Kapitel 26

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Vorsichtig setzte Nyria einen Huf vor den anderen, während sie sich dazu zwang den Blick nach vorne zu richten. Sie durfte jetzt nicht in die Tiefe schauen. Aber nach dem Stück nach zu urteilen, das sie noch vor sich hatten, waren sie bereits die Hälfte empor gestiegen. Und der Stein wurde immer glatter. Es würde reichen das Gleichgewicht nur für den Bruchteil einer Sekunde zu verlieren, und sie würde vier Baumlängen tief in den Tod stürzen. Nyria versuchte diese Gedanken zu verscheuchen. Sie machten sie unkonzentriert.

Der dunkelbraune Hengst vor ihr versuchte dies allem Anschein nach auch. Doch im Gegensatz zu Nyria wirkte er weniger erfolgreich. Sein kompletter Körper zitterte wie Espenlaub. Das er sich auf diesem Weg noch halten konnte, war ein Wunder.
Mitleid zerriss Nyria das Herz. Sie musste ihm irgendwie helfen.
"Wie heißt du?", fragte sie ruhig und freundlich.
"A... a... Alden", stotterte er, auch wenn er sich merklich anstrengte es zu unterbinden.
"Alden... mein Name ist Nyria."
"Ha... Hallo.", antwortete er, während sein Blick angestrengt auf dem Weg fixiert blieb.
"Wo kommst du denn her?", sie musste einfach nur über irgendetwas mit ihm reden. Ihn nur von seinen Gedanken an die Tiefe ablenken.
"Von... Von den Feldern des O... Ostens."
"Da war ich auch mal... das ist eine wirklich schöne..."

Das Geräusch von rollenden Steinen unterbrach sie. Es kam von ganz vorne. Die kleine Karawane war stehen geblieben. Die junge Stute streckte den Hals so weit wie möglich um zu sehen was dort passierte. Sie atmete erleichtert aus, als sie sah wie Naur seinen Huf von den lockeren Steinen nahm und sich zu den anderen umdrehte.
"Hier aufpassen!", rief er nach hinten, dann liefen alle weiter.
Als Alden an der schwierigen Stelle ankam, wurde sein Atem immer hektischer.
"Ganz ruhig. Einfach aufpassen und weitergehen. Nicht so lange darüber nachdenken.", redete Nyria vorsichtig auf ihn ein. Die Anderen waren zwei Pferdelängen weiter vorne stehen geblieben, um auf sie zu warten.
"Du bist heute schon öfter über solche stellen gegangen. Die hier ist nicht anders."
"Doch... sie ist höher.", seine Stimme war von Angst erfüllt.
"Komm.", sagte Nyria noch einmal vorsichtig und der Hengst setzte sich langsam in Bewegung. Behutsam stellte er den ersten Huf am Geröll vorbei, auf den dahinter liegenden, wieder festen Weg... Der zweite Vorderhuf...

Doch als er das Hinterbein nachzog, trat er direkt auf das Geröll.
Steine rollten, ein panischer Aufschrei und Nyria sah wie der Hengst mit der Hinterhand über den Abhang rutschte. Er hielt sich nur noch mit den Vorderbeinen krampfhaft am Vorsprung fest.
Nyria stürzte sofort einen Schritt nach vorne, achtete aber dsbei auf das Geröll. Sie packte den Hengst mit den Zähnen am Nacken und zog mit aller Kraft.
Aber der Hengst war größer und schwerer als sie, und so rutschte er immer weiter Richtung Abgrund. Und zog Nyria langsam mit. 
Außerdem machte sich durch die Anstrengung ihre Wunde bemerkbar. Ein stechender Schmerz breitete sich langsam in ihrem linken Hinterbein aus und wanderte in ihrem Körper entlang. Lange würde sie ihn nicht mehr halten können.

Doch dann biss sich ein zweites Paar Zähne in Aldens Hals. Die andere Stute hatte es geschafft sich auf diesem engen weg umzu drehen und zerrte nun mit Nyria an dem zitternden Hengst.
Er wimmerte vor Schmerz, Anstrengung and Angst, während er krampfhaft versuchte mit den Hinterbeinen irgendwo halt zu finden. Nyria versuchte ihr Bestes zu geben. Doch dann sah sie über Aldens Rücken hinunter zum Boden. Er war unglaublich weit weg und Nyria wurde sofort schwindelig. Sie schloss die Augen und versuchte dieses elende Gefühl zu vertreiben... doch wenn er sie in die Tiefe ziehen würde, weil er zu schwer war... Nein, das durfte sie nicht denken. Sie musste es schaffen. Sie konnte diesen Hengst nicht einfach sterben lassen. Also nahm sie ihre letzten Kräfte zusammen und stemmte die Beine gegen den Fels. Die Fuchsstute tat es Nyria gleich. Und so zogen sie den Hengst Stück für Stück zurück auf den schmalen weg. Schließlich stand er mit zitternden Beinen wieder zwischen ihr und der Fuchsstute.

Nyria atmete tief durch. Sie hatten es geschafft. Aber ein zweites mal durfte das nicht passieren.
Sie würde die Kraft nicht mehr haben, ihn erneut hoch zu ziehen.
"Danke.", war das einzigste, was er zitternd hervorbrachte, bevor seine Stimme brach.
Nyria nickte nur und senkte dann erschöpft den Kopf. Auch ihr Körper zitterte. Vor allem ihr verletztes Bein hatte die Anstrengung nicht gut vertragen.
"Alles in Ordnung?", fragte Naur, der hinter dem anderen, scheinbar erstarrten, Hengst stand.
"Ich denke schon.", antwortete die andere Stute immernoch schwer atmend und blickte dabei Alden an.
Dieser nickte fast unmerklich.
Die Stute atmete beruhigt aus und wendete ihren Blick zu Nyria.
"Ich weiß nicht wie ich dir dafür danken kann. Mein Name ist Elana."
"Ich heiße Nyria. Aber Du musst mir nicht danken, wenn man hier nicht zusammen hält, hat man keine Chance.", wieherte sie, während sie an die Worte Naurs dachte.
"Und das aus dem Mund einer Streunerin...", ruckartig sog sie die Luft ein und blickte Nyria entschuldigend an.
"Tut mir leid... das hätte ich nicht sagen sollen... ich weiß gar nicht warum...", versuchte sie sich zu erklären.
Nyria lächelte.
"Kein Problem. Wenn mich das aus der Fassung bringen würde, hätte ich andere Sachen gar nicht überlebt. Und jetzt lasst uns weitergehen... ich will so schnell wie möglich von diesem Pfad runter!"
Alle drehten sich zustimmend wieder in Richtung bergauf und setzten sich in Bewegung.
Es ging langsamer voran wie davor. Aber ausnahmsweise war Nyria froh darüber. Denn durch ihre Wunde war die selber nicht gerade die Schnellste.

Nyria - Kriegerin der Garde Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt