Es war ein seltsames Gefühl, das erste Mal in komplett schwarzen Klamotten und mit zusammengebundenen Haaren das Versteck zu verlassen. Sie sprachen kein Wort, als sie den Trainingsraum hinter sich ließen und minutenlang durch die Irrwege des Tunnels liefen. Isabella war froh darüber. Sie glaubte nicht, dass sie überhaupt einen Ton herausbringen würde, und konzentrierte sich lieber darauf, nicht über hervorstehende Steine und Erdbrocken zu stolpern. Nach einiger Zeit sah sie einen leichten Lichtschein, der von der Decke aus in den Tunnel strahlte. Sie hatten ein weiteres Gitter erreicht, das nach oben führte. Blue drückte es auf und steckte vorsichtig seinen Kopf hindurch.
„Die Luft ist rein.", flüsterte er, bevor er sich nach oben zog. Jackson kreuzte die Hände und half Isabella, die Luke zu erreichen, wo Blue ihr die Hand hinstreckte, um sie hochzuziehen.
Isabella sah sich um. Sie befanden sich in einer schmalen Gasse, doch weder die Fassaden der Häuser um sie herum, noch die Straßen, die an beiden Enden der Gasse zu erkennen waren, lieferten einen Hinweis auf ihren Aufenthaltsort. Sie vermutete jedoch, dass sie sich in der Nähe der Innenstadt befanden, denn sie sah Menschen auf den Straßen vorbeispazieren. Sie waren zu beschäftigt, um einen Blick in die Gasse zu werfen und doch raste ihr Herz. Warum hatten sie ihre Gesichter nicht bemalt? Jeder würde sie sofort erkennen, das konnten auch die schwarzen Klamotten nicht verhindern.
Die übrigen Runner schienen die Gefahr nicht zu bemerken. Nacheinander kletterten sie aus dem Tunnel und noch ehe Rook das Gitter wieder an seinen ursprünglichen Platz gerückt hatte, hatte Blue bereits seinen Weg fortgesetzt. Erst jetzt sah Isabella, dass an der Hauswand direkt neben ihnen Sprossen in den Stein geschlagen waren. Sie konnte sich nicht erklären, wozu sie dienten, doch sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie von den Runnern angebracht worden waren.
Vermutlich waren sie beim Bau des Hauses angelegt worden, um Arbeiten auf dem Dach zu verrichten, oder sie dienten als Fluchtleiter, wenn ein Feuer im Haus ausbrach. Wusste der Hohe Rat, dass die Runner diese Hilfsmittel nutzten? Wenn sie ihnen einfach keine Möglichkeit mehr gaben, auf die Dächer zu gelangen -
Doch Isabella hatte keine Zeit, diesen Gedanken fortzusetzen. Blue war schon einige Meter nach oben geklettert und sah ungeduldig zu ihr zurück. Entschlossen legte sie die Hand auf die Sprossen. Sie waren dünn und die kleinen Rillen, die sich im Eisen befanden, boten guten Halt. Die ersten Meter stellten kein Problem dar, doch dann warf sie das erste Mal einen Blick zurück. Schwindel übermannte sie, als sie sah, wie weit der Boden entfernt war. Ihr Atem beschleunigte sich.
Jackson war dicht hinter ihr. „Du schaffst das.", formte er mit den Lippen und nickte aufmunternd nach oben.
Sie atmete tief ein und aus und versuchte sich zu beruhigen, bevor sie sich mit zitternden Armen weiter nach oben zog.
„Nicht nach unten sehen", flüsterte sie. „Nicht nach unten sehen. Du schaffst das, Isabella."
Stufe für Stufe kämpfte sie sich weiter nach oben und merkte erst, dass sie am Ende der Sprossen angekommen war, als Blues Arm sich ihr entgegenstreckte. Kurz wankte sie, als sie eine Hand von den Sprossen nahm, doch seine Finger schlossen sich fest um ihre und er zog sie nach oben.
Sie spürte kalten Schweiß auf der Stirn, als der Wind ihr ins Gesicht wehte. Hinter ihr kletterten die übrigen Runner aufs Dach, mühelos, als hätten sie nie etwas anderes getan. Dann warf Isabella einen ersten Blick auf ihre Umgebung und erkannte endlich, wo sie sich befanden. In den Häusern um sie herum waren Geschäfte und Büroräume untergebracht. Sie erinnerte sich an Blues Lehrstunde, an den Plan der Stadt. Sie mussten sich im Quadrat J befinden, denn in einiger Entfernung überragte der Kontrollturm alle anderen Gebäude. Blue hatte gesagt, dass die Häuser in diesem Viertel nah aneinandergebaut und die Abstände zwischen ihnen gut zu überwinden waren. Tatsächlich befanden sich alle umliegenden Dächer auf einer Höhe und dennoch hatte Isabella keine Ahnung, wie sie auch nur einen Sprung schaffen sollte.

DU LIEST GERADE
Runner - Die Jagd beginnt
Science-FictionDie Erde, wie wir sie kennen, gibt es nicht mehr. Zu viel Schaden haben Kriege und Verwüstung angerichtet. Isabella lebt gut behütet in Ashville, einer Stadt, die aufgebaut wurde, um seine Bewohner zu schützen. Keine Bedrohung dringt über die Stadtm...