Das vertraute Summen des Zuges erfüllte die Luft. Es war fast ein Sirren, nicht besonders laut, doch deutlich wahrnehmbar. Es vermischte sich mit dutzenden, leisen Gesprächen, nur unterbrochen von der hellen Lautsprecherstimme, die regelmäßig die nächste Haltestelle ankündigte. Vor den Fenstern rauschten hunderte Wohnhäuser vorbei, deren weiße Fassaden zu einer einzigen, durchgezogenen Linie verschmolzen.
Die silberne Stange, die als Haltegriff diente, drückte gegen Isabellas Rücken, und die Kälte, die davon ausging, drang durch ihre Bluse. Eigentlich hatte sie sich wie jeden Morgen zusammen mit ihrer Schwester einen Platz gesucht, doch sie hatte ihn schnell für eine ältere Dame freigegeben und sich stattdessen gegen eine der Metallstangen gelehnt, die in gleichmäßigen Abständen im Abteil angebracht waren. Mit ihrem rechten Fuß stand sie auf dem Träger ihrer Schultasche, die sie auf dem Boden abgelegt hatte, um zu verhindern, dass sie bei einem schnellen Bremsen oder Anfahren des Zuges davonschlitterte.
Isabella hatte den Blick nach draußen gerichtet und beobachtete, wie die Stadt vor dem Fenster an ihr vorbeizog. Der Zug verlor an Geschwindigkeit und bremste sanft ab, als er die nächste Haltestelle erreicht hatte. Die Menschen, die ordentlich aufgereiht nacheinander den Zug betraten, trugen eine Mischung aus süßlichem Parfüm, frisch aufgebrühtem Kaffee und kühler Luft in das Abteil, wo sich der Duft mit dem Geruch von Putzmittel vermischte.
Als der Zug wieder anfuhr, ließ er schnell die letzten Häuser der Wohnviertel hinter sich, und als er das nächste Mal abbremste, konnte Isabella von weitem die großen Tore der Klinik am Ende der Straße sehen, in der ihr Vater als Chefarzt arbeitete.
Sie warf einen Blick zu ihrer Schwester, die einige Meter entfernt auf einem Platz am Fenster saß und die Stirn gegen die Glasscheibe gelehnt hatte. Ihr Atem hinterließ in kurzen Abständen einen nebligen Film auf der Scheibe. Obwohl ihre Augen nach draußen gerichtet waren, schienen sie nichts wahrzunehmen. Ihre hellbraunen Haare fielen ihr, ordentlich zu einem Zopf gebunden, über die Schulter. Isabella wunderte sich, dass ihre Schwester eine Bluse mit langen Ärmeln trug, da der Sommer gerade erst zu Ende ging und die Sonne sich mit letzter Kraft aufbäumte, um ihnen die letzten warmen Tage zu schenken, bevor der Winter begann. Es wurde nie richtig kalt in Ashville, doch hin und wieder brauten sich Stürme zusammen, die zwar nicht über die Mauern in die Stadt drangen, aber unheimlich heulend versuchten, sie zu durchbrechen.
Isabella wandte den Blick wieder nach draußen und beobachtete, wie der Zug die letzten großen Fassaden des Bankenviertels passierte, bevor der Jahrtausendplatz sich eröffnete.
Es war ein fast magisches Gefühl, wenn die Häuser den Blick freigaben auf diese riesige, freie Fläche mit dem hellen Marmorboden, der so glattpoliert war, dass sich das Licht der Sonne in ihm spiegelte. Von drei Seiten wurde der Platz von hellen Steinwänden der umliegenden Häuser eingerahmt, auf der vierten Seite ragte der Kontrollturm in die Luft. Von den Bewohnern Ashvilles wurde er nur „das Auge" genannt, denn in seiner Höhe übertraf er alle anderen Gebäude der Stadt und schien stets, wie ein offenes Auge, über die Geschehnisse, die sich in Ashville ereigneten.
Bei weitem niedriger, aber in seiner Gestalt noch beeindruckender als Kontrollturm, war das Gebäude zu seiner rechten Seite. Das Sonnenlicht spiegelte sich in den riesigen Glasfassaden der Ratshalle. Sieben Säulen führten eine breite Treppe bis nach oben zum Eisenportal, auf dem das Wappen der Stadt prangte. Sieben Säulen – eine für jede Position des Hohen Rates.
Der zweite Stock war beinahe komplett verglast. Hier befanden sich die Büros der sieben Vertreter des Hohen Rates. Wie jeden Morgen suchte Isabellas Blick das zweite Fenster von rechts und tatsächlich konnte sie von weitem die schmale Gestalt ihrer Mutter erkennen. Sie stand am Fenster und schien in die Ferne zu blicken, eine Hand an die Stirn gelegt, um die Augen gegen das blendende Sonnenlicht zu schützen. Fast hätte Isabella instinktiv die Hand gehoben, um zu winken, da wandte Amber Almond sich ab.
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Runner - Die Jagd beginnt
Science FictionDie Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Zu viel Schaden haben Kriege und Verwüstung angerichtet. Isabella lebt gut behütet in Ashville, einer Stadt, die aufgebaut wurde, um seine Bewohner zu schützen. Keine Bedrohung dringt über die Stadtm...