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Sie konnte die Runner nicht an ihre Mutter verraten. Es war falsch, das wusste sie, aber noch wollte sie dieses Gefühl, das die Nacht der Lichter in ihr ausgelöst hatte, nicht aufgeben. Denn wenn sie ihrer Mutter das Versteck zeigte, würde sie nie wieder zu den Runnern zurückkehren und dann würde sie nie wieder über die Mauer sehen können. Sie hatte verstanden, was Amber ihr mit dem Besuch der Gewächshäuser zeigen wollte. Die Natur war gefährlich, auch wenn man es ihr nicht ansah. Vor ein paar Wochen hätte Isabella diese Tatsache auf die Runner übertragen. Hätte gedacht, dass sie noch gefährlicher waren, als sie aussahen. Aber stimmte das? Immerhin hatten sie ihr noch kein Haar gekrümmt.

"Bist du bereit für eine neue Herausforderung?", riss Jeremiah sie aus ihren Gedanken. Seit einer halben Stunde saß sie am Tisch und grübelte. Ihre Mutter hatte sie in den letzten Tagen kaum gesehen. Sie verbrachte noch mehr Zeit in der Ratshalle und stürzte sich mehr denn je in ihre Arbeit.

"Für die Menschen sind wir wie ein Phantom.", erklärte Jeremiah. „Sie wissen, dass es uns gibt, aber sie sehen uns nicht. Und solange sie uns nicht sehen, haben sie keine Angst. Es ist wichtig, dass wir uns ihnen zeigen. Immer dann, wenn sie es am wenigsten erwarten."

"Das bedeutet?" Isabella setzte sich auf. Ihre Aufmerksamkeit war geweckt.

"Du kennst doch sicher den Straßenverkauf, der regelmäßig stattfindet?"

Natürlich kannte sie ihn. Alle paar Wochen bauten die Händler ihre Verkaufsstände auf dem Jahrtausendplatz auf. Kleidung und Schuhe wurden angeboten, Gemüse und Wein und sogar örtliche Schönheitsbehandlungen. Dazu spielte meist eine Musikkapelle. Es war immer etwas Besonderes für die Bewohner Ashvilles und so tummelten sich hunderte von ihnen auf dem Platz. Doch ihr schwante Böses, als sie Jeremiahs Grinsen bemerkte.

"Du willst nicht etwa-"

"Oh doch. Wir werden eine hübsche Portion Angst und Schrecken verbreiten."

"Ist das nicht zu gefährlich?", fragte sie erschrocken. Auf den Dächern waren sie einigermaßen sicher, auch wenn Isabella sich dagegen sträubte, meterhohe Abgründe als sicher zu bezeichnen. Aber mitten durch eine Menschenmenge zu rennen – war das nicht reiner Selbstmord?

Jeremiahs Augen funkelten. "Was wäre das Leben ohne Nervenkitzel?"

Sieben Runner standen aufbruchsbereit im Wohnquartier und reichten eine kleine Schale mit schwarzem Pulver herum. Es war wichtig, sich zu maskieren, hatte Jeremiah ihr erklärt, für den Fall, dass jemand sie erkannte. Außerdem wirkten sie so bedrohlicher. Mit einem Schaudern dachte Isabella an die Nacht zurück, in der sie das erste Mal zu den Runnern verschleppt worden war. In einem engen Kreis waren sie um sie herumgestanden, mit maskenhaften schwarzen Gesichtern. Car, der neben Isabella stand, tauchte die Hand in das schwarze Pulver und schmierte es sich mitten über das Gesicht, bevor er ihr die Schale weiterreichte.

Unschlüssig hielt sie sie in der Hand. "Was ist das?"

"Kohle.", antwortete Blue. "Keine Sorge, es zerstört deine feine Haut nicht. Lass mich das machen." Er tauchte die Finger in das Pulver.

Seine geschwärzte Hand näherte sich ihrem Gesicht. Ihr Herz pochte ungewöhnlich schnell, als er einen Strich über ihre Stirn malte, ein Muster über ihre Wangen und ihre Nase. Auf ihrer Haut blieb ein sanftes Kribbeln zurück.

„So gefällst du mir schon viel besser." Er grinste. Isabelle spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss. Sie war dankbar, dass Blue es unter der Kohle nicht sehen konnte.

Es hatte fast etwas Symbolisches. Als wäre sie jetzt erst ein Teil der Runner und nicht seit dem Zeitpunkt der Markierung.

Isabella betrachtete die Gruppe. Sie sahen zum Fürchten aus mit den schwarzen Kleidern, die Gesichter mit Kohle unkenntlich gemacht. Sie selbst hatte sich auch die Haare mit Kohle geschwärzt. Sie durfte es nicht noch einmal riskieren, erkannt zu werden, nachdem sie das letzte Mal beinahe aufgeflogen war.

Runner - Die Jagd beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt