34. Beerdigung

1K 50 8
                                    

...Eine Reise, die Bindungen brechen und andere heilen sollte. Eine Reise, die mich an meine emotionalen Grenzen bringen sollte...

Hier stand ich nun. In schwarzer edler Kleidung. Vor dem Grab meiner Mutter. Der Pfarrer hielt die Trauerede. Mein Gesicht war längst nicht mehr trocken. Unzählige heiße Tränen rannten über meine kalten Wangen. Ich unterdrückte gerade so zu schluchzen. Mein Vater stand neben mir und sah traurig zum Grab. Er griff nach meiner Hand und verschränkte sie mit seiner. Mit seinem Daumen strich er beruhigend über meinen Handrücken. Ich sah zu ihm auf und er sah mich aufmunternd an. Dann sah ich wieder zu dem Grab. Ich verdrängte die Tränen wieder. Ich sperrte sie hinter die Mauer. So versiegte die salzige Flüssigkeit und ich bekam mich unter Kontrolle...

Ich stand am Ausgang. Der Pfarrer und einige Leute waren bereits gegangen. Doch viele sprachen mir ihr Mitleid aus. Eine lange Schlange bildete sich vor mir. Einige kannte ich flüchtig, andere hatte ich noch nie gesehen. Ich hatte mit dem Tränen zu kämpfen. Lange konnte ich sie nicht mehr zurück halten. Doch auch Wut kam in mir hoch. Durch Sprüche wie "Das geht bald vorbei!", "Du vergisst sie!" oder noch schlimmer "Dein Vater findet bestimmt bald eine Neue!" Trotz dieser Aussagen nickte ich und schüttelte jedem die Hand.
Die Schlange wurde immer kleiner und die Leute verließen alle den Friedhof...
Als nur noch einer übrig war, stockte mir der Atem. Mein Vater spannte sich schräg hinter mir merklich an. "Hi Liv!" sagte Jack. Ich nickte. "Da du ja jetzt wieder hier bist, kannst du ja vielleicht mal zu mir kommen!" lächelte er und hielt mir seine Hand hin. Das brachte nicht nur mich zur Weißglut. Wir waren allein auf dem Friedhof. Meinem Vater reichte es. Er schob sich vor mich. Schützend stand er vor mir. "Lass. Sie. In. Ruhe!" knurrte er Jack gefährlich an. "Was willst du denn jetzt?" fragte Jack ihn höhnisch. "Du. Sollst. Sie. In. Ruhe. Lassen!" knurrte er erneut. "Vergiss es. Du bist Derjenige von uns beiden, der nie für sie da war! Du warst Derjenige von uns beiden, der sie nach der Geburt verlassen hat! Also-" fing er an. Doch weiter kam er nicht, denn Vater unterbrach ihn. "Das sagt Marry. Aber das stimmt nicht! SIE HAT MICH VERLASSEN! SIE IST ABGEHAUEN!" schrie er Jack an. "Tja, dann überleg dir Mal warum!" lachte Jack. Das brachte das Fass zum überlaufen. Ich schrie vor Wut auf und rannte zu Jack. Mein rechter Haken traf in knallhart am Kinn. Er taumelte zurück und sah mich entsetzt an. "Liv? Was sollte das?" fragte er geschockt und rieb sich sein Kinn. "DU HAST MICH VERLASSEN! DU HAST MICH, ALS ICH DICH AM DRINGENDSTEN GEBRAUCHT HABE, VERLASSEN! DU BIST GEGANGEN, ALS MUM STARB! DU BIST EINFACH SO GEGANGEN!" schrie ich ihn an. "Das war ein Einsatz! Du weißt, wie das ist! Das Militär-" "DAS MILITÄR IST KEINE AUSREDE! MAXIM HÄTTE ES MIT SICHERHEIT VERSTANDEN, WENN DU NACHGEKOMMEN WÄRST! ICH DACHTE DU LIEBST SIE!" schrie ich. "Das tue ich auch!" bekräftigte er. "UND WARUM HAST DU MICH DANN VERLASSEN? WARUM HAST DU MICH IN DIESEM LOCH ZURÜCK GELASSEN?" schrie ich. "Weil...", er wusste nicht was er sagen sollte. "SIEHST DU!" schrie ich. "Das hier hat keinen Sinn! Ich glaube sie gehen jetzt!" sagte mein Vater und legte mir eine Hand auf die Schulter. "Aber sie ist meine Patentochter!" widersprach Jack. "Das war ich!" wisperte ich. "Ich bin ihr Vater und sie gehen jetzt. Sonst sehe ich mich zu anderen Maßnahmen greifen!" drohte mein Vater. "Ruf mich an, wenn du dich beruhigt hast Liv. Okay?" fragte Jack. "Ich bin gegen den Kontakt mit Ihnen. Wenn Sie nun den Friedhof verlassen würden!" knurrte er. Jack schaute zu mir und ging dann wirklich. Er ließ mich wieder hier zurück. Als er weg war, schrie ich wieder laut auf. "Liv!" begann mein Vater, doch ich schüttelte seine Hand von meiner Schulter ab und schubst ihn weg von mir. "LASS MICH!" schrie ich und rannte zurück zu Mums Grab. Dort angekommen fiel ich auf die Knie und ließ meinen Tränen freien Lauf. Ich schluchzte laut und sah auf das frische Grab. "Warum musstest du mich verlassen? Du hast mir versprochen, dass du zu mir zurückkommst! Das hat Jahrelang geklappt. Du hast deinen Trupp durch JEDEN Scheiß gebracht. Du hast nie einen verloren! Du warst so gut! Und warum du Mum? Warum musste es ausgerechnet dich treffen? Warum? Du hast mir versprochen, dass du mir beim Training hilft. Du hast mir versprochen, dass du mal ganz normale Sachen mit mir machst! Du hast mir versprochen, dass wir irgendwann mal einen ganz normalen Tag am Pool verbringen! Dass wir gemeinsam Kochen! Dass du mit mir verstecken spielst! Dass du mit mir einen Filmabend machst! Dass du mir bei meinem ersten Liebeskummer Hilfst! Dass du den Typen fertig machst, der mir das Herz bricht!... Also warum hast du mich verlassen?" schluchzte ich und hatte mein Gesicht in meinen Händen vergraben. Ich schluchzte und schrie immer wieder vor Wut... Irgendwann ließ die Wut nach und die Trauer gewann die Oberhand...
Plötzlich berührte mich eine kalte Hand. Ich schluchzte lauter. Mein Vater kniete sich zu mir runter und drehte mich zu sich um. Er zog mich zu sich ran und schlang seine starken Arme um mich. Ich schluchzte und wehrte mich erst etwas... Er ließ sich aber nicht beirren und zog mich an sich ran. Ich spürte seine Besorgnis und hörte auf mich zu wehren und zu zappeln. Stattdessen erwiderte ich panisch die Umarmung und drückte mich an seine kalte sichere Brust. Ängstlich vergrub ich mein Gesicht in seiner Brust. Er strich mir über den Kopf und hielt mich fest. Er war einfach für mich da. Und das war so ein unglaublich gutes Gefühl!
So saßen wir eine lange Zeit da. Er kniete auf dem Boden und hatte mich zu sich ran gezogen. Ich drückte mich mit aller Kraft an ihn. Nie wieder wollte ich ihn in diesem Moment los lassen oder gar verlassen...

Back to Volterra {1} Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt