Kapitel 54

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Ihr Kopf dröhnte. Das war alles was Nyria wahrnahm. Es fühlte sich an als würden 100 Pferde in ihrem Kopf im Gleichschritt zu ihrem Herzschlag maschieren. Angestrengt öffnete die Stute die Augen. Verschwommen nahm sie ein helles Licht über ihr wahr. Doch als sich ihre Sicht langsam klärte könnte sie erkennen das es nicht die Sonne war, so wie sie gehofft hatte. Die Stute lag unter einer hellen Lampe. Doch was dort leuchtete war kein Feuer. Es war ein weiß-gelblicher Stein von dem der helle Schein ausging. Ein Sonnenstein. Sie hatte von diesen Steinen gehört, die das Sonnenlicht in sich tragen sollten, doch gesehen hatte sie noch nie einen. Und dennoch konnte sie ihn sofort erkennen. Das warme Licht das von ihm ausging prickelte leicht in ihrem Fell und sie konnte die Wärme der Sonne auf ihren Nüstern spüren. Für eine Sekunde genoss sie die Ruhe, bis ihr blitzartig wieder einfiel, wo sie sich überhaupt befand. Nyria zog erschrocken die Luft ein und schwang sich so schnell sie könnte auf ihre Beine. Durch das plötzliche Aufrichten wurde ihr für einen Moment schwarz vor Augen und sie wankte einen Schritt zur Seite.

"Sieh mal wer da aufgewacht ist.", sagte ein Hengst amüsiert.
"Wurde langsam auch mal Zeit. Hatte schon befürchtet, dass sie die ganze Prüfung verschläft.", antwortete ein Zweiter, der sich über ein Buch gebeugt hatte und etwas darin mit einer Feder niederschrieb. Nyria blickte den beiden verwirrt entgegen. Sie brauchte kurz einen Moment um zu verstehen was passiert war. Sie erinnerte sich an ihre Flucht und an das helle Licht auf das sie zugaloppiert war, dann wurde ihre Erinnerung schwarz. Sie musste Ohnmächtig geworden sein. Jetzt saß sie in der Mitte des Lichtflecks, den der Sonnenstein auf den Boden malte. Der Kreis hatte nur einige Pferdelängen Durchmesser, dahinter lauerte die tote Dunkelheit des schwarzen Waldes. Außer den beiden Hengsten, die an einem kleinen Tisch saßen, konnte sie nichts sehen. Nyria musste es also doch noch ins Licht geschafft haben, denn der Sonnenstein hielt wie das richtige Sonnenlicht die Schattenwesen fern. Hätte sie das Licht nicht mehr erreicht, würde sie nun wohl nicht mehr leben.
"Aber langsam solltest du wirklich los, man verliert hier nämlich schnell sein Zeitgefühl... immerhin bekommt man den Tag-Nacht-Wechsel hier nicht mit.", der Hengst hob seinen Blick von seinem Buch und blickte Nyria an. Seine blauen Augen schienen im Licht des Steins geradezu zu leuchten. Der Hengst war noch recht jung, wahrscheinlich hatte er selbst erst vor ein oder zwei Jahren die Ausbildung abgeschlossen.
"Ähhh ja...", Nyria versuchte ihre Gedanken zu sammeln. Sie machte ein paar Schritte nach vorne, an ihrer Hinterhand brannten einige Kratzer, doch sie waren nicht so schlimm, dass Nyria sie nicht ignorieren könnte. Ihre gesamte Flanke war voll mit Erde. Sie schüttelte sich einmal, um den Dreck aus ihrem Fell zu bekommen. Der blauäugige Hengst beobachtete sie mit einem leichten Lächeln.
"Es sah im Übrigen ziemlich spektakulär aus wie du hier gestern halber in den Lichtkreis geschlittert bist."
"Ich war ja der Meinung wir sollten dich liegen lassen... immerhin sollen wir uns ja nicht einmischen. Aber mein lieber Freund hier meinte es sei nicht sonderlich ästhetisch wenn einer Stute das Hinterteil von Schattenwlöfen abgeknabbert würde.", sagte der Andere trocken, hob seinen Blick aber nicht von seinem Buch. Also hatte Nyria es nur halb ins Licht geschafft. Hätten diese beiden Hengste ihr nicht geholfen wäre sie wohl von den Wölfen ins Dunkle gezogen und zerfetzt worden. Schon bei der der reinen Vorstellung jagte es Nyria einen Schauer über den Rücken, sodass sich die Stute einmal kräftig schütteln musste.

"Ich danke euch.", sagte Nyria und senkte in einer dankbaren Geste den Kopf.
"Kein Ding. Aber du solltest die Prüfung bestehen, du schuldest uns jetzt nämlich was. Und wenn du kein Krieger wirst, kannst du uns keine nervigen Schichten abnehmen. Also mach dich jetzt mal wieder auf den Weg.", sagte der Jüngere und nickte in die Richtung in die Nyria nun weiter musste. Die Stute lächelte. Diesen beiden war es eigentlich untersagt den Auszubildenden zu helfen. Aber dennoch hatten sie ihr, einem Streuner, geholfen. Sie hatte wirklich Glück, dass sie ihnen hier begegnet war.
"Ich werde mein Bestes geben.", sagte sie mit einem Nicken und trabte an den Beiden vorbei. Am Rand des Lichtscheins blieb sie für einen Moment stehen um noch einmal tief durchzuatmen. Dann gallopierte sie aus dem Stand an und stürmte in die stickige Dunkelheit, der nächsten verzweifelt gegen die Schwärze ankämpfenden Fackel entgegen.
"Viel Erfolg!", rief ihr der blauäugige Hengst noch hinterher, bevor sie aus ihrem Sichtfeld verschwand.
***
Die tief stehende Sonne scheinte Nyria direkt ins Gesicht, als sie aus den Schatten trat. Sie kniff die Augen zusammen, um ihnen nach der langen Dunkelheit genug Zeit zu geben sich wieder an die Helligkeit zu gewöhnen. Sie hatte wirklich einen ganzen Tag im toten Wald verbracht. Das hieß, dass sie jetzt eine der Letzten sein musste, was die Stute allerdings nicht wirklich beunruhigte. Wenigstens hatte sie genug geschlafen, wenn die Sonne nun also unterging konnte sie noch eine Weile in die Nacht hineinlaufen, um dann nur kurz bis Sonnenaufgang zu schlafen. Also verschwende Nyria keine weitere Zeit und trabte los. Sie durchquerte gerade einen sommerlichen Wald. Die Amseln stimmten ihren abendlichen Gesang an, wie eine Symphonie der Natur. In dem Wald in dem die Stute aufgewachsen war, hatten die Anseln nur selten gesungen, doch wenn sie ihr Lied vorgetragen hatten, hatte Nyria ihnen immer aufmerksam gelauscht. Genauso wie jetzt. Sie hörte den schwarzen Vögeln zu bis sie von der Nachtigal abgelöst wurden. Sanft schien der fast volle Mond durch das Blätterdach und zeichnete ein sanftes Muster auf den laubbedeckten Boden. Die Stute lief noch ein ganzes Stück, bis sie schließlich in einer Kuhle zwischen einigen Wurzeln zur Ruhe kam. Morgen würde sie versuchen die Anderen möglichst wieder einzuholen... Aber um morgen genug Kraft zu haben musst sie jetzt erst einmal schlafen... ein kräftiges Gähnen durchzog ihren Körper, bevor sie sich dem Schlaf hingab...

Nyria - Kriegerin der Garde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt