45. Tourleben

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„Hast du alles?", zweifelnd sah Paddy auf den riesigen Berg an Taschen der sich vor dem Auto stapelte.

„Ich denke schon! Alles was wir vergessen haben können wir ja besorgen, wir fahren ja nicht in ein Entwicklungsland."

Jonna und Talia wollten ihn eine Woche begleiten, es war ein Versuch, Jonna fiel zuhause die Decke auf den Kopf. In den letzten Wochen war Patrick viel zu Hause geblieben um sie zu unterstützen, aber sie hatte gemerkt, dass er unruhig wurde, er brauchte die Musik wie ein Fisch das Wasser und Jonna konnte und wollte ihm seine Auftritte nicht verwehren.

Patrick schnallte seine kleine Tochter in der Babyschale fest und startete den Motor. Heute würde sie bis Bremen fahren, dort würde er morgen ein kleines Konzert geben und dann würde es weiter nach Hannover, Köln, Würzburg und München gehen. Er hoffte, dass Talia alles gut mitmachen würde, sie war immer noch sehr unruhig, weinte viel, die Nächte waren der Horror. Er hatte keine Ahnung wie sie sich verhalten würde wenn sie jeden Tag in einer anderen Umgebung war, dauernd im Auto auf der Autobahn, immer fremde Leute um sich herum. Aber er konnte auch Jonna verstehen die sich alleine fühlte.

„Alles abgeschlossen?", wollte er wissen.

Jonna nickte und gab die Adresse des Hotels in das Navi ein. Kaum dass sie die Autobahn erreicht hatten sank ihr Kopf zur Seite und sie schloss die Augen und etwas Schlaf nachzuholen. Die letzte Nacht war bescheiden gewesen, Talia hatte gefühlt gar nicht geschlafen und er hatte sich irgendwann ins Gästezimmer zurückgezogen, damit zumindest einer etwas Schlaf bekam. Jonna war ratlos gewesen was Talia hatte, sie schrie und ließ sich nicht beruhigen. Irgendwann war sie so verzweifelt dass sie ihr ein Schmerzzäpfchen gegeben hatte, danach war Talia selig eingeschlafen und hatte Jonna zumindest zwei Stunden Schlaf gegönnt.

Er hatte sein Versprechen eingelöst und sich öfter um Talia gekümmert auch immer wieder einmal eine Nacht übernommen, aber am Ende war er derjenige der tagsüber fit zu seinen Terminen erscheinen musste. Er hatte sogar ab und an mit dem Gedanken gespielt ein Kindermädchen einzustellen irgendjemand der Talia ab und an nahm damit Jonna zur Ruhe kommen konnte, aber das hatte sie rigoros abgelehnt. Sie wollte niemand fremdes in ihrem Haus haben, niemanden der in ihrer Privatsphäre schnüffeln konnte.

Erst als er in Bremen in die Tiefgarage des Hotels fuhr weckte er Jonna sanft, sie streckte sich und rieb sich den steifen Nacken.

„Hab ich die ganze Autifahrt verschlafen?"

Er grinste sie an und nickte. „Ich hab gedacht du kannst den Schlaf bestimmt gut gebrauchen. Die letzte Nacht war ziemlich scheiße oder?"

Sie nickte und gähnte. „Keine Ahnung was sie hatte, so langsam bin ich mit meinem Latein am Ende."

„Was ist denn mit dieser Schreiambulanz von der Tina gesprochen hat? Vielleicht sollte wir das wirklich mal versuchen, es kann ja nicht so weiter gehen, dass du dir die Nächte um die Ohren schlägst."

„Mmh, vielleicht. Ich habe ja die Hoffnung dass nach den ersten drei Monaten der Spuk vorbei ist, das habe ich schon so oft gehört."

Während Patrick die Sachen aus dem Auto lud kümmerte sich Jonna um den Check in, sie hatten bewusst alle Hotelzimmer auf ihren Namen gebucht um möglichst unerkannt unterwegs zu sein. Obwohl die Fangemeinde bei weitem noch nicht so riesig war wie früher gab es genug Fans die zu riechen schienen in welchem Hotel er wann abstieg und dann rein zufällig dort ihr Zimmer buchten.

Kaum hatte er Talia aus ihrer Babyschale gehoben fing die Kleine wieder an leise zu meckern. Seufzend schaukelte er sie hin und her in der Hoffnung sie wieder zu beruhigen. Erst als er leise zu singen begann wurde sie etwas ruhiger, an manchen Tagen klappte es, an anderen brachte es sie dazu nur noch lauter zu brüllen. Jonna hatte vor zwei Wochen versucht sie mit zur Bandprobe zu nehmen, der Plan war gewesen sie im Nebenraum schlafen zu lassen und per Babyphon zu überwachen, aber sie hatte ihr einen Strich durch die Rechnung zu machen. Sie hatte nicht schlafen wollen, keine Sekunde, irgendwann hatten die Bandmitglieder sie abwechselnd um die Kirche geschoben. Letzte Woche hatte Paddy ihr kurzerhand Micky Mäuse aufgesetzt und mit in den Probenraum genommen, anscheinend fand sie alles so faszinierend, dass sie anderthalb Stunden Ruhe gegeben hatte, danach war sie völlig erschöpft eingeschlafen und hatten ihm und Jonna ein paar Stunden Schlaf am Stück gegönnt. Auf diesen Effekt hoffte er ehrlich gesagt auch an den nächsten Tagen, vielleicht brauchte sie den Trubel, vielleicht war sie ein Tourbaby. Er und seine Geschwister hatten schließlich auch am besten auf der Bühne geschlafen.

Nachbarn die bellen beißen nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt