55.

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„Hat jemand Rook gesehen?", rief Ezra plötzlich und riss Is aus ihrer Starre. Sie sah sich um. Tatsächlich konnte sie Rook nirgendwo entdecken.

Kate zuckte erschöpft mit den Schultern und ließ sich zu Boden sinken. „In welcher Gruppe ist er gerannt?", fragte sie mit matter Stimme.

Blue und Is tauschten einen Blick.
Is konnte nicht mehr sagen, ob Rook in ihrer Gruppe gerannt war. Sie waren so viele gewesen, dass sie nicht weiter darauf geachtet hatte. Aber wenn er nicht hier war, dann konnte das nur eines bedeuten: die Wachmänner hatten auch ihn erwischt.

Is hatte Rook nicht gemocht und sie konnte nicht behaupten, genauso traurig über seinen Tod zu sein, wie über den Jeremiahs, aber das hatte er nicht verdient. Niemand hatte das verdient.

Müde ließen die Runner sich auf die Bänke sinken. Jemina und Lev hatten Phoebes Wunde so gut verbunden, wie es mit ihren spärlichen Hilfsmitteln möglich war, aber schon jetzt färbten sich die alten Bettlaken rot.
Schweigend saßen sie zusammen. Niemand hatte die Kraft für tröstende Worte und es gab nichts, was diesen Moment leichter machen konnte.
Die Runner waren am Boden. Keiner von ihnen wusste, wie es weitergehen sollte. Ob es weitergehen konnte. Hatte das alles überhaupt noch einen Sinn? Schon wieder waren zwei von ihnen gestorben und diesmal hatte es ausgerechnet Jeremiah erwischt. Jeremiah, der unsterblich gewirkt hatte.

Blue war der erste, der schließlich das Schweigen brach.

„Wie ist es passiert?"

Jeder wusste, was er meinte und trotzdem war Ezra der einzige, der die Stimme erhob.

„Wir haben eure Schüsse gehört.", sagte er. „Jeremiah hat sich Sorgen gemacht, aber wir wussten, dass wir euch nicht helfen konnten, also wollte er, dass wir uns ins Versteck zurückziehen. Plötzlich tauchten Wachmänner auf dem Dach neben uns auf. Sie haben das Feuer auf uns eröffnet. Es gab keinen Platz, um Schutz zu suchen. Sie hätten uns alle erwischt, wenn nicht-" Er schluckte und wirkte, als kämpfte er mit den Tränen.

Kate griff nach Ezras Hand und übernahm sein Wort.
„Jeremiah hat sie abgelenkt und wir konnten fliehen."

Is spürte die Übelkeit in sich aufsteigen. Jeremiah war mehr als ein Anführer für die Runner gewesen. Mehr als ein Freund. Er war so etwas wie ein Vater gewesen. Und sie waren seine Kinder. Kinder, die er mit seinem Leben beschützt hatte.

Sie versuchte, das Bild aus ihrem Kopf zu verdrängen, wie Jeremiah auf dem Dach lag, zahlreiche Schusswunden im Körper. Hatten die Wachmänner ihn schon weggebracht oder lag er noch immer dort?

„Woher wussten sie überhaupt, wo wir waren?", fragte Cube plötzlich. „Es kann kein Zufall gewesen sein. Sie haben uns gezielt aufgelauert."

„Vielleicht war die Ratshalle ein zu offensichtliches Ziel.", überlegte Blue, doch Jemina schüttelte den Kopf. „Die Ratshalle vielleicht. Aber unsere Gruppe war auf einem gewöhnlichen Haus mitten in der Stadt. Sie müssen auf uns gewartet haben."

Is entging nicht, dass Blue ihr einen flüchtigen Blick zuwarf, doch dieser kurze Moment genügte, um Wut in ihr hochkochen zu lassen.

„Ich war es nicht!", rief sie. Stellte man sie nun unter Generalverdacht, weil sie in der Vergangenheit einen Fehler begangen hatte, so schlimm dieser auch gewesen war?
„Ich kann es nicht gewesen sein! Wem hätte ich von dem Plan berichten sollen? Und wie? Ich war die ganze Zeit hier!"

„Das stimmt.", bekräftigte sie Cube. „Außerdem war Is selbst mit dabei. Sie hätte genauso leicht erwischt werden können. Sie hat bewiesen, dass sie auf unserer Seite steht.

Wieder kehrte die Stille zurück und Is fühlte sich unendlich erschöpft. Schon wieder hatten sie zwei aus ihren Reihen verloren. Wie sollte es nun weitergehen, ohne Jeremiah an der Spitze, der ihnen den Weg leitete und aus jeder Situation einen Ausweg fand? 

Runner - Die Jagd beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt