31 || Du weißt ja gar nicht, was du mit mir anstellst

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Den geleerten Topf stellte ich in die Spülmaschine und klappte diese dann seufzend zu. Das Mittagessen war zwar schon eine ganze Weile her, aber da ich wohl noch genug Zeit hatte, bis Ashton auftauchen würde, habe ich noch schnell das Geschirr eingeräumt.

Wir hatten keine bestimmte Uhrzeit ausgemacht, zu der er bei mir erscheinen sollte. Nur war es bereits 16:28 Uhr und er ist immer noch nicht aufgekreuzt. Dabei würden meine Eltern gegen halb sieben wieder zurückkommen und von Evie wusste ich gar nicht so genau, wie lange sie fort bleiben würde.

Ich ließ mich auf die Couch fallen und schaute immer wieder auf mein Handy. Seine neue Handynummer hatte ich noch gar nicht und sein altes Handy ist in dem Brand natürlich komplett zerstört worden.

Was ist, wenn ihm etwas zugestoßen ist? Ihm könnte auf dem Weg zu mir etwas passiert sein und niemand wusste davon. Er würde gerade leiden und verbluten, während ich hier saß und mir Sorgen darum machte, dass wir kein Mathe lernen konnten! Okay, ich hyperventilierte schon.

Ashton würde sowieso nichts zustoßen, weil er aus Prinzip Gefahrensituationen ziemlich gut aus dem Weg gehen konnte. Als könnte er hellsehen, wusste er schon im Voraus, wann wir uns zu welchem Zeitpunkt wo besser nicht aufhalten sollten. Vielleicht sah er das Lernen mit mir als Gefahrensituation an, weil uns dabei ja ein Orangutan überfallen könnte.

Oder er hatte es sich ganz einfach anders überlegt und ihm ist die Lust auf Lernen – und meine Wenigkeit – vergangen.

Ich starrte auf die Zeiger der Uhr, die an der Wand prangte. Als würden sie sich kaum vorwärts bewegen, aber trotzdem verstrich die Zeit wahnsinnig schnell. 16:37 Uhr. Irgendwie hätte er sich aber auch bei mir melden können, selbst wenn er nicht mit mir reden wollte. Früher hatte er meine Nummer auswendig gekannt, aber die hat er inzwischen bestimmt freiwillig vergessen.

Da sich fünf Minuten später immer noch nichts regte, erhob ich mich von der Couch und machte mich auf den Weg in mein Zimmer. Dann würde ich eben alles, was ich hingerichtet hatte wieder aufräumen müssen und ihn bei Gelegenheit mal zur Rede stellen.

Als ich durch den Flur ging, konnte ich hinter dem verschwommenen Glas der Haustür eine schwarz gekleidete Silhouette ausmachen. Als ich näher trat, schimmerte dunkelrotes Haar hindurch und ich riss sofort die Tür auf. Ashton stand vor mir, trug die Kapuze ausnahmsweise mal nicht über den Kopf gezogen und schaute mich an. Hat er da jetzt die ganze Zeit herumgestanden und ich hatte ihn nicht bemerkt?

"Du hättest auch einfach klingeln können", merkte ich schmunzelnd an, worauf er nur die Schultern anhob. Dann trat ich zur Seite und er setzte die allerersten Schritte nach dem Brand in unserem Haus. Ich konnte sehen, wie er sich umschaute, bevor er sich dann auf den Boden setzte, um die Knoten seiner Sneakers zu lösen.

Das hat er schon immer so gemacht. Er hat sich stets auf den Boden gesetzt, wenn er seine Schuhe an oder ausziehen wollte. Deshalb musste ich irgendwie ganz automatisch lächeln, als er da so vor mir saß und konzentriert die Schnürsenkel öffnete. Danach gingen wir gemeinsam den Flur hinab zu meinem Zimmer. Ashton hielt etwas Abstand zu mir, während er mir folgte und die Augen über die Wände schweifen ließ. Auch in meinem Zimmer musste er sich umschauen.

Seine blauen Augen betrachteten die neutralen Wände, die Pinnwand über meinem Schreibtisch, mein frisch bezogenes Bett und den flauschigen Teppichboden. Eigentlich hatte sich in diesem Zimmer fast nichts verändert, seitdem er das letzte Mal hier gewesen ist.

Nur, dass ich nach dem Feuer alle Bilder abgehängt habe, auf denen er und ich zusammen zu sehen gewesen sind. Denn sie haben meine Albträume verschlimmert, weil ich sie tagtäglich ansehen musste. Sie lagen nun gut aufgehoben in einer kleinen Schachtel auf dem Dachboden.

ASHES ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt