40 || Du siehst den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr

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Es brauchte keine Sekunde, nachdem Mr Thornton uns Schüler allein zurückgelassen hat, bis sich Brian auf seinem Stuhl zu mir umdrehte. Er donnerte mir sein Arbeitsblatt in Form einer Papierkugel gegen den Kopf.

Gereizt zerknüllte ich auch meins zusammen und schleuderte es ihm entgegen. Es kam auf seinem Tisch zum Liegen, worauf er die Kugel grinsend in die Hand nahm, um sie auseinander zu falten. "Dann schreib ich mal deine schlauen Antworten ab, Schätzchen."

"Mach ruhig, Schätzchen! Steht nämlich sowieso nichts drauf!" Mit einem genervten Stöhnen lehnte ich mich auf meinem Stuhl zurück und warf einen Blick auf die Uhr. Noch 32 Minuten, bis ich endlich wieder in Freiheit leben würde!

"Machen wir dort weiter, wo wir vorher aufgehört haben", hörte ich Tristan hinter mir so finster knurren, dass es mir die Nackenhaare aufstellte. "Wie hast du mich vorhin genannt?"

Owen legte seinen Kopf schief und stützte ihn mit einem unschuldigen Schmunzeln auf der Hand ab. In diesem Augenblick könnte man ihm schon fast dieses falsche Lächeln abkaufen. Jedoch wusste ich es besser und schenkte ihm einen meiner düsteren Blicke.

"Das weißt du doch ganz genau", entgegnete Owen arrogant und zog die Mundwinkel noch weiter in die Höhe. "Du Schwuchtel."

Tristans Muskeln spannten sich von diesem gewissen Wort direkt wieder an und er war drauf und dran, auf Owen zuzustürmen und ihm den Kopf abzureißen. Ich sprang jedoch von meinem Platz auf, sodass mein Stuhl dabei mit einem lauten Schlag umkippte. "NEIN!"

Die drei Jungs schauten mich alle an, als wäre ich irgendetwas Befremdliches mit riesigen gelben Glubschaugen, cyanblauer Haut und elfenähnlichen Ohren. Als wäre ich als Na'vi aus Pandora geflohen.

"Ich hab absolut keinen Bock wegen euch nochmal nachsitzen zu müssen", sagte ich dann und blieb mit den Augen insbesondere bei Owen hängen. "Ihr könnt euch meinetwegen streiten, aber bleibt auf euren Plätzen sitzen, klar?"

Ganz zu meinem Überraschen verharrten sie tatsächlich auf ihren Stühlen und warfen sich nur gegenseitig irgendwelche Beleidigungen an den Kopf. Ich hingegen schaltete dabei völlig ab und starrte die Sekunden auf der digitalen Uhr an. Sie verstrichen nur in Zeitlupe.

Ich müsste noch eine ganze Weile mit den Jungs hier drin eingesperrt sein und irgendwann würde ich wieder die Nerven verlieren. Vielleicht war ich zurzeit oft angespannt und leicht reizbar, aber selten brachte mich ein Mensch dazu, dass ich aus meiner eigenen Haut fiel und so wütend wurde.

Nur Owen Fierce hatte das geschafft. Falls er sich dafür einen Preis oder einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde erhoffte, dann konnte er darauf echt lange warten. Ich würde es ihm nicht leicht machen, mich nochmal so sehr zu provozieren, das schwor ich mir.

"Anisa-Schatz, du hast da übrigens was nicht mitgekriegt", erklang ausgerechnet Owens Stimme, die ich zunächst ignorieren wollte. Er schaffte es letztendlich dann doch, dass sich mein Kopf trotzdem zu ihm drehte. Der Spott und die Verachtung in seinem Gesicht versuchte ich nicht zu beachten. Ich durfte nicht erneut die Nerven verlieren. Deshalb redete ich mir ein, dass Owen all die Kraft nicht wert war, die ich in meine Wut steckte.

"Ich kann euch gerne erzählen, was an jenem Abend geschehen ist", meinte er und überkreuzte gelassen die Arme hinter dem Kopf. "Ihr würdet mir aber sowieso nicht glauben."

Er log. Er hatte selbst keine Ahnung. Niemand wusste, was passiert ist. Es war genauso, wie Tristan es einmal zu mir gesagt hatte: Nur der Täter wusste, was an dem Abend vorgefallen ist.

Dennoch war ich auf Owens Geschichte gespannt und fuhr mir tief Luft holend durchs Haar. "Dann spucks mal aus."

Als wäre er stolz darauf, dass ich angebissen hatte, nickte er und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Ich beobachtete ihn dabei, wie er kurz nachdachte, weil sich die Beule an der Backe bildete. Er setzte sich gerade hin und schaute uns mit einem leichten Lächeln auf den Lippen an.

ASHES ✓Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt