Kapitel 51

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Sie spürte die Nervosität. Das Blut pulsierte durch ihre Adern. Ihre Muskeln zuckten unruhig. Bereit für den Sprint. Er wusste es. Er wusste, dass sie da war. Und das hieß, dass sie sich beeilen musste. Die Stute atmete einmal tief durch und sprang hinter dem Gebüsch hervor. Ihre Hufe donnerten in schnellem Rythmus über den feuchten Waldboden. Die nasse Erde spritzte an ihren Beinen hoch und färbe das Fell braun. Doch Nyria bemerkte das nicht einmal. Alles was sie im Blick hatte war das rote Tuch vor ihr, das sampft im Wind wehte.
"Nein!", rief ein Hengst und stürmte nun ebenfalls aus dem Gebüsch. Nyria beschleunigte noch einmal ihre Galoppsprünge. Im passenden Moment schob sie die Hinterbeine so weit wie möglich nach vorne, sprang ab und riss das Tuch vom Ast. Der Falbe kam nur Bruchteile von Sekunden später dort an, wo das Tuch gerade noch an gehangen war. Wütend versuchte er nach Nyria zu schnappen, doch sie war schon aus seiner Reichweite. Aus den Augenwinkeln konnte sie erkennen, dass er ihr nachsetzte. Im gestrecktem Galopp steckte sie das Tuch in ihre Tasche. Er würde es sicher nicht bekommen. Genauso wenig wie die anderen beiden roten Tücher, die sich schon in der Tasche befanden.

Er war um einiges langsamer wie sie, stellte Nyria mit einem leichten Lächeln fest. Sie hörte bereits wie sein Atem schwerer wurde. Er würde diese Geschwindigkeit nicht mehr lange durchhalten. Leichtfüßig setze Nyria über ein Brombeergebüsch hinweg. Als sie den Kopf leicht drehte, konnte sie gerade noch erkennen, dass der Hengst aufgegeben hatte. Er war einfach stehen geblieben und starrte Nyria böse hinterher.

Zufrieden galoppierte die Stute weiter. Wenn sie nur noch- auf einmal verlor sie den Boden unter den Hufen. Ein Pferd war urplötzlich aus den Büschen zu ihrer Rechten aufgetaucht und direkt in ihre Flanke gerannt, um sie umzustoßen. Durch den Schreck schlug Nyrias Herz schneller, und für einen Moment rasten ihre Gedanken wild durcheinander, bis sie verstand was gerade passiert war. Nyria konzentrierte sich, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Keuchend versuchte sie sich unter der Stute zu befreien. Doch diese griff nur mit einer schnellen Bewegung nach Nyrias Beutel und versuchte ihn loszureißen. Mit aller Kraft versetzte Nyria der Braunen einen tritt mit dem Hinterhuf. Sie stöhnte kurz auf, als er in ihrem Bauch landete. Ein weiterer Tritt gegen ihre Brust und die taumelte leicht benommen zurück. Nyria machte ebenfalls einige Schritte zur Seite, um möglichst viel Abstand zwischen die beiden zu bringen. Mit erhobenen Kopf und genähten Nüstern beobachtete sie die Stute. Doch sie saß nur flach atmend am Boden. So schnell würde sie also nicht mehr aufstehen. Die Braune musste sich nur kurz beruhigen, dann würde es ihr wieder besser gehen... Aber in dieser Zeit... Nyria ging vorsichtig zur Seite der Stute, griff in ihren Beutel und zog zwei rote Tücher hervor. Die würde sie mitnehmen.

Die Wächter hatten gesagt, dass im ganzen Wald für die knapp 30 Auszubildenden über 100 Tücher hingen. Nyria hatte nun schon sechs und lag damit gut im Rennen. Allerdings war das sicherlich auch mit Glück verbunden gewesen. Immerhin wurden ihr bis jetzt noch keine Tücher geklaut und sie hatte auch einige gefunden. Wahrscheinlich wäre es nun das beste sich einen sicheren Platz zu suchen und darauf zu warten, das die Übung zu Ende war. Sie musste ja nicht die beste sein, sie durfte nur nicht unter den Letzten landen. Denn die liefen eher Gefahr aus der Ausbildung zu fallen. Immerhin ging es bei dieser Übung darum, das Gelernte aus der Ausbildung anzuwenden.

Mit einem letzten flüchtigen Blick auf die Braune trabte Nyria an und suchte die Umgebung anschließend mit den Augen ab. In diesem Teil des Waldes war das Unterholz sehr dicht, daher war es einfach sich zu verstecken, aber auch einfacher sich an andere anzuschleichen. Nyria atmete tief durch. Der Frühling lag noch immer in der Luft, und das obwohl es fast schon Sommer war. Die Bäume standen bereits wieder voll im Laub und die Vögel kümmerten sich um ihre fast schon flüggen Jungen. Auch das sampfte Summen einiger Bienen war zu hören. Der Wald war wieder zu neuem Leben erwacht.

Doch neben den unzähligen Gerüchen des Waldes lag noch etwas in der Luft. Ein anderes Pferd war ganz in der Nähe.
"Wenn du dich anschleichen willst, solltest du das gegen den Wind machen, Elana.", sagte Nyria laut und drehte sich zu der Fuchstute um, die einige Pferdelängen hinter ihr im Gebüsch stand.
"Wenn ich mich wirklich anschleichen wollte, hättest du keine Chance mich zu bemerken.", sagte sie belustigt und trabte zu Nyria auf.
"Wie viele hast Du?", fragte Elana neugierig, während sie versuchte in Nyrias Tasche zu spähen.
"Sechs.", antwortete Nyria knapp.
"Oh wow, ich hab vier... vielleicht hätte ich dich ja doch überfallen sollen.", scherzte sie und ihre Augen blitzen.
"Also.", begann die Füchsin, "wo gehen wir als nächstes hin?"
"Ich denke ich hab genug. Wollte mir ein sicheres Versteck suchen und das Ende abwarten", antwortete Nyria. Elana blickte sie mit hochgezogener Augenbraue an und schnaubte.
"Das ist nicht dein Ernst. Es läuft doch allem Anschein nach verdammt gut bei dir! Also lass uns noch ein bisschen sammeln."
"Ich-"
"Jetzt komm schon! Ihr Streuner seit immer so übervorsichtig!", mit diesen Worten galoppierte Elana an und setzte geschickt durch das Unterholz. Nyria blickte der Stute seufzend nach. An Temperament fehlte es ihr wirklich nicht. Doch Nyria gab sich ein Ruck. Mit einem kurzen Augenrollen folgte sie der Fuchsstute. Mal davon abgesehen, dass sie die einzige Streunerin war, die Elana überhaupt kannte war sie nicht übervorsichtig, sondern vorausschauend. Eine Angewohnheit die sich vor allem in ihrer Kindheit als vorteilhaft ergeben hatte. Aber was sollte es schon. Das hier war theoretisch nur eine Übung, also hatte sie nicht viel zu verlieren.

Nyria - Kriegerin der Garde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt