Kapitel 38

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"Und du hast ihn wirklich gebissen?", fragte Katjero amüsiert.
Nyria senkte den Kopf und nickte. Ihr war das bis zum Himmel unangenehm. Sie hätte sich besser unter Kontrolle haben sollen. Aber als er ihre Wunde wieder aufgerissen hatte, hatte sie sich einfach nicht zurückhalten können und die Wut war mit ihr durchgegangen.
"Er hat es verdient.", stellte Katjero mit einem Ton fest, der keinen Wiederspruch zuließ.
"Ich bezweifle das die Lehrer das ebenfalls so sehen werden...", sie seufzte. Wenn sie wegen diesem Dilemma ihren Ausbildungsplatz verlieren würde, wüsste sie nicht weiter.
"Mach dir keine Sorgen.", beruhigte Katjero sie, der wohl ihren niedergeschlagen Blick bemerkt hatte. "Ich werde mit deinen Ausbildern reden... denn diese kleine Ratte die meine schöne Naht kaputt gemacht hat, kann ich auch nicht sonderlich leiden...", er schnaubte abwertend, "Der hat doch ernsthaft fast geheult als ich ihm seinen kleinen Kratzer genäht habe... tsss! Wie als ob ich nicht nähen könnte!"
Nyria war überrascht über seine Ehrlichkeit. Es gab nur wenige Pferde hier, die es sich leisten konnten so offen zu reden. Also entweder hatte er eine eindeutig wichtigere Stellung in der Garde, als Nyria bis jetzt angenommen hatte oder er war wirklich einfach nur verrückt.

Katjero legte seine Gerätschaften zur Seite und schaute die Stute mit einem breiten Grinsen an.
"Fertig!", sagte er stolz, "aber für heute brauchst du auf jeden Fall Ruhe... es ist wichtig das diese Wunde langsam mal heilt. Zwar ist sie bereits ein ganzes Stück zusammengewachsen, aber du hast von allen Auszubildenden immer noch eine der größten Verletzungen... Und ich schätze, das du hier gut deine ganze Kraft gebrauchen könntest." Er lachte sein krächzendes Lachen ohne wirklichen Zusammenhang und widmete sich anschließend wieder seinen Regalen.
"Wir sehen uns übermorgen.", verabschiedete er sich noch beiläufig.
Nyria lächelte. Er war wirklich ein seltsamer Kautz. Aber irgendwie war sie froh, das er da war.
"Danke.", sagte sie noch, als sie den Raum verließ, doch der alte Hengst war bereits zu tief in seinen Gedanken versunken, um es mitzubekommen.

Und so machte sich die Stute auf den Weg zu ihrem Schlafplatz. Als sie am Großen Platz vorbeikam, sah sie wie die anderen noch immer trainierten. Alerias und ein anderer Hengst kämpften in diesem Moment um den Sieg. So wie es aussah war Alerias im Begriff zu gewinnen.
Doch Nyrias Blick wurde vom Kampf auf etwas anders gerichtet. Heros und seine drei Freunde beobachteten sie misstrauisch. Ihre Blicke bohrten sich in Nyrias Fell. Der Hengst hegen den sie zuvor noch gekämpft hatte stand etwas weiter Abseits, doch wie es aussah hatte er sich von ihrem Biss erholt. Mit einem unangenehmen Gefühl im Magen ging Nyria zügig weiter. Sie hoffte zutiefst das dieser Sieg keine größeren Schwierigkeiten für sie nachziehen würde.
Als sie durch den großen Torbogen gegangen war, der zum nächsten Platz führte atmete sie tief durch. Sie konnte diese Hengste wirklich nicht leiden. Vor allem Heros, der sich wie der Anführer der kleinen Gruppe aufspielte. Aber das beruhte wohl auf Gegenseitigkeit. Am besten hielt sie sich einfach so weit wie möglich fern von ihnen.

Froh darüber ihre Baracke zu sehen steuerte Nyria auf den Eingang des Gebäudes zu. Sie war müde. Die Kämpfe und die Verletztung hatten an ihr gezerrt. Den Schlaf hatte sie nun dringend nötig.
Doch kurz bevor sie durch die Tür ins innere trat, fiel ihr etwas im Augenwinkel auf. Ein brauner Hengst mit mit zwei Halbhohen Abzeichen an den Hinterbeinen bewegte sich auffällig vorsichtig zu einer großen Holztür. Es war einer der Hengste, die Nyria vor ein paar Tagen belauscht hatte. Er schaute sich ein paar mal um und verschwand dann im Inneren des Gebäudes. Für einen kurzen Moment fühlte Nyria den Impuls ihm zu folgen. Doch sie hielt sich zurück. Ihm zu folgen war nun wirklich keine gute Idee. Würde sie erwischt werden, hätte sie noch mehr Probleme am Hals, als sie sowieso schon hatte. Sie atmete tief durch. Außerdem war das eh nicht ihr Problem. Selbst wenn sie vorhatten den obersten Wächter zu töten... Er hatte nie etwas für sie getan. Also warum zum Mond sollte sie sich nun für ihn einsetzten. Sie schnaubte und schüttelte den Kopf. Sie war doch nicht bescheuert. Damit wendete Nyria den Blick von der Tür ab und betrat die Baracke. Sie suchte ihren Schlafplatz und legte sich umständlich hin. Mit der so unpraktisch gelegenen Wunde war das gar nicht so einfach. Schließlich hatte sie aber eine angenehme Position gefunden und es dauerte nicht lang, bis sie in einen tiefen Schlaf gesunken war.

***

"Ihr wolltet mich sprechen.", stellte der alte Hengst nüchtern fest.
"Ja.", antwortete der Schimmelhengst und drehte sich um. Seine braunen Augen borten sich in die des anderen Hengstes.
"Es ist wegen ihr...", er schaute den Braunen vielsagend an, doch er erwiderte den Blick mit Unverständnis.
Der Schimmel schnaubte und begann langsam im Zimmer auf und abzugehen.
"Die Streunerin. Sie erinnert mich so unglaublich stark an sie... Ihr wisst bestimmt noch... ihr Blick... und ihre ganze Austrahlung! Nicht so prägnant, aber... könnte sie nicht vielleicht...?"
"Ich kann euch beruhigen, mein König.", krächzte der Alte nun in ernsten Ton, "Sie hat sicherlich nichts mit ihr zu tun. Das kann ich euch versichern."
Der Schimmel schaute den den Hengst für einen Moment ungläubig an, bis er schließlich den Kopf senkte und einlenkte.
"Natürlich... es wäre ja auch absurt. Ich danke euch. Ihr könnt nun gehen."
Mit einer angedeuteten Verbeugung drehte sich der alte Hengst um und verschwand aus dem Raum. Die Wachen schlossen die schwere Türe hinter ihm und er schritt durch den langen Flur. Das Geräusch seiner Hufe wurde fast vollständig vom Holz absorbiert. Er seufzte. Lügen war eines der Dinge, die er am wenigsten leiden konnte. Doch er hatte gelernt, dass es manchmal unumgänglich war.

Nyria - Kriegerin der Garde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt