Epilog II

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So leise er konnte öffnete er das schwere Tor, aber dennoch hallte der Schlag furchtbar laut durch die große steinerne Halle, in die der Hengst nun trat. Mit kleinen, schnellen Schritten lief er durch die Halle, jeder seiner Huftritte verursachte ein helles Klackern. Jedes Mal zuckte er fast unmerklich zusammen. Denn so leise das Geräusch auch sein mochte, hallte es von den Mauern dieses mächtigen Raumes tausende Male wieder, sodass dem der darin herrschte nichts entging.

Die Wände wirkten perfekt. Der Stein war einheitlich und poliert. Jedoch nur auf den ersten Blick. Zahlreiche dünne Wurzeln zogen sich durch jeden Spalt, den sie fanden. Hatten auch die die kleinste Furche schon erobert. Aber sie waren so gut wie unsichtbar. Denn der Raum war zwar bestückt mit zahlreichen Fenstern, dennoch drang von außen kaum Licht hinein. Nur das kalte Leuchten des Vollmonds legte einige Lichtflecken auf den Boden. Jedes Mal, wenn der braune Hengst sie durchquerte, heftete sich ein langer dünner Schatten an seine Fersen.

Die Nüstern des Hengstes zitterten. Alle Muskeln seines Körpers waren bis zum äußersten angespannt. Er stank. Erfüllte den gesamten Raum mit seinem Geruch nach Angst. Er wusste, dass er nach dem was vor ihm lag vielleicht nicht wieder zurück kehren würde. Er dachte an seine kleine Tochter, die in diesem Moment in ihrem Bett lag und seelig vor sich hinschlief. Jedes mal wenn er hier war, schwor er sich, dass es das letzte Mal war. Und jedes Mal musste er hierher zurück. In die Höhle des Löwen. Doch dieses Mal war es anders. Dieses Mal war es schlimmer.

Als er schließlich dem Ende der Halle näher kam, stockten seine Schritte. Ein Schauer rann ihm über den Rücken und jedes einzelne seiner Haare stellte sich auf. Das weiße Fell des Hengstes glitzerte im grünen Licht der Kugel wie ein vom Tau feuchtes Laubblatt. Seine Augen leuchteten wie zwei Smaragte, während er in die Glaskugel starrte. Der gesamte Raum um ihn herum war in ein schummriges grünes Licht getaucht. Vorsichtig hob der braune Hengst seine Hufe, um über die dicken Wurzeln zu steigen, die hier den Stein bedeckten wie eine Zwangsjacke. Einige von ihnen hatten den Durchmesser eines Beines, Andere waren schon fast so dick wie der Hals des braunen Hengstes selbst.

In gebührendem Abstand blieb er stehen und verbeugte sich tief. Ehrfürchtig beobachtete er den mächtigen Schimmel, der nicht nur ihn, sondern auch alle anderen Pferde im Königreich um Kopflängen überragte. Es schien als würde er gar nicht merken, dass der Braune da war. Doch er war sich sicher, dass der Schimmel ihn schon gehört hatte, bevor er überhaupt den Raum betreten hatte. Unsicher räusperte sich der Hengst und begann dann leise vorzubringen, was er zu sagen hatte:
"Mein Herr...", er machte eine kurze Pause und trat nervös von einem Bein auf das Andere, "Leider ist der Plan gescheitert." Gemächlich hob der Schimmel nun seinen Kopf. Sein Fell glänze in der Dunkelheit wie die Perle einer Muschel. Er fixierte den Braunen mit seinem stechenden Blick.
"Gescheitert, sagst du?", fragte er ruhig.
"Ja.", der Hengst zwang sich dazu das Zittern in seiner Stimme so gut es ging zu unterdrücken, "Doch da gibt es noch etwas...", setzte er an und schluckte schwer.
"Was hast du zu sagen?", fragte der Schimmel geduldig, als der Braune nicht weitersprach. Nun richtete er sich auf und überragte den Hengst über drei Kopflängen.
"Uns... uns ist zu Ohren gekommen, dass wohl eine Streunerin zur Kriegerin ernannt worden ist.", sagte der Braune schnell und zog den Kopf ein.

"Was!?", mit einem Mal war die Ruhe aus dem mächtigen Schimmel gewichen. Sein Blut fing an zu kochen. Und mit einem Mal begannen sich die Wurzeln zu bewegen. Wie gigantische Schlangen zogen sie sich verheerend über den Boden und die Wände. Erschrocken stolperte der Braune einige Schritte zurück. Das grüne Licht der Kugel spiegelte sich in seinen panisch aufgerissenen Augen. Der Schimmel hatte ihn fest im Blick. Das Grün seiner Augen bohrte sich tief in die Seele des Braunen.

Ein entsetztes Wiehern löste sich aus seiner Kehle, als sich eine der Wurzeln schleichend um seinen Huf schlang. Er wagte es nicht sich zu bewegen. Quälend langsam kletterten die Wurzeln an seinem Bein nach oben und legte sich um seine Brust und um seinen Hals. Mit zitterndem Atem versuchte er seine Fassung zu wahren. Unverändert starrte der Schimmel ihm direkt in die Augen.

Immer enger wickelten sich die Wurzeln um seine Kehle. Schließlich zogen sie sich mit einem Ruck zusammen und schnürten ihm den Hals zu. Der Braune schnappte verzweifelt nach Luft. Er dachte an seine Tochter. Doch gerade als er sich sicher war, dass er dieses mal wirklich nicht mehr zu ihr nach Hause zurück kehren würde, ließen die Wurzeln plötzlich locker und zogen sich mit einem Mal wieder zurück.

Der Schimmel wendete sich ab und widmete seine Aufmerksamkeit wieder seiner leuchtenden Kugel.
"Wie es scheint passieren die Dinge wohl schon früher als gedacht...", sagte er leise zu sich selbst. Dann versank er einen Augenblick lang in seinen Gedanken.
"Macht die Schiffe fertig!", wies er den Braunen schließlich an, ohne sich von seiner Kugel abzuwenden, "Es ist an der Zeit, dass wir nach Miträa aufbrechen." Der Braune verbeugte sich kurz und drehte sich dann um. Bevor er jedoch verschwinden konnte, hängte der Schimmel noch etwas an.
"Und macht sie bereit.", sagte er. Der Braune stockte kurz. Dann nickte er gehorsam und machte sich schnellen Schrittes davon.

Der große Schimmel beobachtete das grüne Glühen vor ihm mit einem zufriedenen Lächeln. Seine leisen Worte hallten von den kalten Wänden wieder, als er sie aussprach.
"Das Spiel hat also begonnen, meine liebe Amoya."

***

Es würde mich sehr freuen, wenn ihr auch noch das Nachwort lesen würdet und mir dort vielleicht sogar ein wenig helft :)

Nyria - Kriegerin der Garde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt