35 || Gar nicht richtig wahrnehmen

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Von dem Anblick, der sich vor mir auf dem Boden ergab, wurde mir verdammt übel. Gleichzeitig konnte ich jedoch kaum etwas wahrnehmen. Mein Herz verlangsamte sich, raubte mir jeden Atemzug. Ich stand einfach nur da und starrte auf Ashton hinab, der seine Hand auf seinen Unterarm presste. Blutspuren zogen sich zwischen seinen Fingern hindurch über seinen Handrücken. In regelmäßigen Abständen tropfte das Blut auf die Fliesen hinab.

"Ashton ..." Ich ließ meine Tasche fallen und konnte mich immer noch nicht aus meiner Starre lösen. Zwar wollte ich nicht hinschauen, doch ich konnte nicht anders. Überall an meinem Körper schien meine Haut zu pulsieren und gab den elendig langsamen Herzschlag wieder.

Sein Kopf hob sich an. Die dunklen Strähnen fielen ihm vor die Augen, die ich darunter kaum erkennen konnte. Was ich jedoch deutlich sah, war, dass sein Gesicht mit Tränen überströmt war. "Es, es tut mir so leid. Nisa ... ich, ich wusste nicht ..."

"Alles okay. Wir, wir kriegen das hin", versuchte ich ihm stammelnd zu versprechen und bemühte mich um einen entschlossenen Tonfall. Die Wahrheit war jedoch, dass ich nicht genau wusste, was ich tun sollte. Die Panik kroch in mir hoch, machte mich wahnsinnig.

Rasch öffnete ich willkürlich irgendwelche Schranktüren, bis ich einen Stapel an Waschlappen fand. Einen schnappte ich mir und befeuchtete ihn mit warmen Wasser. Dann setzte ich mich vor ihn auf die Knie.

"Zeig mir die Wunde", flüsterte ich auffordernd. Ashton rührte sich nicht und schluchzte leise auf. "Bitte ... ich will dir helfen."

Zuerst schaute er mich mit gemischten Gefühlen an, aber dann hob er endlich seine Hand. Mir stieg Hitze in den Kopf. Mehrere Linien, aus denen massig Blut drang, zogen sich über seinen Unterarm. Sie durchquerten die schwarze Schrift, die wohl ein Tattoo sein musste.

Mit allergrößter Vorsicht tupfte ich das Blut von seinem Arm. Ich gab darauf Acht, nicht der Wunde zu nah zu kommen und lediglich die roten Flecken zu entfernen. Nur rann immer wieder dunkelrot glänzendes Blut aus diesen offenen Linien.

Mein Blickfeld war vor lauter Tränen verschwommen. Teilweise hatte auch der Alkohol einen Einfluss auf mich und brachte meine Sicht zum Drehen. Ich blinzelte, um mich zu konzentrieren, aber ich konnte es irgendwie nicht. "Wir ... wir müssen das auch gleich desinfizieren und das muss genäht werden. Genau! Wir müssen zum Arzt. Ich muss einen Krankenwagen rufen ..."

Ruckartig riss Ashton seinen Arm von mir weg und schoss mit dem Kopf in die Höhe. Erstmalig konnte ich in seine mit Tränen gefüllten roten Augen schauen. "Nein! Keinen Krankenwagen."

"Das muss genäht werden", krächzte ich und nahm sein Handgelenk wieder in die Hand. "Das sind tiefe Wunden! Wie hast du das gemacht?"

In mir staute sich die pure Verzweiflung an. Es schadete ihm nur, wenn er sich nicht helfen lassen würde. Ich versuchte ihn mit flehenden Blicken zu überzeugen, doch er wich mir nur aus und starrte zu einer etwas weiter entfernt liegenden Rasierklinge. Auch sie war mittlerweile blutrot.

Mit der Zeit konnte ich das Blut von seinem Arm entfernen und wickelte schlussendlich einen Verband darum. Sobald ich ihn feststeckte, brach ich wieder in Tränen aus. "Ashton, du ... du kannst das nicht tun!"

Ziemlich benommen wog er den Kopf zu den Seiten und sah mich an. "Tut mir leid. Ich wusste nicht, was ich tun soll."

Ich wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln und betrachtete den befleckten Boden. Ohne großartig darüber nachzudenken, schrubbte ich mit dem Waschlappen darüber und versuchte mithilfe meines Kleides die Fliesen zu trocknen. Ashton sah mir schweigend dabei zu. Hin und wieder stieß er ein leises Wimmern aus.

Nach einer Weile war von einer Blutspur nichts mehr zu erkennen und ich beförderte den Lappen in den Wäschekorb. Ashton blieb weiterhin sitzen.

"Zieh dich aus. Du nimmst jetzt ein Bad", sagte ich dann leise vor mich hinmurmelnd und schlug den Vorhang an der Badewanne zur Seite. Ich beugte mich darüber und schloss den Abfluss, ehe ich dann das Wasser einschaltete. Hoffentlich würde ihn ein heißes Bad beruhigen, denn ich wusste gerade wirklich nicht, was ich noch tun sollte.

ASHES ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt