24. Tina

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Nervös stand Jonna vor der Haustür ihrer Kollegin Tina. Sie wollte mit ihr persönlich sprechen und das nicht am Telefon klären, sie hatten sich immer gut verstanden, Tina war nicht nur ihre Kollegin gewesen, sondern auch eine Freundin, auch wenn Jonna sich in den letzten Monaten zurückgezogen hatte. Tina hätte zu Basti ganz klare Worte gehabt, Worte die wenig Freundlichkeit beinhaltet hätten. Tina war in ihrem Team immer die Besonnenere von beide gewesen, während Jonna oft intuitiv aus dem Bauch heraus ins Blaue schoss, am Ende war es die perfekte Mischung. Tina hätte sich nie mit Jonnas Aussagen abspeisen lassen, wenn sie gewusst hätte was Basti getan hätte, sie hätte ihr gründlich den Kopf gewaschen und dafür gesorgt, dass Jonna ihn in den Wind geschossen hätte.

Jonna schloss kurz die Augen und drückte auf den Klingelknopf.

„Jonna! Schön dass du da bist! Komm doch rein, ich habe meinen Mann und Jan ins Schwimmbad geschickt, damit wir Ruhe haben.", sie umarmte Jonna kurz, diese zuckte vor Schmerzen etwas zusammen, die geprellten Rippen machten ihr fast mehr Probleme als alles andere. „Hast du Schmerzen?", wollte Tina wissen.

„Ein wenig, die Rippen sind geprellt, das tut schon ziemlich weh."

„Ach Gott, entschuldige bitte! Daran habe ich gar nicht gedacht! Pass auf, du setzt dich schon mal aufs Sofa und ich mache uns einen Tee. Ich habe extra was von deinem Lieblingstee aufgehoben.", Tina verschwand in der Küche und kam kurz darauf mit der dampfenden Teekanne und zwei Bechern wieder.

„So, bitteschön!", sie schob ihr einen Becher zu und öffnete die Packung mit Keksen. „Also, was bringt dich zu mir?"

„Die Wahrheit!", murmelte Jonna.

„Na endlich! Ich dachte schon, du kommst nie! Die Sache mit der plötzlichen Auszeit habe ich nie geglaubt! Also, was ist los?"

Stockend berichtete Jonna, was in den letzten Monaten in ihrem Leben losgewesen war. Ab und an fragte Tina nach, ließ sie aber größtenteils einfach erzählen. Als sie fertig war atmete Jonna tief durch und traute sich kaum Tina anzuschauen.

„Basti ist ein Arsch, aber das wirst du mittlerweile sicherlich selbst wissen oder? Also, was hast du vor? Warum verschweigst du allen die Schwangerschaft?"

„Weil ich beschlossen habe das Kind nicht zu behalten!"

Entsetzt schoss Tina in die Höhe. „Was hast du vor? Jonna? Um Himmelswillen, was hast du vor? Ist das wieder einer deiner übereilten Entschlüsse?"

„Nein! Nein... Ich habe drüber nachgedacht und ich werde das Kind zur Adoption freigeben."

„Wie lange hast du darüber nachgedacht?"

„Lange genug...", murmelte Jonna.

„Jonna! Was tust du nur? Bitte, überleg es dir nochmal! Du weißt dass du nichts überstürzen musst, du musst dich noch nicht jetzt entscheiden, selbst nach der Geburt hättest du noch Zeit, acht Wochen lang. Es ist gut, dass du einen Plan in der Hinterhand hast, aber halte dir alle Optionen offen! Mach nichts, was du irgendwann bereust. Das Kind kann am allerwenigsten etwas für die ganze Scheiße, die dir widerfahren ist, behalte das bitte im Hinterkopf. Und so sehr ich mich freuen würde, dich ganz bald wieder bei mir in der Gruppe zu haben würde ich liebend gerne auf dich verzichten, wenn du dich doch lieber um dein eigenes Kind kümmern möchtest."

Jonna schwieg, sie hatte nichts anderes von Tina erwartet und wenn sie ehrlich war taten ihr die Worte gut. Tina war allzeit optimistisch, verlor dabei aber die Realität nie aus den Augen.

Tina goss Tee nach und schob die Kekspackung über den Tisch. „Die Zwerge werden dich vermissen! Willst du dich nicht doch noch verabschieden kommen? Wir müssen das ja nicht an die große Glocke hängen."

„Ich weiß nicht. Es fällt mir so schon schwer genug, ohne alle noch einmal zu sehen, vielleicht mache ich uns allen den Abschied schwerer als nötig."

„Okay. Falls du doch nicht vorbeischauen willst können wir das gerne machen. Bist du jetzt eigentlich alleine? Willst du sonst zu uns kommen? Unser Gästezimmer steht frei, du bist herzlich willkommen!"

„Danke, das ist nett, aber ich bin Gott sei Dank nicht alleine, mein Nachbar, Patrick, ich bin momentan bei ihm."

„Der Nachbar, der dich ganze Nächte wach gehalten hat, weil er Möbel gerückt oder Musik gemacht hat? Wie kommt das?"

„Ach, wir verstehen uns eigentlich ganz gut, wir sind mittlerweile befreundet."

„Meine Güte, wie viel aus deinem Leben hast du mir verschwiegen? Was war nur los mit dir Jonna, es gab Zeiten da kannte ich dich besser als meinen Mann und in den letzten Monaten hatte ich das Gefühl, dass du dich völlig verschließt. Wo ist meine verrückte, durchgeknallte Jonna geblieben? Die, die viel lacht und gute Laune hat und einen unerschütterlichen Glauben an das Gute?"

Jonna schwieg. Ja, wo war sie in den letzten Monaten eigentlich geblieben? Sie erkannte sich selbst kaum wieder, wann war das passiert? Wann war aus der fröhlichen Jonna dieses Bündel Drama geworden? Sie hätte schwören können, dass es geschehen war, als Basti nach Hamburg gegangen war, aber wenn sie ehrlich war, war schon vorher einiges im Argen.

„Jonna, versprich mir eins, versuch wieder die alte Jonna zu werden, egal was in den letzten Monaten passiert ist, versuch dir deine Leichtigkeit zurück zu holen. Wann hast du das letzte Mal richtig herzhaft gelacht?"

„Ich weiß nicht!", murmelte Jonna.

„Und denk nochmal über das Kind nach, ich weiß, du magst es nicht wenn jemand versucht dir in die Leben zu pfuschen, aber sieh es einfach als lieb gemeinten Ratschlag an."

„Okay!"

Tina wusste, dass sie mehr als dieses okay im Moment nicht zu erwarten hatte. „Und wir treffen uns jetzt wieder regelmäßig, ja? Du hast ja jetzt genug Zeit!"

Wenn Jonna ehrlich war hatte sie Tina vermisst, Tinas gute Ratschläge, ihr offenes Ohr, selbst ihre Umarmungen, obwohl sie sonst nicht gerne von anderen Menschen berührt und umarmt wurde. „Gerne! Ich habe dich vermisst! Das waren komische Wochen!"

Tina stand auf und verließ das Wohnzimmer, kurz darauf kam sie mit einem kleinen Büchlein wieder.

„Hier, für dich!"

Jonna griff nach dem Buch. „Was soll ich damit?"

„Tagebuch schreiben! Schreib einfach jeden Abend auf, was dir durch den Kopf geht, vielleicht auch Dinge die du deinem Kind sagen willst, alles was dir wichtig erscheint. Vielleicht hilft es ja!"

„Äh... Danke!" Jonna hatte seit Jahren nicht mehr Tagebuch geführt und damals als Teenie war sie sich unheimlich komisch vorgekommen, warum sollte sie Dinge aufschreiben? Was brachte das.

Tina schien ihre Gedanken erraten zu haben. „Mach es einfach, auch wenn es komisch ist, es kann helfen die Gedanken zu sortieren und kann dich übereilten Entschlüssen bewahren."

Jonna lief rot an, sie wusste, dass sie manchmal zu impulsiv verhielt.

„Wie kommst du nach Hause?", wollte Tina wissen.

„Patrick würde kommen."

„Ach weißt du was, ich fahre dich und dann stellst du mich diesem ominösen Patrick vor?"

Jonna zierte sich etwas, aber dann besann sich dessen was Tina ihr gesagt hatte. „Gerne!", sie lächelte etwas verhalten, aber es war ein Lächeln.

„Siehst du, war gar nicht so schwer, lächeln, freundlich sein, Hilfe annehmen! Wir bekommen dich schon wieder in die Spur!"

„Danke! Danke für alles!"

„Dafür sind Freunde da habe ich mir sagen lassen!", vorsichtig drückte sie Jonna an sich und das erste Mal seit Wochen fühlte sie ein wenig der alten Leichtigkeit!

Nachbarn die bellen beißen nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt