58 || Du bist mein Bruder, Ashton

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Ashton POV

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23. Februar 2019 Samstag, 02:58 Uhr

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Einzig und allein mit den Augen verfolgte ich ihre intensiven Berührungen. Die Körper waren Haut an Haut aneinander gepresst, zwischen sie passte kein noch so dünnes Blatt Papier mehr. Ich wusste nicht genau, wie lange ich zu ihnen starrte und bei diesem perversen Rumgemache beobachtete, aber es war eine ganze Weile.

Willentlich reckte sie sich ihm entgegen und wollte seine dreckigen Hände überall an sich spüren. Dass sie einander an den Lippen hingen und sich ihre lustvollen Blicke gegenseitig zuwarfen, widerte mich einfach nur an. Ich könnte kotzen.

Die Erde schien sich nur noch in Zeitlupe im Kreis zu drehen, als ich den Blick endlich von ihnen lösen konnte. Mich beschäftigte im Augenblick nur eine einzige Sache. Zwar steckte nicht besonders viel Planung darin, aber dafür jede Menge Wut und Enttäuschung. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir noch einen detaillierten Fluchtplan aufstellen müssen. Doch es ging nicht nach mir. So wie immer.

"Ich pass auf Anisa auf", hatte Owen gesagt. "Ihr wird nichts zustoßen."

Sie sei bei ihm in Sicherheit und ich müsste mir keine Sorgen um sie machen. Gerade machte ich mir auch keine Sorgen um irgendetwas. Es war Owen, der besorgt sein müsste. Schließlich war er so intensiv beschäftigt, dass er nichts mehr mitbekommen würde. Nicht mein Problem. Sein Problem.

Ich kehrte ihnen den Rücken zu und schritt durch den großen mit Menschen gefüllten Raum. Alle Gäste – keine Freunde, sondern Menschen, die seine Beliebtheit ausnutzen wollten – waren viel zu sehr damit beschäftigt, sich dem Fluss des Alkohols hinzugeben. Das Zeug habe ich noch nie in meinem Leben angerührt. Ich würde es auch nicht. Ich brauchte es nicht.

Ich traf auf den Blick eines Menschen, der mich heute nicht aus den Augen lassen wollte. Jacobs Gesicht war verängstigt verzerrt, während er etwas weiter entfernt in dem großen Wohnzimmer stand und dann warnend mit dem Kopf schüttelte. Ich nahm seine graublauen Augen wahr und trotz dessen, dass er mich so flehend anschaute, setzte ich den Plan fort.

Wie oft hatte er mir in den letzten Tagen eintrichtern wollen, dass es gefährlich war und ich es lassen sollte? Jedes Mal habe ich ihm geantwortet, dass ich mir von einem unwissenden Menschen wie ihm nichts sagen lassen würde. Dabei wäre es so viel einfacher, wenn er mich verstehen könnte. Das tat er nicht – hat er noch nie getan.

Die Aufmerksamkeit der Gäste lag nicht auf mir, was ich schon immer gewohnt gewesen bin. Für mich war es ein leichtes, unsichtbar zu bleiben. Deshalb bewegte auch ich mich auf eine ganz bestimmte Tür zu und nicht Owen. Um unentdeckt zu bleiben.

Mir war es egal, wie ich aus dieser Sache heute wieder herauskommen würde. Hauptsache, ich musste dieses Haus nicht mehr sehen und mein Vater würde endlich zur Besinnung kommen. Meinetwegen konnte ich auch auf Owen verzichten.

Ich griff in meine Hosentasche und spürte darin das kalte Metall des Schlüssels. Langsam zog ich ihn heraus und umschloss ihn fest in der Faust. Vor der Tür blieb ich stehen. Sie solle abgeschlossen bleiben. Eine Party sei okay. Niemand solle da rein. Niemand solle auf den teuren Perserteppich kotzen.

Ist klar, Vati.

In der Sekunde, in der ich den Schlüssel in das Loch schob, hallten Owens einprägsame Worte wieder durch meinen Kopf. "Du musst den Schlüssel dann sofort loswerden. Er muss in den Trümmern bleiben. Niemand darf ihn finden. Deine Fingerabdrücke könnten dich verraten."

ASHES ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt