Kapitel 64

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Ungeduldig lief Nyria in ihrem Zimmer auf und ab. Mit angelegten Ohren ließ sie ihren Blick bei jedem Schritt anhaltslos durch den Raum schweifen. Ihre Nüstern zuckten unruhig und ihr ganzer Körper gab ihrer Anspannung Ausdruck. Nachdem der oberste Wächter eine Wache zum Artzt der Festung geschickt hatte, um ihn von der Vergiftung mit Goldlilie zu benachrichtigen, hatte der Wächter darauf bestanden, dass Nyria nun lieber auf ein Zimmer gehen sollte, um sich auszuruhen. Widerwillig hatte sie zugestimmt, denn eigentlich wäre sie zu gerne bei Sayero und seiner Tochter geblieben. Doch dem obersten Wächter zu widersprechen, hatte sie lieber unterlassen. Und nachdem zwei Wachen sie hier her eskortiert hatten, war nichts mehr geschehen. Sie war sicher schon seit über zwei Stunden in diesem Zimmer eingesperrt und hatte keine Ahnung was dort draußen vor sich ging. Hatte der Arzt ein passendes Gegenmittel für Sayeros Tochter gehabt? Was würde nun mit Sayero selbst passieren, da er doch theoretisch Hochverrat begangen hatte? Vielleicht saß er ja bereits im Kerker...

Nyrias Gedanken wurden plötzlich von einem Klopfen an ihrer Zimmertüre unterbrochen. Sofort reckte Nyria den Kopf nach oben und stellte die Ohren nach vorne.
"Ja?", sagte sie so laut, dass man es durch die Türe hören konnte. Mit einem knarren wurde die schwere Holztüre geöffnet und Nisero trat mit einem sanften Lächeln in den Türahmen.
"Wenn ich dich bitten dürfte mir zu folgen.", sagte er mit warmer Stimme.
Nyria nickte kurz und der Rappe trat einen Schritt zur Seite, damit sie an ihm vorbei gehen konnte. Nachdem die Stute den Raum verlassen hatte, schloss Nisero hinter ihr die Türe und holte mit zwei schnellen Schritten wieder zu Nyria auf. Sie liefen einen der großen und prunkvollen Flure entlang. Doch Nyria konnte sich nicht mehr länger halten.
"Und wie geht es Sayeros Tochter jetzt?", fragte sie, wobei sich ihre Worte fast schon überschlugen. Nisero schnaubte belustigt. Er hatte sicher schon mit dieser Frage gerechnet.
"Glücklicherweise war dem Artzt dieser Festung die Goldlilie bekannt und er hatte das passende Gegenmittel da. Kreutzwurz. Es war wirklich sehr knapp, aber sie wird wieder gesund werden. Mittlerweile ist sie sogar schon wieder ansprechbar. Ihr name ist übrigens Lith.", antwortete der Hengst ruhig. Nyria atmete erleichtert aus. Das waren gute Nachrichten. Und noch bevor Nyria ansetzten konnte, um nach Sayero selbst zu fragen, kam Nisero ihr bereits zuvor.
"Und um Scar Sayero brauchst du dir ebenfalls keine Sorgen zu machen.", sagte er.
"Also bekommt er keine Strafe?", fragte Nyria verwirrt nach.
"Nein, so ganz ist es leider nicht. Er bekommt seine Strafe, doch der oberste Wächter war sehr gnädig, da du Sayeros Geschichte bestätigt hast.", sagte Nisero und nickte Nyria aufmunternd zu, "Er wird nach Nietz versetzt, eine kleine Fischerstadt an der Küste. Dort gibt es auch eine Bibliothek. Sie ist nicht sehr groß, aber dort wird Scar Sayero seinen Strafdienst verrichten. Und seine Tochter hat die Erlaubnis erhalten, zusammen mit ihm dort hin zu ziehen."
"Wirklich?", fragte Nyria überrascht, woraufhin Nisero nickte. Mit einem zufriedenen Lächeln entspannte Nyria ihre Kopfhaltung. Dass Sayero mit seiner Tochter nach Nietz ziehen durfte freute sie von tiefstem Herzen. Sie hatte gesehen wie sehr es den Hengst mitgenommen hatte, dass er seine Tochter bis jetzt nicht hatte kennen lernen dürfen. Dass er ab jetzt für sie da sein konnte, würde ihm eine Möglichkeit geben das alles wieder gut zu machen. Und außerdem würde seine Tochter nun ein Zuhause bekommen und müsste nicht mehr zurück auf die Straße. Genau das Schicksal, das Nyria sich immer erhofft hatte...

"Hier jetzt links.", brach Nisero plötzlich die Stille und blieb stehen. Mit seinem Kopf zeigte er auf ein Tor in der Wand, das vielleicht doppelt so hoch war wie Nyria selbst. Als die Stute darauf zuging, merkte sie, dass Nisero ihr nicht folgte. Verwirrt sah sie zu ihm zurück und legte den Kopf leicht schief.
"Es war mir eine Ehre euch kennen lernen zu dürfen, Nyria.", sagte der dunkle Rappe in ehrführchtigem Tonfall.
"Aber...", setzte Nyria an. Doch es war das erste Mal, dass sie es mitbekam wie Nisero jemanden unterbrach.
"Das Folgende Bedarf meiner Anwesenheit nicht. Also muss ich mich nun wieder meinen Pflichten widmen. Aber ich bin mir sicher, dass wir uns irgendwann noch einmal treffen werden. Immerhin sieht man sich immer zweimal im Leben.", versicherte ihr der Hengst mit einem aufmunternden Lächeln. Nyria seufzte. Was auch immer hinter dieser Türe auf sie wartete, das hier gerade klang schwer nach einem Abschied. Die Stute würde den Rappen vermissen. Seine Freundlichkeit erwärmte ihr jedes mal aufs neue die Seele.
"Auf Wiedersehen.", sagte Nyria nun auch mit einem Lächeln und deutet eine leichte Verbeugung an. Dann drehte sie sich um, atmete eimal tief durch und öffnete die Türe in den dahinterliegenden Raum. Nisero wartete noch bis sie eingetreten war, um die Tür hinter ihr wieder zu schließen. Nyria sah zu wie sich der Spalt zwischen den Flügel schloss und Niseros freundliches Gesicht dahinter verschwand. Dann widmete sie sich dem Zimmer in dem sie nun stand.

Nyria - Kriegerin der Garde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt