23 || Eine Chance geben

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"Nein!", schrie ich schon fast und versuchte verzweifelt trotz der Verriegelung die Tür zu öffnen, woran ich jedoch kläglich scheiterte. "Bitte ... ich, ich geh einfach zu einer Freundin!"

Allerdings fuhr Tristan in diesem Moment auch schon weiter und ich blickte sehnsüchtig über die Schulter zu meinem Zuhause zurück. Ich versank in dem Sitz und versuchte in meinem Kopf einen Fluchtplan zu formen, denn um keinen Preis würde ich zu ihm nach Hause gehen.

Sobald ich die Tür wieder öffnen könnte, würde ich aus dem Auto herausspringen. Die Schmerzen müsste ich zwangsweise ignorieren, um aus der ganzen Sache lebend wieder herauszukommen. Das Wichtigste war, dass ich einfach nur rannte – und zwar so schnell wie ich konnte. Denn er würde sich ganz bestimmt nicht die Mühe machen wollen mich wieder einzufangen.

Angespannt kaute ich auf meiner immer noch bebenden Unterlippe herum, als Tristan in die Einfahrt des großen eindrucksvollen Hauses fuhr. Zuvor bin ich nur ein einziges Mal kurz nach dem Brand hier gewesen, weil ich alte Sachen von Ashton zurückgebracht hatte, die noch bei mir herumgelegen sind.

Tristan stieg aus und entfernte die Verriegelung nicht, weshalb ich immer noch fest saß. Ich griff in meine Handtasche und nahm sicherheitshalber schon mein Handy zur Hand. Dort tippte ich bereits 9-1-1 ein und müsste somit im äußersten Notfall nur noch auf den grünen Hörer drücken.

Ich beobachtete ihn dabei, wie er in seinen langsamen, großen Schritten um die Motorhaube herum ging und dann die Beifahrertür öffnete. Hastig kletterte ich heraus und als ich dann direkt vor ihm stand, wollte ich an ihm vorbeirennen, um meinen gut zurechtgelegten Plan zu verfolgen.

Doch leider musste er mir einen Strich durch die Rechnung machen und schlang beide Arme fest um meinen Körper. Gleichzeitig überkam mich ein plötzlicher Schwächeanfall, weshalb ich nicht einmal mehr den kleinen Finger rühren konnte, um mich von ihm zu befreien. Die Angst, dass er mir weh tun könnte, war einfach viel zu groß.

"Anisa, ich will dir doch nur helfen verdammt!", knurrte er aufgebracht in mein Ohr und schleppte mich zur Haustür. Diese schloss er mit der freien Hand auf und stellte mich drinnen wie ein dekoratives Möbelstück ab.

Stocksteif blieb ich an Ort und Stelle stehen und traute mich bloß, mich nur mit den Augen hier umzuschauen. Alle Lichter waren ausgeschaltet, bis auf das, welches er nun anknipste, und in dem ganzen Gebäude herrschte absolute Ruhe. Der Gedanke, dass Owen und Ashton hier irgendwo sein könnten, trieb mich bereits ans Ende meiner Nerven.

Tristan nahm mich in seine Arme und hob mich hoch. Dabei achtete er besonders darauf, an den Knien etwas behutsamer zu sein, um mir nicht weh zu tun. Ganz automatisch legten sich meine Arme um seinen Nacken, damit ich etwas Halt an seiner Brust finden konnte.

Meine Fingerspitzen berührten den weichen Flaum seiner Haare in seinem Nacken und als ich abwesend daran herumspielte, kam ich für eine Millisekunde mit seiner Haut in Berührung. Ein Blitz schoss durch meine Adern hindurch und ließ alles in meiner Brust schmerzhaft zusammenziehen.

Ich schluckte und legte meine Hände lieber flach auf seinen Schultern ab, während er mich mit purer Gelassenheit die Treppenstufen hinauf trug. Meines Wissens lagen auch im ersten Stockwerk die ganzen Zimmer der drei Jungs.

Eine der vielen Türen war bloß angelehnt und ein Lichtstrahl fiel hinaus auf den Flur. Sofort schlug das Herz in meiner Brust wieder in einer höheren Frequenz, da wir ziemlich dicht daran vorbeigingen, aber ich leider nicht hineinsehen konnte.

Tristan brachte mich ins Badezimmer und setzte mich dort auf dem Badewannenrand ab. Er ließ meine Füße auf den Boden sinken und ich zog rasch die Hände von ihm zurück, um den Körperkontakt schnellstmöglich wieder zu unterbrechen.

ASHES ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt