Runner - Die Jagd beginnt

24.

Zum ersten Mal hatte Isabella den Waschraum der Runner betreten. In den Nächten zuvor hatte sie sich davor gescheut, doch nach diesem Training war ihr Körper schweißüberströmt und die Haare klebten ihr in nassen Strähnen im Gesicht. So konnte sie nicht nach Hause gehen, ohne zu riskieren, von ihren Eltern erwischt zu werden und wie sollte sie ihren Zustand erklären? Ihre Beine zitterten. Blue hatte sie immer und immer wieder springen lassen und tatsächlich hatte sie es nach einer Weile geschafft, die zweite Linie zu erreichen.

Triumphierend hatte sie ihn angesehen und auf ein Lob gewartet, doch er hatte nur die zweite Linie verwischt und sie ein paar Zentimeter weiter entfernt erneut auf den Boden gemalt. „Man muss sich immer weiterentwickeln, sonst bleibt man auf der Stelle stehen.", hatte er erklärt. „Und stehen bleiben ist für einen Runner tödlich."

Zuerst hatte sie Angst gehabt, sich im Waschraum auszuziehen, da sie sich so nur noch schutzloser fühlte. Es war ein kalter Raum mit groben Steinwänden. Was die Runner Dusche nannten, war in Wahrheit ein Schlauch, der von einem großen Wasserkanister in einer Halterung über ihrem Kopf angebracht war. Das Wasser prasselte auf sie hinab. Es war eiskalt, doch wenigstens war es erfrischend. Ihre Muskeln schmerzten und vor Erschöpfung konnte sie kaum gerade stehen.

Plötzlich war da Meredith. Sie stand mit dem Rücken zu ihr. Ihre Schultern waren sehnig, die langen hellbraunen Haare fielen ihr auf den Rücken, wenngleich sie kürzer waren, als früher, und ungepflegter. Isabellas Herz raste und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Meredith. Wie konnte das sein?

Das Mädchen drehte sich um und die Enttäuschung traf Isabella wie ein Schlag in die Magengrube. Es war Jemina, die Runnerin, die mit dem Becher auf Cube gezielt hatte. Natürlich. Wie hatte Sie nur denken können, dass es Meredith wäre? Für einen kurzen Moment, nur für einen ganz kurzen, hatte sie gedacht, ihre Schwester würde noch leben. Doch dieser Augenblick genügte, um ihre Fassade zusammenfallen zu lassen. Sie vermisste Meredith. Sie vermisste sie, obwohl sie sie hasste, für das, was sie getan hatte.

Der ganze Druck, der auf ihr lastete, brach über sie herein. Tränen schossen in ihre Augen. Sie wollte die Runner verraten. Sie wollte endlich, dass diese ganze Sache ein Ende hatte, doch sie hatte nichts herausgefunden. Die Runner vertrauten ihr nicht, zweifelten immer noch ihre Ehrlichkeit an. Bei jedem Wort hatte sie Angst, sich zu verraten. Alles, was sie sich wünschte, war, in ihr altes Leben zurückzukehren. Aber sie konnte es niemandem sagen. Noch nicht.

Die Tränen vermischten sich mit dem Wasser, das über ihr Gesicht lief. Isabella versuchte, ein Schluchzen zu unterdrücken. Sie wollte nicht, dass die Runner etwas bemerkten.

Aus den Augenwinkeln sah sie jemanden durch das Loch den Waschraum betreten. Hastig wischte sie die Tränen weg, stellte das Wasser ab und zog sich ein T-Shirt über. Bevor sie den Raum verließ, zwang sie sich, tief durchzuatmen und sich zusammenzureißen.

Nicht viele Runner hielten sich gerade im Versteck auf. Blue war gleich nach ihrem Training mit Kate, Cube, Ezra und ein paar anderen, deren Namen sie noch nicht kannte, aufgebrochen. Nur eine kleine Gruppe saß am Tisch, die Rücken in ihre Richtung gewandt, und unterhielt sich angeregt. Isabella wollte vorbeigehen und ihre gewechselte Kleidung in ihr Regalbrett räumen, da hörte sie etwas, das sie stutzen ließ.

„Kommt her und will Meres Platz einnehmen.", sagte jemand. Es war Rook. Natürlich. „Habt ihr es nicht gehört? Sie hat es doch selbst gesagt, am ersten Abend. Sie will sie ersetzen."

Wut kochte in ihr hoch und es fiel ihr schwer, die Kontrolle, zu der sie sich eben erst gemahnt hatte, zu bewahren. Sie hatte es satt, dass hinter ihrem Rücken über sie getuschelt wurde. Mit einem lauten Räuspern machte sie sich bemerkbar. Die Runner fuhren erschrocken herum. Die meisten von ihnen wirkten ertappt, einzig Rook wirkte nicht beschämt. Im Gegenteil, ein zufriedenes Grinsen zog sich über sein Gesicht.