"Mann, Mrs Flinch wird mir sowas von den Hals rumdrehen!" Jamie riss ihr Schließfach so energisch auf, dass die Metalltür in ihrer Hand wackelte und lautstark schepperte. Dann fing sie damit an, in dem Papierchaos darin herumzuwühlen.
"Da helfe ich der alten Schachtel doch gerne dabei", merkte Sienna belustigt an, die gemeinsam mit mir unserer Freundin zuschaute. Die war viel zu sehr damit beschäftigt, ihre Spanisch-Aufschriebe von letzter Woche zu suchen, als dass sie einen Konter darauf setzen konnte.
Ich neigte den Kopf zu beiden Seiten, um die unangenehmen Verspannungen in meinem Nacken zu lösen. Letzte Nacht musste ich mir wieder eine dieser schlaflosen Nächte über mich ergehen lassen, in der mich meine Ängste und meine Albträume dem Schlaf beraubt haben. Dementsprechend sah ich heute auch aus.
Die tiefen dunklen Schatten unter meinen glasigen Augen deuteten auf eine kurze Nacht hin. Jeder Muskel an meinem Körper fühlte sich erschöpft und ausgelaugt an, als wäre ich letzte Nacht einen Marathon gelaufen. Der Schweiß hat meine ganze Bettwäsche getränkt. Die eiskalte Dusche heute Morgen hat mich zumindest ein wenig aufgeweckt.
Ich müsste lügen, wenn mir nicht die dicke Luft auffiel, die in den Räumlichkeiten der Schule herrschte. Jeder verhielt sich auffällig angespannt. Eine ungewöhnliche Ruhe hatte sich schleierhaft über den Flur gelegt, in dem normalerweise das reinste Chaos tobte. Schüler, die gestern noch laut gelacht haben, denen verging das Lachen heute. Und keiner wusste so genau warum.
"Du siehst aus wie eine Leiche", stellte Sienna besorgt fest, die mein Gesicht daraufhin genauer unter die Lupe nahm.
"Ach ... ja?", brachte ich nur stotternd heraus. Ich kaute auf meiner Unterlippe herum und umklammerte mit den Fingern den Saum meines T-Shirts. Krallte mich mit ihnen in dem Stoff fest, um meine Hände irgendwie zu beschäftigen und mich innerlich zu besänftigen.
Um mich von meinen ängstlichen Gedanken abzulenken, konzentrierte ich mich lieber wieder auf Jamie und ignorierte Siennas einfühlsamen Gesichtsausdruck. Jamie hatte sich inzwischen ein paar Bücher und lose Blätter unter den Arm geklemmt und blätterte gerade einen Ordner durch.
Obwohl dieses Mädchen eine recht ausdrucksstarke Persönlichkeit hatte, ließen die Sommersprossen auf ihrer Nase sie um einiges niedlicher aussehen. Würde ich ihr das mitteilen, wäre ich einen Kopf kürzer. Denn sie hasste es abgrundtief, wenn jemand sie niedlich fand.
Nicht umsonst hat sie Kyle mal einen Korb gegeben, der sie eigentlich nur nach einem Basketball-Date gefragt hatte. Weil sie ihn angelächelt hat, konnte er sich wohl nicht verkneifen zu sagen, dass sie dabei niedlich aussah. Das war es dann mehr oder weniger mit Kyle. Trotzdem haben sie zwischendurch mal wieder rumgemacht.
Mir fiel auf, dass Siennas große blaue Augen nicht mehr mich fixiert hatten, sondern einen Punkt hinter mir. Offensichtlich hatte sie schon eine ganze Weile nicht mehr geblinzelt, während sie da so in die Ferne starrte. Wenn ich raten müsste, widmete sie Mason gerade ihre vollste Aufmerksamkeit. Und ich wusste, dass ich recht hatte.
Ich schnipste vor ihrem Gesicht herum, bis sie endlich wieder blinzelte. "Wetten, du hast ein Screenshot von seinem neuen Instagram-Bild gemacht."
Danach verfolgte ich mit einem wissenden Schmunzeln auf den Lippen ihren intensiven Blickkontakt. Selbstverständlich stand Mason bei der Fünfer-Clique, die leider Gottes allesamt anwesend sein mussten. Er hörte Jackson aufmerksam zu, bevor er ihm dann etwas erwiderte und dabei sein schönstes Zahnpastalächeln lächelte.
Ja, der Junge war wirklich etwas ganz Feines. Er könnte doch niemals ein Date von Sienna abschlagen!
Schließlich ähnelten sich die beiden extrem. Beide waren ausgesprochen liebevolle und charmante Menschen, die noch dazu wirklich attraktiv waren und unfassbar gute Noten hatten. Die Kirsche auf dem Sahnetörtchen war die Tatsache, dass beide die besten Tänzer in der Tanzcrew waren. Wenn jemand ein perfektes Power-Couple an der Jefferson-High abgeben würde, dann waren es diese beiden Süßen.
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ASHES ✓
Mystery / Thriller"Tja, wer weiß, was an jenem Abend alles so passiert ist?", fragte er mich und lächelte mich unschuldig an. "Du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr, Anni." Ich legte die Stirn in Falten. "Was -" Ganz vielleicht schenkte ich dem Sprichwort v...