53 || Ein nein ist keine Einladung

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Sowohl Jamie als auch Sienna habe ich die Sache mit Tristan erzählt. Beide haben genauso wie ich gedacht, dass ich mich mit ihm angefreundet hätte und der Junge anscheinend in Ordnung wäre. Als ich aber erwähnt habe, dass er für Jamies Krankenhausaufenthalt verantwortlich gewesen ist und mich bewusstlos sehen wollte, empfanden sie ihn als widerliches Schwein. Da waren sie wohl ganz meiner Meinung.

Ashton kam auch die nächsten Tage nicht zur Schule. So sehr ich ihn auch sehen wollte, traute ich mich nicht, ihn zuhause zu besuchen. Das würde nämlich bedeuten, dass ich dort außerdem auf Tristan treffen würde. Ihm konnte ich in der Schule zum Glück aus dem Weg gehen. Ich versuchte einfach, so unsichtbar wie nur irgendwie möglich zu sein – was überraschend gut funktionierte.

Nur mit größter Mühe habe ich Dad davon überzeugen können, dass ich das Tanztraining wieder auf mich nahm. Zunächst hat er mir kein Wort geglaubt. Nachdem ich ihm aber den Chat mit Danielle gezeigt habe und das Video von ihr, auf dem sie das Solo tanzte, hat er es mir endlich abgekauft. Daher stand ich nun mit seiner Erlaubnis, von meinem Hausarrest befreit zu sein in der Sporthalle und schaute das Video auf meinem Handy an.

Danielle hat gemeint, ich sollte das Solo schon mal üben, bis die Gruppe auch mit dem neuen Tanz beginnen würde. Auf dem Video waren ihre Bewegungen wirklich elegant und eindrucksvoll. Hoffentlich waren meine Knochen und Gelenke nicht von der langen Tanzpause komplett eingerostet.

Ich begann mit ein paar Dehnübungen, bei denen meine Knochen nacheinander knacksten. Danach machte ich mich an das Lernen der Choreografie. Sie bestand aus ziemlich vielen gymnastischen Teilen, die früher eigentlich meine Spezialität gewesen sind. Mal schauen, was davon noch übrig geblieben ist.

Um ehrlich zu sein, lernte ich das Solo sehr schnell. Die erste Hälfte hatte ich auf Anhieb drauf, den zweiten Teil musste ich mir nochmal genauer anschauen. Danielle war so schnell, dass ich das Video sogar auf halbe Geschwindigkeit stellen musste, um darin die Bewegungen ihrer Beine zu erkennen.

Wenn ich das nachmachte, verknoteten sich meine Beine bloß ineinander. Ich stolperte hin und wieder und flog zwischendurch mal auf die Knie. Sonderlich schmerzhaft war es nicht, mich regte es nur auf, dass ich es nicht schaffte. Da ich die Choreo heute allerdings erst zum ersten Mal übte, sollte ich mir nicht so einen großen Druck machen.

Mit dem Klang der Musik in meinen Ohren versuchte ich Danielle nachzuahmen. Erst ein wenig langsamer, dann versuchte ich es schneller – bis ich beim Originaltempo angelangte. Als ich mich gerade im Kreis drehte, fiel mir die Silhouette am Eingang der Halle auf.

Sofort verharrte ich und blickte verwundert dorthin. Es war Tristan, der dort meiner Meinung nach viel zu gelassen im Türrahmen lehnte und mir wohl schon eine Weile zugesehen hatte. Er merkte, dass ich auch Blickkontakt zu ihm aufgebaut habe und nickte dann. "Du hast meinen Ratschlag also befolgt und gehst wieder tanzen."

Ich habe meinen eigenen Ratschlag befolgt und nicht seinen. Ohne Umschweife stoppte ich Danielles Video und balancierte Handy und Trinkflasche in einer Hand, während ich in der anderen den Beutel mit meinen anderen Sachen trug. Dann marschierte ich schnurstracks auf ihn zu.

Tristan stieß sich von der Tür ab und kam mir entgegen. Ich schenkte ihm keinerlei Beachtung und huschte an ihm vorbei durch den Flur und direkt in die Mädchenumkleiden. Dort angekommen, ließ ich all meine Sachen auf der Bank fallen und schlüpfte aus den Sportschuhen.

Mich wunderte es kein Stück, dass die Tür aufgestoßen wurde, während ich meine Sneakers zubinden wollte. Tristan kam auf mich zu und schien nicht abbremsen zu wollen. Ich wollte ihn weiterhin ignorieren und bildete mit den Schnürsenkeln gerade eine Schlaufe, als er mich einfach packte.

ASHES ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt