29 || Fünf Minuten spazieren

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Noch nie zuvor hat mich eine vergleichbare Erleichterung durchströmt, als ich Ashton rauchend vor der Schule entdeckte. Offensichtlich ging es ihm um einiges besser. Schließlich konnte er auf seinen Beinen stehen und zitterte nicht mehr unkontrolliert mit den Händen und Knien. Ich versuchte diese unschönen Erinnerungen an gestern zu verdrängen.

Mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen näherte ich mich ihm. Heute trug er seine Kapuze ausnahmsweise mal nicht über den Kopf gezogen. Sein dunkelrotes Haar erleuchtete im morgendlichen Sonnenschein. Ich schaute ihm lediglich in die Augen, um auch die nicht zu übersehbare Narbe in seinem Gesicht zu ignorieren. Abwartend blieb ich vor ihm stehen und wartete eine Reaktion seinerseits ab.

Ashton ließ den Rauch durch die Nase entweichen. Danach schnipste er die Zigarette zu Boden. "Was willst du heute?"

Trotz seiner abgeneigten Stimmlage behielt ich mein Lächeln bei. Ich betrachtete die nun im Dreck liegende Zigarette, die weiterhin vor sich hin glühte und den leichten Rauchschwaden aufsteigen ließ. "Ich wollte fragen, wie es dir geht."

Von meiner Antwort überrascht hob er den Kopf an. Ich entgegnete seinen verblüfften Blick und presste dann die Lippen aufeinander. Eventuell könnte ich ihn ja doch dazu bringen, wieder Vertrauen zu mir aufzubauen – insbesondere nach dem gestrigen Tag. Hoffentlich hatte er nicht schon wieder vergessen, dass ich für ihn da gewesen bin und jederzeit für ihn da sein würde.

"Schlecht geschlafen", sagte er leise nuschelnd und steckte dann beide Hände in die Tasche seines Pullovers. Dabei lehnte er sich mit dem Rücken gegen die Fassade der Schulmauer. Seine Augen umkreisten meinen Körper, bis sie schlussendlich wieder in meinem Gesicht angelangten. "Sonst ganz gut denke ich."

Mit einem zuversichtlichen Gefühl in der Brust wagte ich einen weiteren Schritt auf ihn zu. Möglichst unauffällig schaute ich über den Schulhof, auf dem bisher nur wenige Schüler zu sehen waren. Die Aufmerksamkeit lag glücklicherweise nicht auf mir und Ashton brauchte sich nicht unwohl zu fühlen.

"Dass ich mich wirklich mit dir treffen will, habe ich letzte Woche ernst gemeint", flüsterte ich ihm ehrlich zu und knetete die Hände ineinander. "Bitte lass es uns einfach mal ausprobieren. Wenn es dir nicht gefällt und ich dich nerve, dann können wir es auch sofort wieder sein lassen. Aber ... lass es uns doch wenigstens versuchen."

Selbstverständlich würde ich jede seiner Entscheidungen respektieren. Mich machte die Warterei auf seine Antwort unfassbar nervös. Kaum zu glauben, dass ich vor ein paar Monaten noch mit ihm über alles sprechen konnte, ohne deswegen angespannt zu sein. Doch jetzt stand ein völlig anderer Mensch von mir, der mir so fremd und gleichzeitig so bekannt war.

Zögerlich hob ich den Blick an. Sofort unterbrach er den Blickkontakt zu mir und starrte an mir vorbei in die Ferne. Er musste sich eine Antwort erst überlegen. Ich schluckte und atmete nochmal tief ein. "Nicht nur, weil ich mit dir den Stoff für die Prüfungen nachholen will ... ich vermisse dich, Ashton. Ich will dich sehen."

Mir rutschte ein verzweifeltes Seufzen heraus. Als wäre ich gar nicht anwesend, schulterte er plötzlich seinen Rucksack und schritt eiskalt an mir vorbei. Ein weiteres Mal wurde ich also von ihm ignoriert. Es tat einfach nur weh. Merkte er denn wirklich nicht, wie ernst ich das meinte?

"Ich habe jede Nacht Albträume, in denen du leiden musst", erzählte ich ihm dann, was ihn dazu veranlasste, ganz unerwartet mit dem Rücken zu mir gewandt stehen zu bleiben. "Es macht mich fertig, dir so fern zu sein und immer abgelehnt zu werden!"

Darauf drehte er sich wieder zu mir um. Ich konnte erkennen, wie sich in seinem Gesicht etwas verändert hatte. Man konnte es ihm vielleicht nur geringfügig anmerken, doch seine Miene schien tatsächlich etwas weicher zu werden. Als er mir direkt in die Augen sah, weiteten sich seine Pupillen ein wenig. "Okay."

ASHES ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt