52. "Was soll los sein?"

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...Wenn nicht, muss ich mir eine angemessene und harte Strafe ausdenken. Haben wir uns verstanden?" fragte er mit warnendem Unterton. Ich murmelte: "Ja, haben wir!"

Ich zuckte zusammen, als er überraschenderweise meine Lippe von dem herunterlaufenden Blut befreite, indem er es mit einem sauberen Taschentuch abtupfte. "Gut! Dann warten wir die Nacht ab. Sollte sich das entzünden oder nicht besser werden, schaut sich das Marcus an, klar?" fragte er. Ich gab nur ein murmelndes "Ja" von mir. "Dann darfst du jetzt gehen. Aber denk an die Zeiten!" erinnerte er mich und schloss die Tür auf. Ich nickte und rannte raus. Wohin? Aufs Zimmer. So schnell wie möglich. Dort angekommen schmiss ich mich auf das Bett und kuschelte mich ein. Warum hatte ich eigentlich nie ein Kuscheltier? Alle im Kindergarten, in der Grundschule und ich wette auch an den anderen Schulen hatten welche. Nur ich nicht. Dabei hatte ich mir immer eines gewünscht. Am besten eines mit speziellem Fell. Nicht so flauschig warm, sondern angenehm kalt und etwas rauer, aber immer noch angenehm. Klar ich bin schon 15, aber trotzdem bin ich noch ein Kind, was man nicht selten an meinem beleidigten Verhalten sah. Aber das war die Pubertät!

Ich dachte noch den ganzen Nachmittag über meine sehnlichsten Wünsche nach und träumte vor mich hin. Auch während des Abendessens. Ich war allein, was ich auch gut fand. Ich wollte keine Gesellschaft, die mich ablenkte. Ich wollte weiter träumen, was ich auch tat. Nachdem ich Bettfertig war, legte ich mich hin und fühlte mich allein. Hier fehlte wieder das Kuscheltier! Mit diesem Gedanken schlief ich für meine Verhältnisse früh ein...

Am nächsten Morgen wachte ich aus meinem Alptraum auf. Schweißgebadet. Ich konnte mich gerade noch beherrschen nicht laut loszuschreien. Schwer atmend sah ich mich um und schlug die Decke beiseite. Ich taumelte mit frischen Klamotten ins Badezimmer und schloss ab. Es war gerade mal 5.37 Uhr. Ich streifte mir die Kleidung vom Körper ab und stieg in die Dusche. Das Wasser war angenehm warm und weckte mich sanfter, als es der Alptraum getan hatte. Erleichtert atmete ich aus und entspannte meine Muskeln.

Nach der angenehmen Dusche trocknete ich mich ab und föhnte meine Haare. Danach zog ich mich an und machte mich fertig.

Zufrieden blickte ich in den Spiegel. Ich hatte eine schwarze Jeans, ein grünes T-Shirt und eine schwarze Lederjacke an. Dazu dunkelgrüne Sneakers. Da ich heute nur Sport hatte, packte ich meinen Rucksack mit einem Handtuch und Sportkleidung. Jetzt fehlt nur noch eine Wasserflasche. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich sehr gut in der Zeit lag. Es war gerade einmal 6.28 Uhr. Der Unterricht fing erst in einer halben Stunde an. Also schlenderte ich gemütlich und in Gedanken zur Küche...

"Au!" keuchte ich, als ich gegen etwas Hartes lief. Ich hielt mir den Kopf und sah auf. Dad! Mein Blick verfinsterte sich sofort. "Guten Morgen Liv!" schmunzelte er. "Du kannst dir dein Guten Morgen Liv sonst wo hinstecken!" knurrte ich, schob mich an meinem verdutzten Vater vorbei zum Kühlschrank. Hier nahm ich mir eine kalte Wasserflasche heraus und wollte wieder raus. Betonung liegt auf wollte. "Liv, was ist los?" seufzte er. "Nichts ist los. Was soll denn los sein?" zischte ich und versuchte mich an ihm vorbei Zudrängen. Vergebens. Er schob mich einfach wieder zurück, sodass ich vor ihm stand. "Liv, ich weiß das was nicht stimmt! Ich hab mit Marcus geredet!" sagte er nun besorgt. "ACH DU HAST MIT MARCUS GEREDET? DU BRAUCHTEST ERST EINE ZWEITE MEINUNG UM ZU WISSEN, DASS ES MIR SCHEISSE GEHT? DU BRAUCHTEST ERST MEINEN BRUDER UM ZU ERKENNEN, DASS ICH WAS AUF DEM HERZEN HABE? HAST DU EIGENTLICH SCHON MAL ÜBERLEGT? IST DIR ÜBERHAUPT BEWUSST WIE DU MIT MIR UMGEHST? DU TUST MIR WEH! DU HAST MICH ANGESCHRIEN UND VERLETZT! DU HAST MICH SEELISCH UND KÖRPERLICH RUNTER GEMACHT! DU ACHTEST NICHT AUF MEIN WOHLERGEHEN! DU MEINST BLOSS, DASS DU ES SCHWER GEHABT HAST! JA DU HATTEST ES SCHWER, ABER ICH AUCH! UND DAS IST DIR EGAL! DU SCHREIST MICH AN! DU ZWINGST MICH ZU SACHEN DIE ICH NICHT MÖCHTE. DU ACHTEST NUR NOCH AUF DEINE VORSTELLUNG VON DEM SPÄTEREN LEBEN. HAST DU EIGENTLICH SCHÖN EIN EINZIGES MAL DARÜBER NACHGEDACHT, WIE ES MIR DABEI GEHT?" Ich schrie ihn aus tiefster Seele an. All die Dinge, die ich in mir verdrängt hatte, kamen jetzt mit einem Mal wieder hoch. All meine Gefühle waren nun offen. Mein Vater sah mich geschockt mit großen Augen an. "Liv...", hauchte er fassungslos. "Ach vergiss es!" murmelte ich, schubste ihn zur Seite und rannte aus der Küche. So schnell es ging, zog ich mich in der Umkleide um und rannte in die Trainingshalle. Vorbei an einem verdutzten Caius, der irgendwas zu mir sagte. Doch ich hörte nicht hin. Ich ging zu den Boxsäcken, die Caius bereits aufgehängt hatte und schlug darauf ein, nachdem ich mich kurz warm gemacht hatte. Meine ganze Wut ließ ich an ihnen aus. Mein Vater! Das war das Einzige, was ich dachte und schlug immer härter. Ich vergaß die Zeit und mein Gefühl in den Händen. Denn diese waren schon rot und würden bestimmt gleich bluten. Doch das war mir egal. Ich schlug und schrie meine ganze Wut an einem Boxsack heraus. Immer schneller. Immer härter. Immer lauter. Immer wütender...

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