5. "Bitte!?"

2.2K 83 6
                                        

Dass er mich in den Arm nimmt und mich tröstet. Aber er hatte uns verlaßen... Mich verlaßen...

Ich schlief die nächsten zwei Tage ziemlich viel. Meistens weinte ich mich in den Schlaf. Ich schnitzte oft und las immer mehr Bücher. Essen... Das tat ich nicht sehr oft. Ich sah nicht gerade gut aus. Eigentlich wie ne halbe Leiche. Ich hatte Augenringe, da ich meistens, wenn ich schlief, Alpträume hatte. Meine blonden Haare kämmte ich mir täglich und so sah ich nicht ganz so schlimm aus. Ich hatte täglich die Militärshose und ein weißes enges T-Shirt an.
Es klingelte. Zuerst ignorierte ich es, doch es hörte nicht auf. Ich weinte gerade wieder. Doch es war mir egal. Barfuß tappste ich die Treppe runter durch den Flur. Müde öffnete ich die Tür. "Maxim!", stellte ich fest. "Guten Morgen Liv! Dürfen wir reinkommen?", fragte er und ich entdeckte hinter ihm den schwarzhaarigen Mann wieder. Was will der denn ständig? Trotzdem nickte ich und sie folgten mir in die Küche. Dort setzte ich mich auf einen der Barhocker und legte meinen Kopf mit der Wange auf die Tischplatte. "Was gibt's?", fragte ich und schloss die Augen. "Liv, du kannst hier nicht mehr alleine leben!", stellte er fest. "Wieso nicht? Ich habe alles was ich brauche!", knurrte ich ihn unmenschlich an. "Nein! Und deswegen sahen wir uns gezwungen deinen Vater zu kontaktieren!", sagte er ernst. Ich lachte kalt: "Der hat uns verlassen und wollte nichts von mir wissen. Also warum sollte er es gerade jetzt wollen?", fragte ich. "Das kann er dir selbst beantworten. Du wirst mit ihm, wenn er es sagt, mitgehen und bei ihm leben!", sagte er. "Kommt gar nichtig Frage!", sagte ich müde und musste aufpassen, dass ich nicht einnickte. "Doch! Ich werde euch jetzt alleine lassen. Viel Glück Liv!", sagte er und ging. Ich öffnete meine Augen nicht. Immer noch liefen mir stumme Tränen die Wangen runter. Ich war so erschöpft, dass ich auf dem Tisch einschlief...

???:
Der General ließ mich mit ihr allein, wofür ich ihm wirklich dankbar war. Doch Liv zeigte keine Reaktion darauf... Sie war eingeschlafen. Verständlich. Sie machte ziemlich viel durch und ich konnte es verstehen. Ich habe sie und Marry all die Jahre gesucht und jetzt erst gefunden. Ich werde nicht zulassen, dass Liv daran untergeht. Ich werde ihr ein guter Vater werden und sie beschützten. Aber dazu muss ich zuerst ihr Vertrauen gewinnen und ihr das auch zeigen.
Ich ging vorsichtig auf sie zu und hob meine Tochter behutsam hoch. Dabei berührte ich ihre Haut und sah, wie sie mit Marry glücklich war. Sie redete sich ein, dass sie keinen Vater brauchte, aber sie wünschte sich immer einen. Sie sehnte sich nach mir. Sie wollte mich kennenlernen, wissen warum ich gegangen bin. Und in Wirklichkeit ist Marry gegangen. Liv mochte Jack, aber er war nicht wirklich für sie da. Sie sehnte sich so nach einem Vater. Und das verstärkte sich durch Marrys Tod drastisch. Sie war auch wütend, doch die Trauer und Sehnsucht überwiegte schließlich. Gerade jetzt, in diesem Augenblick, wollte sie einfach nur in meinen Armen liegen. Ich würde weinen, wenn ich es könnte. Sie war erst 15 und hatte so viel durchgemacht. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und sie hörte auf zu zittern. Mit Leichtigkeit trug ich meine Tochter in ihr Zimmer und legte sie behutsam aufs Bett.
Nach einiger Zeit fing sie an zu weinen. Ich zog sie auf meinen Schoß und sagte: "Liv. Es ist alles gut! Ich bin da!" Sie hörte auf und entspannte sich wieder. Ich zog sie enger an mich und sie kuschelte sich schlussendlich an meine Brust. Sie war meine Tochter und ich werde sie nie wieder loslassen! Nie wieder!

Liv:
Ich würde so langsam wach und öffnete meine Augen. Aber warum bin ich in meinem Zimmer? Soweit ich mich erinnere war ich mit meinem Vater allein in der Küche... OMG, mit meinem Vater! Als ob es den gibt? Ich erstarrte.
Nach einiger Zeit entschied ich mich dazu runter zu gehen. Also kämmte ich mir meine Haare und ging so wie immer runter. In der Küche saß der Schwarzhaarige. Er telefonierte angestrengt mit jemandem. Na toll! Wenn das mein Vater ist, dann ist der genauso oft da, wie Jack. Also so gut wie nie! Ich tapste barfuß zum Kühlschrank. Als er mich bemerkte brach er sein Telefonat frühzeitig ab. Okay... Er war besser als Jack, wenn es um so etwas ging. Ich holte mir die Kanne Kakao raus und goss mir was in ein großes Glas. Dazu schmierte ich mir noch eine Scheibe Vollkornbrot mit Nutella und räumte alles weg. Der Typ beobachtete mich bei allem, was ich tat genau, doch ich schenkte ihm keine Aufmerksamkeit. Ich nahm mir den Teller und das Glas und wollte wieder in mein Zimmer verschwinden.
"Liv bleib hier!", sagte er streng. Zum ersten Mal hörte ich seine Stimme. Sie war schön und ähnelte meiner wirklich sehr. Doch ich ließ mich von seiner gebieterischen Art nichts sagen und setzte meinen Weg fort. "Bitte!", sagte er. Ich hielt sofort inne. Wie angewurzelt blieb ich mitten im Türrahmen stehen. Hatte er gerade bitte gesagt? Ja, das hatte er. Das war das erste Mal, dass mich jemand um etwas bat. Sonst wurden mir nur Befehle erteilt. Kein Wunder. Bei dem Militärsgrad. Er schien das zu merken und sagte mit sanfter Stimme: "Isst du BITTE hier unten?!" Er bat mich erneut. Und dann konnte ich nicht anders. Ich drehte mich um und lief zurück in die Küche rein. Doch ich setzte mich ans andere Ende des Tisches und aß. Der Mann beobachtete mich ununterbrochen...

Back to Volterra {1} Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt