Isabella hätte Rook nicht dankbarer sein können, denn seine Aktion mit der Schüssel Kartoffelschalen hatte etwas bewirkt, was er sicher nicht beabsichtigt hatte. Die Runner, zumindest einige von ihnen, hatten erkannt, dass sie etwas zu hart zu ihr gewesen waren. Nachdem bereits Phoebe ihr geholfen hatte, hatten sich auch beim nächsten Essen zwei junge Männer, die sich ihr als Robbe und Car vorstellten, und die trotz ihres unterschiedlichen Aussehens wie Zwillinge wirkten, neben sie gesetzt und ein Gespräch mit ihr begonnen. Und auch Fish hatte ihr zuvor einen mitleidigen Blick zugeworfen, als sie die Schüssel mit den Kartoffelschalen zurück auf den Tresen gestellt hatte.
Wenn sie nur wüssten, dass sie kein Mitleid brauchte.
Denn noch etwas hatte sich verändert. Ihre Motivation, die sie schon lange verloren hatte, war zurückgekehrt. Isabella hatte gemerkt, dass sie tatsächlich etwas herausfinden konnte, wenn sie es geschickt anstellte. Sie musste nur Geduld haben.
Andere Runner waren allerdings nach wie vor misstrauisch und zeigten ihre Abneigung offen. Rook versuchte weiterhin, alle gegen sie aufzuhetzen, jedoch nur mit bedingtem Erfolg, und so wurden seine Schikanen seltener und bestanden mehr aus Blicken und ein paar gehässigen, jedoch ziemlich leisen Kommentaren. Kate konnte sie immer noch nicht leiden. Isabella war aufgefallen, dass sie sie heimlich beobachtete. Blue und Kate verbrachten ständig Zeit zusammen und Isabella schätzte, dass ihre Abneigung sich auch auf ihn übertrug. Dabei war er es, den sie überzeugen musste, denn solange er misstrauisch war, würden die Runner ihr nichts verraten und sie würde nicht viel herausfinden können. Sie musste vorsichtig sein.
Doch einmal konnte sie der Versuchung nicht widerstehen. Gerade hatte sie ihren leeren Teller nach dem Essen in die Küche zurückgebracht, da sah sie auf einem der Tische eine große Rolle Papier liegen. Sie sah alt aus, war mehrfach eingerissen und vergilbt. Isabella sah sich um, um sicherzugehen, dass die anderen Runner sie nicht weiter beachteten, dann rollte sie das Papier vorsichtig ein Stück auf. Es war eine Karte Ashvilles. Eine Landkarte, auf der tausende von verschiedenfarbig markierten Häusern eingezeichnet waren. Viele von ihnen waren mit Buchstaben und Zahlenfolgen beschriftet. Die ganze Karte war in Quadrate aufgeteilt, von einer gestrichelten Linie durchbrochen, die sich über das Blatt schlängelte und offensichtlich die Zugstrecke darstellte.
Schon öfter hatte sie Karten von Ashville gesehen, doch noch nie hatte sie eine in der Hand gehalten, die so detailliert jedes einzelne Haus zeigte. Sie rollte die Karte noch ein Stück weiter auf und warf einen erneuten Blick zu der Gruppe Runner hinüber, die auf der anderen Seite des Raumes saß. Noch immer waren sie in ihr Gespräch vertieft. Das war ihre Chance. Vielleicht konnte sie in dem Gewirr aus Zahlen, Buchstaben und Farben das Versteck der Runner finden.
„Wenn du mir sagst, wonach du suchst, kann ich dir sicher dabei helfen.",
Isabella fuhr erschrocken herum. In Gedanken versunken hatte sie nicht gemerkt, dass Jeremiah hinter sie getreten war. Obwohl er sich nur selten im Wohnquartier aufhielt, hatte er das Talent, immer genau dann aufzutauchen, wenn man ihn am wenigsten erwartete.
Er musste aus dem Waschraum gekommen sein, dessen Eingang sich genau hinter Isabellas Rücken befand, denn seine Haare hingen nass an beiden Seiten seines Gesichts auf die Schultern und sein schwarzes Hemd war nur bis zur Hälfte zugeknöpft. Sie sah das Zeichen der Runner auf seiner Brust, genau an der Stelle seines Herzens.
„Ich wollte nicht-", stammelte sie und suchte fieberhaft nach einer glaubwürdigen Ausrede. „Ich hatte nicht vor-"
Jeremiah sah sie abwartend an. In seiner Gegenwart fiel es ihr immer am schwersten, sich eine Lüge einfallen zu lassen, denn sie hatte das Gefühl, dass sein Blick sie durchdrang und direkt in ihr Innerstes ging.

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Runner - Die Jagd beginnt
FantascienzaDie Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Zu viel Schaden haben Kriege und Verwüstung angerichtet. Isabella lebt gut behütet in Ashville, einer Stadt, die aufgebaut wurde, um seine Bewohner zu schützen. Keine Bedrohung dringt über die Stadtm...