweigend aß ich meinen Joghurt und verkniff mir einen Kommentar.
“Ja, wegen dieser Stunde“, begann Sammy.
“Du kennst die Bedeutung des Wortes Pflicht wie in Pflichtstunde am Samstag oder?“ , fragte Patrick und Sammy nickte.
“Ja, ich liebe dieses Wort von ganzem Herzen, Mr Patrick.“

Den Abend verbrachten Tara,Kat und ich im Aufenthaltsraum. Zu unserem Bedauern waren Ethan und seine Freunde auch dort und spielten Billard. “Kitty Kat, kleines Spiel?“, fragte Ethan grinsend, doch Kat schüttelte den Kopf.
“Beschäftigt. Hilf mir doch beim Applizieren.“, antwortete sie zuckersüß, doch Ethan war wenig begeistert.
“Eh, nein. Tara, hast du Lust?“ Mahnend sahen wir sie an.
“Sorry, bin auch beschäftigt.“, sagte sie dann selbstbewusst. Stolz lächelte ich sie an, während Ethan genervt stöhnte.
“Bella?“ Fragend sah er mich an, doch ich schüttelte den Kopf.
“Nein, danke. Ich kann das Spiel nicht mal.“, sagte ich.
“Ich kann es dir beibringen.“, grinste Ethan.
“Vergiss es. Lieber habe ich noch eine Stunde bei Miss Raine.“, grinste ich zuckersüß und er verdrehte die Augen.
“Komm schon, nur ein Spiel,Bella.“ Hundertprozentige Konzentration erfordert hundertprozentige Hingabe. “Ich muss Kat helfen.“