Kapitel 39

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Scar Sayero klappte mit seinem Huf das Buch vor ihnen zu.
"Das war's für heute.", sagte er mit einem Blick zum Dachfenster, "die Sonne steht bereits tief. Du solltest dich für morgen genug ausruhen."

Nyria nickte und nahm das mit einem Kunstvoll verziertem roten Umschlag eingebundene Buch vorsichtig zwischen die Zähne. Sie lief zwischen die Regale und suchte die leere Stelle im Bücherregal, aus der das Buch stammte. Vorsichtig schob sie es zurück an seinen Platz. Auf dem Holzregal war die dicke Staubschicht nun nur vor diesem Buch durchbrochen. Es handelte von der Thronfolge Cateas. Alle vergangenen und nachfolgenden Könige. Wobei es sich bei zwiterem um Ilano handelte. Er war der Kronprinz Cateas. Was Nyria jedoch am meisten überrascht hatte, war die Tatsache, dass er das nicht immer gewesen war. Denn sein Vater war seinerseits nicht der Kronprinz gewesen. Der größere Bruder Gasabos war Cateas eigentlicher König gewesen. Doch das Leben von König Ketros war eine einzige Tragödie gewesen. Seine Kinder waren bei einem tragischen Unfall ums Leben gekommen, seine Frau verschwand spurlos und er selber starb an einer schweren Krankheit. Eine ganze Famile, einfach ausgelöscht. Und somit ging die Thronfolge an Gasabo und seine Familie weiter.
Nyria seufzte. Sie musste zugeben, dass es wirklich interesant war, etwas über Catea und die anderen Königreiche zu lernen. Sie hatte sich die letzte Zeit durch das Lesenüben mit Sayero viel damit beschäftigt. Damit ihre Wunde endlich besser ausheilen konnte, hatte Scar Katjero dafür gesorgt, dass sie vom "bewegungsreichen" Unterricht für eine Zeit ausgeschlossen wurde, so wie er es formuliert hatte. Und so war sie nun bereits seit einem Halben Mondzyklus die meiste Zeit in der Bibliothek. Entweder für den Theorieunterricht oder um das Lesen zu lernen. In dieser Zeit war ihre Wunde zum größten Teil zugewachsen. Nur ein kleinerer Teil war unter der Naht noch immer nicht ganz verheilt, doch das würde nicht mehr lange dauern.
Vor allem zu Beginn war sie mehr als ungern so oft in Sayero Nähe gewesen. Denn sie konnte einfach nicht vergessen was sie gehört hatte, über diesen Plan. Und auch wenn sie daher immer noch wachsam in seiner Nähe war, fühlte sie sich mittlerweile ziemlich wohl, hier in der Bibliothek. Es war still. Das erinnerte sie an früher... an die Nächte, die sie alleine im Wald verbracht hatte. Wenn die Vögel in der Dunkelheit geschlafen hatten, war abgesehen von vereinzelten raschelnden Mäusen nichts zu hören gewesen. Weit abseits von Tumult und Ärger...
Nyria schüttelte den Kopf und blickte den Gang entlang. Zwischen den Bücherregalen tanzte der Staub in der Sonne. Sie begab sich zurück in das Zentrum der Bibliothek und senkte den Kopf kurz, um sich von Scar Sayero zu verabschieden. Sie schritt zur schweren Holzrür, doch als sie sie gerade öffnen wollte, hielt Sayero sie zurück.
"Nyria."
Sie drehte sich verblüfft zu ihm um. Es kam wirklich selten vor, dass er sie bei ihren Namen nannte und nicht einfach nur Streuner oder Flohpelz. Er saß noch immer am Tisch und starrte ihr kühl entgegen. Für einen Moment beschleunigte sich der Puls der Stute.
"Du solltest endlich aufhören so gebückt zu gehen. Ich beobachte das nun schon länger. Immer wenn dir jemand entgegenkommt ziehst du den Kopf ein. Nicht auffällig, aber es reicht. Du bist nun eine Anwärterin zum Krieger, also solltest du damit aufhören, dich wie ein Streuner zu verhalten. Du musst dich jetzt nicht mehr immer so unterwürfig verhalten. Hast du das verstanden?"
Perplex starrte Nyria dem grauen Hengst entgegen. Das... Mit so etwas hätte sie in 100 Jahren nicht gerechnet.
Sayero schnaubte und wendete den Blick ab.
"Außerdem nervt es mich. Also hör gefälligst damit auf."
Auch wenn er es in diesem Moment gar nicht sehen konnte, nickte Nyria kurz. Zu mehr war sie momentan nicht im Stande.
Und so öffnete sie ohne ein weiteres Wort die Türe und ging hindurch.
"Viel Glück morgen.", wünschte ihr Sayero kurz bevor sich die Türe wieder schloss.
Für einen kurzen Moment stand Nyria still auf dem Flur. Nun war sie wirklich verwirrt. Zwar hatte sie in letzter Zeit das Gefühl gehabt, das Sayero sich mit ihrer Anwesenheit abgefunden hatte, doch das gerade hatte ja fast schon an Nettigkeit gegrenzt. Immerhin war Scar Sayero einer derer, die mit am meisten Hass gegen die Streuner hatten. Und er hatte sonst auch keine Hemmungen das deutlich zu zeigen.
Nyria schüttelte den Kopf. Sie hatte sich gesagt, das sie diesem Hengst so gut wie möglich fern bleiben würde und ansonsten alles vergaß, was sie wusste. Doch sie konnte es einfach nicht vergessen. Eigentlich hätte sie dieses Gespräch am besten nie mithören sollen. Das einzige was es ihr brachte, waren Schwierigkeiten und Sorgen. Außerdem war es nicht ihre Aufgabe sich einzumischen. Sie war eine Anwärterin und hatte sich somit auf ihre Ausbildung zu konzentrieren. Allem Ärger möglichst fern zu bleiben war alles was sie interessierte. Denn wenn sie die Ausbildung vermasselte, musste sie zurück in die Gosse.

Nyria - Kriegerin der Garde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt