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Diesmal warteten sie, bis die Dunkelheit einbrach, denn sie wollten es nicht noch einmal riskieren, bei Tageslicht das Versteck zu verlassen, war die Gefahr von den Helikoptern entdeckt zu werden, doch zu hoch.

Zum erste Mal seit Is bei den Runnern war, nahmen ausnahmslos alle Runner am Run teil. Jeremiah teilte sie in zwei Gruppen ein.
Die Anspannung war mit Händen zu greifen, doch es war keine negative Stimmung. Im Gegenteil. Endlich hatten sie wieder einen Plan, hörten auf, auf der Stelle zu treten. Als würden sie etwas bewegen, vorwärtskommen. Sie warteten nicht auf ihr Schicksal, sondern nahmen es selbst in die Hand. 

Während die Runner sich die Gesichter mit Kohle schwärzten, zog Jeremiah eine Kiste neben dem Regal hervor. Sie war verstaubt und alt und wirkte, als wäre sie seit Jahren nicht geöffnet worden.

„Was in dieser Kiste ist", sagte er, „habe ich seit langer Zeit für einen besonderen Moment aufbewahrt. Für diesen Moment." 

Der Zeiger von Is' Armbanduhr zeigte kurz vor Mitternacht, als sie sich schließlich auf den Weg machten. Von einer stummen Entschlossenheit erfüllt, verließen sie das Versteck. Es fühlte sich an wie ein Abschied, auch wenn sie wieder zurückkommen würden. Aber es würde der letzte Run sein. Der letzte Run auf Ashvilles Dächern. Und wer wusste, was danach kam?

Gesichter und Haare waren tiefschwarz gefärbt. Sie hofften, so nahezu unsichtbar für die Helikopter zu sein. Sie mussten ein seltsames Bild ergeben, lediglich ihre Zähne und Augen blitzten in der Dunkelheit weiß hervor.

Jeremiah führte sie an, als sie die Sprossen auf das erste Dach erklommen. Noch nie hatte er so jung ausgesehen und selten so euphorisch.

Für einen Moment blieben sie alle stumm auf dem Dach stehen und blickten über die Stadt. Über ihnen glitzerten die Sterne tausendfach am Himmel. Alle Wolken hatten sich verzogen. Es war eine klare Nacht.

Is spürte, wie Phoebe neben ihr nach ihrer Hand tastete und griff ihrerseits Ezras Hand auf ihrer anderen Seite. Sie standen nebeneinander, mit wehenden Haaren und glühenden Herzen und Is hatte sich selten mit jemandem so verbunden gefühlt, wie mit den Runnern in diesem Moment auf diesem Dach. Sie hatten ihr noch nicht endgültig verziehen und es hätte sie auch überrascht, wenn es so einfach gewesen wäre. Vielleicht würden sie es nie tun. Und doch hätte sie ihrer Mutter am liebsten gedankt, dafür, dass sie sie zu Unrecht für tot hatte erklären lassen. Denn sie hatte durch den Zeitungsartikel, durch diese Nachricht, unbewusst und sicher ungewollt, dafür gesorgt, dass die Runner ihr glaubten. Weil jeder in Ashville dachte, sie wäre tot, gab es keinen Weg mehr zurück. Sie hatte niemanden mehr, an den sie die Runner verraten konnte.
Is wusste, dass das ihren Fehler noch lange nicht gutmachte. Aber sie glaubten ihr, dass sie es diesmal ernst meinte. Und solange Jeremiah ihr vertraute, würden die restlichen Runner sich nicht gegen sie stellen.

Noch nie war Is in völliger Dunkelheit gerannt und so war sie froh, dass die Nacht nicht wolkenverhangen war und der Mond sein sanftes Licht auf die Dächer warf.

Es überraschte sie, dass kaum jemand unterwegs war. Nur wenige Wachmänner patrouillierten auf den Straßen. Es war, als hätten sie schon vergessen, womit sie den Runnern gedroht hatten. Konnte es wirklich sein, dass sie so schnell aufgegeben hatten? Is konnte es sich kaum vorstellen und doch drehte nur ein einziger Helikopter in weiter Ferne seine Kreise über der Stadt. Ihr entging nicht, dass auch die anderen Runner immer wieder besorgte Blicke in alle Richtungen warfen. Sie wagte es kaum zu hoffen, dass sie dieses Mal tatsächlich Glück hatten.

Nach einer Weile setzte sich Jeremiah mit einem Teil der Gruppe ab, so leise, als wären es ihre eigenen Schatten, die sich von ihnen lösten.

Is folgte weiterhin Blues Gestalt, die durch das große Bündel, das er auf dem Rücken trug, unförmig wirkte. Obwohl ein großes Gewicht auf ihm lasten musste, waren seine Sprünge leicht und sicher.

Runner - Die Jagd beginntWo Geschichten leben. Entdecke jetzt