Kapitel 11

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Die Kälte schlich sich wie ein tödliches Gift in ihre Gliedmaßen. Sie kroch ihre Adern entlang und lähmte ihre Beine. Eiskalt bahnte sie sich den Weg, immer weiter in Richtung ihres immer langsamer schlagenden Herzens.
Sie versuchte zu schreien, als das eiskalte Wasser in ihre Lungen gelang, aber es erstickte jeden ihrer vor Schmerz und Angst verzerrten Rufe.

Niemand würde sie je aus dieser Hölle aus Eis retten.
Es gab niemanden, der sie vermissen würde.
Niemand würde sich an sie erinnern.

Dies würde ihr eisiges Grab werden.

Sie entspannte ihren Körper, gab den Kampf auf. Überließ sich den dunklen Tiefen. Die Kälte hatte ihr Herz fast erreicht, die Beine waren bereits taub.
Noch einmal starrte sie mit leerem Blick zur Wasseroberfläche, dann wurde alles um sie herum schwarz. Sie spürte nicht einmal mehr die Zähne, die sich krampfhaft um ihr Genick legten..

Nyria atmete ruckartig ein und stöhnte vor Schmerz, als ihre Lungen sich anfühlten, als wollten sie zerbersten. Dann fiel ihr Blick auf eine alte Stute, die direkt vor ihr stand, das Fell fast weiß, ein Auge trüb und blind.
Ein Schauer rann ihr über den Rücken und sie begann so heftig zu zittern, dass es fast schon unnatürlich wirkte. Ihr nasser Körper war immernoch komplett unterkühlt, sogar der vom Frost gefrorene Boden fühlte sich warm an.
"Ha...ha...hast du... du mich gerettet?" Die Stute nickte, aber in ihrem Blick schwang etwas mit, dass nichts Gutes
verhieß. Verunsichert versuchte Nyria aufzustehen, aber ihre leblosen Beine versagten. Sie starrte sie an, wie als wären sie kein Teil von ihr. Zögerlich stupste sie eines ihrer Vorderbeine an, doch es war eiskalt. Heftig zog sie die Luft ein und ihre Lungen brannten wieder. Hilflos und voller Schmerz blickte sie die alte Stute an. Ihre Stimme war so viel weicher und schöner, als es in diesem Alter eigentlich möglich war.
"Es tut mir leid."
In ihrem Blick lag so viel Mitleid, das es keine Nachfrage brauchte...
Nyria würde nie wieder laufen können, ihre Beine waren erfroren.
Ihr Blick wurde leer, ihr Kopf sank auf den Boden. Sie war verzweifelter als je zuvor und obwohl die Bitte überflüssig schien, musste Nyria sie loswerden.
"Bitte... Bitte hilf mir... wenn ich nicht mehr laufen kann bin ich tot...", ihre Stimme brach und verwandelte sich in ein Schluchzen. Diese Bitte war absurd, totes konnte man nicht zurückholen. 

"Es gäbe da einen Weg... einen Zauber." Ihre Stimme war nun monoton, die Melodie völlig daraus verschwunden.
"Ich kann den Preis nicht zahlen... ich habe nichts."
Aller Hoffnung genommen schloss Nyria die Augen, es würde nicht mehr lange dauern bis sie an diesem kalten Herbsttag erfroren sein würde. Ihr Fell war immernoch komplett durchnässt.
"Dieses eine Mal werde ich ihn für dich zahlen." Die Entschlossenheit der alten Stute gab Nyria zu bedenken.
"Warum?"
"Weil mir deine Zukunft wichtiger ist als alles was du mir momentan geben könntest."
Verwundert schaute sie die Zauberin an, ihre Gedanken rasten. Woher sollte diese Stute ihre Zukunft kennen?
"Ich verstehe nicht..."
"Das brauchst du auch noch nicht." Sie lachte amüsiert und ihr gutes Auge strahlte förmlich.
"Irgendwann wirst du es verstehen. Aber vorher werden wir uns sowiso noch einmal begegnen. Wenn du mich brauchst. Ich werde da sein, du wirst schon sehen."

Mit diesen Worten drehte sie sich lachend um und trabte leichtfüßig in den Wald. Mittlerweile war er von einem Nebel eingehüllt, der alles in einen fremden, mystischen Schein warf.
"Wie heißt du überhaupt?", rief Nyria der Hexe, verwirrt von all ihren Worten, hinterher. Sie wndete sich noch einmal mit ihrer blinden Seite zu ihr und gab Nyria in ihrer unfassbaren Stimme die Antwort: "Pangari."
Ohne ein weiteres Wort drehte sich sich wieder um und lief weiter in die dichten Nebelschwaden.
"Warte!" Nyria rappelte sich auf und wollte ihr hinterher galoppieren, aber ihr weißes Fell verschmolz bereits mit dem Nebel.
Sie war weg.
Erst jetzt merkte Nyria, dass sie wieder auf ihren Beinen stand. Auf ihren gesunden Beinen. Und sofort machte sich ein wunderbares Gefühl des Glücks in ihr breit.

Nyria schreckte schweißgebadet hoch. An ihrem Fell klebten Erdklumpen und Moos. Ihr Atem ging schnell und flach.
Sie hatte es schon fast verdrängt... aber nun hatte der Traum ihr die Wahrheit wieder voll ins Bewusstsein gerückt:
Sie wurde damals von einer Hexe gerettet, die ihr mit einem Zauber ihre toten Beine wiedergegeben hatte.

Sie hätte es Ilano erzählen müssen... Sie hatte ihn angelogen... sie hatte sich angelogen.
Es zu verdrängen war nicht der richtige Weg. Aber wenn sie erzählen würde, dass sie verzaubert ist... vielleicht würde er sie nicht mehr mögen... Nein, sie musste es weiter für sich behalten. Vielleicht hatte sie es sich ja doch nur eingebildet...

Nyria - Kriegerin der Garde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt