6 || Ich hasse ihn

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Ob ich ihn immer noch liebte?

Die Wut und all der Hass auf Owen verflogen mit einem Mal, denn seine unerwartete Frage warf mich völlig aus dem Konzept. Noch dazu dieser gespannte Gesichtsausdruck, als würde ich ihm sogleich die aktuellen Lottozahlen verraten.

"Äh ..." Ich wippte nervös mit dem Knie auf und ab. Mein Kopf hatte keine Antwort parat.

Owens blaue Augen drangen in meinen Körper ein, versuchten die Antwort aus mir herauszuquetschen und aufzusaugen. Ich brach den Blickkontakt ab und starrte auf die von mir gekritzelten Tornados in meinem Block.

Ashton Fierce.

Für endlos lange drei Wochen haben die Ärzte versucht, ihn im künstlichen Koma am Leben zu erhalten. In dieser Zeit habe ich ihn nicht oft besucht. Es hat mir viel zu sehr weh getan.

Laut den Ärzten hätte er ohne Koma die starken Schmerzen der schlimmen Verbrennungen niemals ausgehalten. Zudem seien seine Atmungsorgane von der Rauchvergiftung so schwer verletzt worden, dass er künstlich beatmet werden musste, um wenigstens eine klitzekleine Chance fürs Überleben zu haben.

Innerhalb dieser drei Wochen haben sich meine grässlichen Albträume entwickelt. So gut wie jede Nacht habe ich von ihm träumen müssen – und von uns.

Diese Albträume handelten von jener Nacht, in der ich zusehen musste, wie sein Körper vor meinen Augen in Flammen aufging. Er schrie vor Schmerzen, bis er einen qualvollen Tod starb – immer und immer wieder. Manchmal wachte ich schweißgebadet aus diesen realitätsnahen Träumen auf und hatte das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.

Ashton ist mein Freund gewesen.

Wir sind gerade mal ein Jahr zusammen gewesen, dann hat er angefangen, sich selbst weh zu tun. Ihm ging es von Tag zu Tag schlechter. Deshalb hat sein Vater ihn in eine psychiatrische Klinik gesteckt, wo er für zwei unendlich lange Jahre behandelt worden ist.

In diesen zwei Jahren hat er wahnsinnig abgenommen. Davor ist er eher ein kräftigerer Junge gewesen, aber danach hat er deutlich unter dem Normalgewicht gelegen, das er eigentlich haben sollte. Ich wollte die Gründe dafür einfach nur auf die intensive Behandlung schieben.

In diesen zwei Jahren habe auch ich Fehler begangen, die ich heute bereute und für die ich mir selbst die Haare ausreißen könnte. Leider beinhalteten all diese Fehler Owen, der mir zu dieser Zeit immer näher gekommen ist. Näher, als mir eigentlich lieb war.

Doch es war einzig und allein meine Schuld. Ich habe es zugelassen, bin auf Owen eingegangen und habe nie Nein gesagt. Ashton hatte jemand besseres verdient.

Seitdem er die Klinik vor etwa einem halben Jahr verlassen hatte, hat er noch weniger als zuvor geredet und gelacht hat er auch nie wieder – geschweige denn gelächelt. Ich vermisste den Jungen, den ich damals kennengelernt und nun endgültig verloren habe.

"Du enttäuschst mich", hörte ich Owens Stimme weit entfernt sagen. "Dass du so viel Bedenkzeit brauchst, um diese simple Frage zu beantworten, enttäuscht mich sehr. Wäre er jetzt hier, würde ihn das sicher sehr traurig machen."

Ist nicht er derjenige gewesen, der Brian befohlen hat, Ashtons Namen nicht laut auszusprechen? Warum musste er dann mich auf ihn ansprechen?

"Anni, dir hat es gefallen, wenn wir es getan haben und du würdest es doch ganz sicher wieder tun", hauchte Owen über die Lippen und lehnte sich weiter über den Tisch. "Du würdest dich auch darauf einlassen, wenn ich dich wieder verführen würde."

ASHES ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt