32.

409 38 3
                                        

Isabella wich zurück. Viel zu lange hatte sie nach unten gestarrt und dabei vergessen, dass niemand sie erkennen durfte. Wachmänner rannten über den Schulhof und rissen das Schultor auf.

„Los!", wies Blue sie an und setzte sich in Bewegung. Er wirkte nicht ertappt, panisch oder aufgeregt, so wie Isabella sich fühlte. Im Gegenteil. Er schien zufrieden zu sein. Als hätte er gehofft, dass man sie sah. Hatte er vergessen, in welcher Gefahr Isabella schwebte, wenn man sie erkannte?

Blue begann bereits, die Eisenverankerungen, die die Kuppel befestigten, nach oben zu klettern. Sie selbst war unfähig, sich zu bewegen. Das Dach wirkte glatt und die Rundung steil, und außer den Eisenstangen gab es nichts, woran man Halt finden konnte. Wenn sie es nicht schaffte, sich festzuhalten, würde sie gnadenlos abrutschen. Ezra und Kate drängten sich an ihr vorbei und begannen, Blue zu folgen. Obwohl sie wusste, dass sie wertvolle Zeit verschwendete, stand Isabella da, wie angewurzelt.

Warum nahmen sie nicht den Weg zurück, aus dem sie gekommen waren? Die Sprünge waren ihr leichtgefallen. Warum mussten sie über die Kuppel klettern? Doch als sie einen Blick nach hinten warf, fiel ihr wieder ein, warum. Das Hausdach, von dem aus sie auf das Dach der Schule gesprungen waren, lag viel höher. Sie würden es mit einem einfachen Sprung nicht erreichen können. Der einzige Weg aus dieser Situation lag auf der anderen Seite des Daches. Bei Ashvilles Liebe zur Symmetrie war Isabella sich sicher, dass dort ebenfalls ein flaches Stück angebracht worden war, von dem aus sie ihren Weg fortsetzen konnten.

„Komm schon, Is!", rief Jackson, der sich als Nächster auf die Kuppel schwang. Und als hätten seine Worte einen Schalter umgelegt, kam wieder Leben in sie. Sie griff nach der Eisenstange und zog sich hoch, drückte ihren Körper eng gegen die Kuppel, um nicht nach hinten zu rutschen. Die Kälte des Daches drang durch ihr T-Shirt. Nur langsam kam sie voran, suchte immer nach festem Halt, bis sie eine Hand vom Dach nahm, um die nächste Verankerung zu greifen, aber sie wagte es nicht, sich zu beeilen, wusste sie doch, dass jeder falsche Handgriff ihr Ende bedeuten konnte. Hinter ihr schwang sich Rook als letzter auf die Kuppel, da wurde mit einem lauten Scheppern das Dachfenster aufgerissen, über das sie eben noch gestolpert war.

Erschrocken warf Isabella einen Blick zurück und sah, wie sich Wachmänner auf das Dach zogen. Ohne zu zögern begannen sie, die Eisenverankerungen der Kuppel nach oben zu klettern. Sie kamen schnell voran, auch wenn ihre Griffe nicht sicher und geübt waren, wie die der Runner, die bereits einen beträchtlichen Vorsprung hatten. Nur noch wenige Meter bis sie den höchsten Punkt der Kuppel erreicht haben würden, dann konnten sie sich auf der anderen Seite an den Abstieg machen und würden längst über die Dächer verschwunden sein, wenn die Wachmänner die Kuppel erklommen hatten.

Im nächsten Moment schraubte sich etwas um Isabellas linken Knöchel und zerrte sie mit einem Ruck nach unten. Erschrocken schrie sie auf, als ihr Fuß den Halt verlor und sie ein gutes Stück zurückrutschte. Mit den Händen klammerte sie sich panisch an die Eisenverankerungen, während das Gewicht sie unbarmherzig nach unten zog.

Alles Blut wich aus ihren Fingern. Sie verdrehte den Kopf, um nach hinten schielen zu können und erkannte sofort, was passiert war. Rook war abgerutscht, hatte nach ihrem Knöchel gegriffen und nun war sein Griff an ihrem Fuß alles, was ihn noch hielt, während er panisch mit den Beinen strampelte und nach einer Möglichkeit suchte, sich abzustützen. Doch die Kraft in Isabellas Armen begann bereits nachzulassen. Ihre Finger wurden taub. Lange würde sie sich nicht mehr festhalten können. Dann würde sie abrutschen, zusammen mit Rook in die Tiefe stürzen. Sterben, ausgerechnet wegen ihm.

Das durfte nicht passieren. Nur überleben, mehr hatte sie sich doch nicht gewünscht. War das zu viel verlangt? Isabella biss die Zähne zusammen. Vor ein paar Wochen war es ihr noch schwergefallen, ihr eigenes Gewicht an einem Seil zu halten, jetzt zerrte Rook an ihren Armen.

Runner - Die Jagd beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt