Das Licht blendete Isabella, auch wenn der Raum nur von einigen dumpfen Lampen erhellt wurde. Die Decke war so niedrig, dass ein groß gewachsener Mann beinahe mit dem Kopf anstoßen musste. Die Wände und der Boden waren aus grobem Stein gemauert, wie er nirgendwo in Ashville zu finden war. Ein Teil des Bodens, ein breiter Streifen, der sich durch den kompletten Raum zog, war mit Brettern beschlagen. Es gab keine Fenster, dafür drei grob in die Wand geschlagene Löcher, die in weitere Räume zu führen schienen. Ein feiner Ölgeruch, der von den Lampen ausströmte, mischte sich in die kalte, muffige Luft. Doch es war nicht der Raum, der ihr Herz zum rasen brachte und nicht die Kälte, die sie erzittern ließ.
Um sie herum, in einem Halbkreis, standen zwei Dutzend Runner.
Sie waren dunkel gekleidet und hatten mit schwarzer Farbe die Konturen ihrer Gesichter verzerrt, sodass ihre normalen Gesichtszüge nicht mehr zu erkennen waren. Von dunklen Schatten umrandet lagen die Augen tief in den Höhlen. Dutzende Male sah sie das Zeichen der Runner im Raum, an Armen und Schultern unter die Haut gestochen. Im Licht der Öllampen warfen die Körper flackernde Schatten auf den Boden, die Proportionen seltsam verschoben und in die Länge gezogen.
Es überraschte Isabella, dass die Gruppe so groß war. Die Geräusche hatten auf mehrere Personen hingewiesen, doch sie hatte nicht damit gerechnet, so viele Runner zu sehen. Stumm starrten sie sie an. Ein Schauer lief ihr über den Rücken. Sie wirkten tatsächlich mehr wie Monster, als Menschen. Vielleicht stimmten die Geschichten, an die sie nie geglaubt hatte: vielleicht waren die Runner verunstaltet und rebellierten aus diesem Grund gegen die Gesellschaft.
Sie musste sich zusammenreißen! Es nützte nichts, wenn sie bei diesem Anblick in Panik ausbrach. Stattdessen musste sie so viele Informationen sammeln, wie es in dieser kurzen Zeit möglich war. Wenn sie denn wieder lebend hier herauskam, kam es ihr in den Kopf, doch sie verscheuchte den Gedanken schnell. Ihr Blick glitt über die Gruppe. Es handelte sich hauptsächlich um Männer. Nur vier von ihnen waren zierlicher und kleiner gebaut und konnten folglich Frauen sein. Für einen Moment versuchte sie sich Meredith in dieser Gruppe vorzustellen. Sie konnte es nicht. Ihre schöne, zarte Schwester wollte nicht in diesen Raum, nicht zwischen diese Kreaturen passen. Gerade wollte sie sich noch weiter umsehen, da trat der Mann, der die ganze Zeit mit ihr gesprochen hatte, um sie herum, sodass sie ihn endlich sehen konnte.
Er war groß und hager und ein gehetzter, unruhiger Blick lag in seinem Gesicht. Seine schmutzig-blonden Haare fielen lang und zu einem Pferdeschwanz gebunden auf seinen Rücken. Das Erschreckendste an ihm war jedoch seine Narbe. Sie zog sich von seiner rechten Wange bis über das Auge auf die Stirn. Als hätte jemand sein Gesicht aufgeschlitzt, dachte sie, und vielleicht war genau das passiert. Von seinem rechten Auge war nur ein Schlitz zu sehen, das Lid war vernarbt und schief. Isabella fragte sich, ob er auf dieser Seite überhaupt noch etwas sehen konnte.
Sie senkte den Blick, als sie bemerkte, dass sie ihn mit offenem Mund anstarrte. Aber warum schämte sie sich überhaupt dafür? Sie musste kein Mitleid haben mit diesem - was eigentlich? Er war ein Mensch und doch wirkte er nicht menschlich.
Mit einer ausladenden Geste wies er in den Raum. "Willkommen in den heiligen Hallen der Runner." Er grinste und entblößte eine Zahnlücke. "Kaum einer bekommt je die Ehre, diesen Ort von innen zu sehen." Dann wurde sein Gesicht wieder ernst.
"Sag uns, wie bist du auf diese Idee gekommen?", fragte er. "Nachts auf dem Dach herumzuklettern."
„Niemand hat euch je gefunden, nicht wahr?", sagte Isabella. „Die einzige Möglichkeit ist, sich finden zu lassen."
Obwohl sie seine Worte nutzte, hielt sie es für klug, ihren Vater in diesem Moment nicht zu erwähnen. Die Runner sollten nicht denken, dass noch jemand eingeweiht war.
DU LIEST GERADE
Runner - Die Jagd beginnt
Science FictionDie Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Zu viel Schaden haben Kriege und Verwüstung angerichtet. Isabella lebt gut behütet in Ashville, einer Stadt, die aufgebaut wurde, um seine Bewohner zu schützen. Keine Bedrohung dringt über die Stadtm...
